Abrechnungen in der Psychiatrie: Schnell entlassen statt auskuriert
Bald soll das neue Abrechnungssystem für Leistungen in der Psychiatrie eingeführt werden. Doch Kritiker befürchten, dass es die falschen Anreize setzt.
BERLIN taz | Das geplante neue System für die Abrechnung von Krankenkassenleistungen in der Psychiatrie, der sogenannte PEPP-Entgeltkatalog, stößt auf heftigen Widerstand. Vor einem „Rückfall in die Verwahrpsychiatrie“ warnt die Gewerkschaft Ver.di. Sie befürchtet ein „Durchboxen“ des Katalogs durch das Bundesgesundheitsministerium gegen die Widerstände von Fachverbänden und Krankenhäusern.
Nach dem bereits vom Bundestag beschlossenen Gesetz soll das neue Entgeltsystem stufenweise ab 2013 eingeführt werden. Im Bundesgesundheitsministerium fanden am Montag dazu Gespräche mit Vertretern von Verbänden und der Deutschen Krankenhausgesellschaft statt, die den Katalog ablehnen. Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums sagte auf Anfrage der taz, es gebe „derzeit keine Festlegungen“ für das weitere Vorgehen.
Knackpunkt des neuen Abrechnungssystems ist die Klassifizierung der Patienten und Behandlungsepisoden, nach den daraus ermittelten Tagessätzen soll sich dann die Vergütung richten.
Dabei gebe es „zwei Fehlanreize“, erklärte Peter Kruckenberg, Mitglied in der Psychiatrie-Kommission der Krankenhausgesellschaft und im Vorstand des Vereins „Aktion Psychisch Kranke“. Zum einen entstünde mit dem neuen Abrechnungssystem ein Anreiz für die Krankenhäuser, vor allem leichter Erkrankte aufzunehmen.
Die Klassifizierungen beruhen zu einem großen Teil auf den gemessenen Zeitbedarfen in der Betreuung der PatientInnen. Dabei habe man aber vor allem die strukturierten Angebote wie Gruppentherapien oder Arztgespräche gemessen und den Zeitaufwand in der allgemeinen Betreuung auf den psychiatrischen Stationen außer Acht gelassen, rügt Kruckenberg. Schwerer Erkrankte wie etwa Menschen in einer psychotischen Phase oder Alkoholkranke auf Entzug bräuchten aber besonders diese allgemeine Zuwendung durch Pflegekräfte.
Degressive Tagessätze
Zum Zweiten entstünde mit dem neuen Abrechnungssystem ein Anreiz, Patienten zu früh zu entlassen, erklärte Kruckenberg. Die Tagessätze sind je nach Behandlungsdauer degressiv gestaltet. „Der jetzige PEPP-Katalog stellt einen Anreiz zur Ausweitung von Krankenhausbehandlungen bei leichter erkrankten Personen mit gutem psychosozialen Funktionsniveau dar“, heißt es in einer Erklärung des Psychiater-Arbeitskreises ACKPA.
Bisher werden psychiatrische Behandlungen nach krankenhausindividuellen Tagespflegesätzen abgerechnet. Die von den gesetzlichen Krankenkassen gezahlten Tagessätze liegen zwischen 220 und 290 Euro pro Patient. Die durchschnittliche Verweildauer in der Psychiatrie beträgt etwa 20 Tage, so Kruckenberg.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft fordert, die Einführung des neuen Systems für zwei Jahre auszusetzen. „Eine neutrale Instanz“ solle noch mal über den Katalog gehen, sagte Moritz Quiske, Sprecher der Gesellschaft.
Leser*innenkommentare
green angel
Gast
@diplom_hartzi: "fertigwerden" müssen wir also mit unseren Angehörigen? Wie regulieren Sie denn Ihren Elektrolythaushalt kostengünstig?
Angelika Pasanec
Gast
@Banse: Ups: ah ja, dann auch Zwangs"behandlung" zu Hause? Das soll dann auch eine Verbesserung sein?
Zwangsbehandlung ist und bleibt ein NoGo, Folter und menschenunwürdig.
Wolfgang Banse
Gast
Wegsperren entspricht der Menschenwürde
Psychiatrische stationäre Unterbringungen sollten der Vergangenheit angehören,sie snd nicht mehr zeitgemäss und entsprechen auch nicht der Würde des Menschen.
Vort Ort in dem unmitelbaren Lebensfeld des Patienten sollte die Behandlung ansetzen.
diplom_hartzi
Gast
Die Last tragen die Angehörigen. Wie die mit einem suizidalen Familienmitglied fertigwerden sollen, steht in den Sternen. Ergo: Mehrausgaben für Psychotherapie der Angehörigen.
Übrigens: So manche "Depression" könnte duch eine Regulation des Elektrolythaushalts ganz kostengünstig geheilt werden.