Abriss eines historischen Hauses: In zehn Minuten war alles weg
Ein denkmalgeschütztes Haus im Münchner Stadtteil Giesing wird handstreichartig abgerissen. Die Anwohner trauern darum.
Meszaros, ein Nachbar, sagt immer wieder: „Unfassbar“, und: „Das tut weh!“ Auf dem Grundstück liegen die Überreste des Uhrmacherhäusls, wie das Gebäude genannt wurde. Denn in dem unter Denkmalschutz stehenden Haus lebte und arbeitete ein Uhrmacher, bis er starb. Das war so vor zwei Jahren, meinen die Leute, die sich jetzt immer wieder davor treffen. So genau weiß es aber keiner mehr.
Meszaros ist Fahrradmechaniker von Beruf, gleich um die Ecke hat er seine Werkstatt. Er trägt seinen Namen in eine Liste ein, in der Äußerungen des Protests und der Erschütterung gesammelt werden. Auf einem Trauerplakat mit grauem Rahmen ist von Hand ein Kreuz gemalt. „Obere Grasstr. 1“, steht darauf. „Durch gewissenlose Grundstücksspekulanten zu Tode gekommenes unwiederbringlich zerstörtes Stück Obergiesinger Heimat!“ Meszaros sagt: „Bei mir zu Hause, in Ungarn, sind alte Häuser und Denkmäler heilig. So etwas wäre dort völlig unvorstellbar.“
Nicht vorstellbar war das auch bis vor einer Woche in Giesing, nicht in Bayern und nicht in Deutschland. „Am Donnerstagnachmittag kamen Leute mit einem Bagger und rissen ein Loch ins Dach“, erzählt die Anwohnerin Monika Maier, die alles miterlebt hat. Die Arbeiter sagten, sie kämen vom Bauherrn des Hauses, der Münchner CSH Baubetreuung. Sofort riefen die Nachbarn die Polizei, die Weiteres verhindern konnte. Dass man auf dem Grund des sanierungsbedürftigen Hauses in München mit seinen explodierenden Preisen etwas viel Lukrativeres hinstellen könnte, war schon lange klar, Spekulationen darüber gab es immer wieder.
Die Münchner Lokalbaukommission, eine städtische Behörde, verbot der CSH sofort jede weitere Beschädigung des Hauses. Es muss in seinem bestehenden Zustand bleiben. „Die Gesellschaft, wir alle haben einen Anspruch auf den Erhalt von Denkmälern“, sagt Thomas Rehn von der Münchner Lokalbaukommission, der zuständigen städtischen Behörde. Der ursprüngliche Bauantrag für das Haus lautete auf Erhalt und Sanierung.
Teil der historischen Feldmüllersiedlung
Was folgte, wäre in einem Actionfilm ziemlich unglaubwürdig: Nur einen Tag später, am Freitag gegen 16 Uhr, kamen wieder zwei Männer mit einem Bagger. Es ging sehr schnell, so die herbeieilende Nachbarin Monika Maier. Innerhalb von zehn Minuten rissen die Männer das Haus ein und machten es platt. Dachziegel, Holzbalken, Mauerwerk. Ein Großteil davon landete auf der schmalen Straße. „So schnell konnte die Polizei gar nicht da sein“, sagt Maier.
Als das Haus Obere Grasstraße 1 zerstört war, liefen die Männer davon. Einer nach Norden in die Gietlstraße, der zweite in die andere Richtung zur Kiesstraße. Den gelben Caterpillar-Bagger ließen sie stehen. Am Montag holte ihn die Firma ab, die ihn ausgeliehen hatte.
Das Haus war Teil der historischen Feldmüllersiedlung, erbaut zwischen 1840 und 1845. Es sind ein- bis zweigeschossige „Kleinhäuser“, wie das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege schreibt, die das Viertel weiterhin prägen. Arbeiter und Handwerker wohnten darin, als Giesing noch ein Dorf vor den Toren der Stadt München war. Die Siedlung steht als Ganzes unter Ensembleschutz. Damals galt sie als modern und fortschrittlich, so die Denkmalpfleger, weil die Häuser häufig etwa Tagelöhnern den sozialen Aufstieg und den Besitz von „Kleineigentum“ ermöglichten.
Es gibt einige ähnliche Siedlungen in München. Und immer wieder stellen sich dabei Fragen wie: Was soll erhalten werden? Was ist schon so verändert, dass es nicht mehr den Charakter eines Denkmals hat? Eine explosive Konstellation, ist München doch, was Mieten und Immobilienpreise angeht, die bundesweit mit Abstand teuerste Stadt.
Die Gentrifizierung schreitet voran, auch in Giesing. Mathias Pfeil, Leiter des Landesamts für Denkmalpflege, sagte es in einem Interview so: „Der Verwertungsdruck auf den Immobilienbestand ist enorm hoch.“ Die Stadt, die öffentliche Hand und damit auch das Gemeinwohl haben dabei meist das Nachsehen, gehört ihnen doch nur ein bescheidener Teil des Grundes.
Tiefer Stich ins Herz vieler Münchner
Ein Bauträger reißt gegen alle Gesetze und Vorgaben das ihm unliebsame alte Haus in der historischen Siedlung ab. Zehn Minuten, zwei Männer und ein Bagger. Und niemand konnte das verhindern. Für viele Münchner ist das wie ein tiefer Stich ins Herz, etwas so noch nie Geschehenes. Die Preise fürs Wohnen treiben immer mehr Bürger in die Existenznot und zum Wegzug, während sich die Immobilienwirtschaft eine goldene Nase verdient. Im Internet wird die CSH Baubetreuung nun beschimpft: „Denkmalzerstörer“, „Schurkenverein“, „Mafia“, heißt es da.
Das Unternehmen ist in diesen Tagen komplett abgetaucht. Am Montag war die Homepage noch erreichbar, am Dienstag wurde sie vom Netz genommen. Am Telefon läuft der Anrufbeantworter: „Zurzeit ist niemand erreichbar.“ Einzig die Boulevardzeitung tz zitiert eine Mitarbeiterin, die dem Blatt gesagt hat, der Abriss sei ein „Unfall“ gewesen. Der Bauträger ist aber nur das ausführende Unternehmen. Nach dem Tod des Uhrmachers wurde das Haus von einem Privatmann aus der Region München gekauft. Für einen Preis von 800.000 Euro, so heißt es.
Wo bleibt die Strafe? „Wir prüfen derzeit alle Möglichkeiten“, sagt Thomas Rehn von der Lokalbaukommission. „Das ist ein außergewöhnlicher, in seiner Dimension weitreichender Fall.“ Nun müsse man alles daransetzen, „dass sich so etwas nicht lohnt“. Die Strafe müsse vor allem in einer wirtschaftlichen Belastung liegen. Anwohnerin Monika Maier ist skeptisch: „Ein Strafgeld zahlt der doch aus der Portokasse.“
Enteignung denkbare Möglichkeit
Fünf Tage nach dem Abriss ist man bisher so weit: Die Polizei hat Anzeige erstattet wegen der Zerstörung des Denkmals. Nach dem Denkmalschutzgesetz, so Thomas Rehn, ist als Höchstsatz ein Bußgeld von 250.000 Euro möglich, nach der bayerischen Bauordnung sind es zusätzlich 500.000 Euro.
Eine viel empfindlichere Strafe wäre allerdings eine Auflage, die das Landesamt für Denkmalpflege fordert und die es in Bayern noch nie gegeben hat: Das Haus muss original wieder so aufgebaut werden, wie es war. Damit wäre es nichts mit der goldenen Nase. Die Grünen-Stadträtin Gülseren Demirel hat noch drastischere Vorstellungen. „Für einen Fall wie die Obere Grasstraße könnte auch Enteignung eine gerechte Strafe sein“, sagt sie. In der Stadtverwaltung wird dies nicht offen kommentiert, gilt aber trotz hoher Hürden als durchaus denkbare Möglichkeit.
Vor der Lücke herrscht ständig Betrieb. Eine junge Frau kommt schnell, schaut auf die Trümmer. Sie beginnt zu weinen und geht stumm. Sonnenblumen sind aufgestellt und Trauerblumen und Kerzen. Der CSH wird „kriminelle Energie“ vorgeworfen. Die Kommentare der Menschen ähneln sich: O Gott, brutal, Skandal. In den Gesichtern steht vor allem eines: Wohin mit der Wut?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies