Abraham Rabinovich über die Gaza-Blockade: "Die Schiffskonvois sind eine Gefahr"
Zur Gaza-Blockade gibt es keine Alternative, glaubt der israelische Historiker Abraham Rabinovich. Die weltweite Empörung zwinge aber zu einem Umdenken.
taz: Herr Rabinovich, nach der Erstürmung der Gaza-Flotte steht Israel am Pranger. Was ist schiefgelaufen?
Abraham Rabinovich: Israel ist in ein schreckliches Narrativ verstrickt, nach der eine Gruppe von Soldaten einen friedlichen Konvoi angreift, der humanitäre Hilfsgüter zu einer von der Außenwelt abgeschotteten Bevölkerung in Gaza bringt. Dabei schießen die Soldaten augenscheinlich auf Unschuldige und verursachen ein Blutbad. Das ist ein schreckliches Bild, von dem ich glaube, dass es nicht das richtige ist.
Was ist für Sie das richtige Bild?
Israel hat das Recht, die Hamas davon abzuhalten, in den Besitz von Waffen zu geraten. Eine wichtige Präventivmaßnahme ist die Seeblockade. Denn selbst wenn sie komplett harmlos sind, stellen diese Schiffskonvois eine Gefahr für Israel dar. Wenn diese "Flotilla" den Gazastreifen erreicht hätte, dann wären anschließend Hunderte mehr gekommen. Und die Hamas würde versuchen, das zu missbrauchen.
Sehen Sie denn keine Alternative zur Blockade?
Was Waffen und vor allem Raketen betrifft, zweifellos. Die Blockade gegen die Einfuhr von Waffen gehört zu den fundamentalsten Sicherheitsnotwendigkeiten Israels. Die humanitären Konvois öffnen die Wege für den Waffenschmuggel nach Gaza.
76, ist Historiker und Journalist. Er wurde in New York geboren und lebt seit 1967 in Jerusalem. Er schrieb mehrere Bücher zur Geschichte Israels, zuletzt zum Jom-Kippur-Krieg.
Musste der Einsatz des Militärs auf dem Flaggschiff nicht Panik auslösen unter den Passagieren?
Das israelische Militär wollte Eskalationen verhindern und hat die Bewaffnung auf ein Minimum reduziert. Deshalb trugen die Soldaten Paintball-Flinten, die gefährlich aussehen, aber keinen Schaden anrichten. Die Videos zeigen deutlich, wie die israelischen Soldaten auf das Deck heruntergelassen werden und einer nach dem anderen überwältig wird.
Wie konnten israelische Elitesoldaten denn von einer Handvoll Zivilisten überwältigt werden?
Das ist tatsächlich schwer nachzuvollziehen. Aber die Soldaten trugen Asbesthandschuhe und waren unfähig, den Abzug ihrer Pistolen zu betätigen. In dem Moment, wo auf sie geschossen wurde, gerieten sie selbst in Lebensgefahr. So empfanden sie es. Das war der Anfang der Schießereien. Die Soldaten wurden angegriffen und handelten entsprechend. Mit friedvoller, humanitärer Hilfe hat das wenig zu tun.
Was hat die Armee bei diesem Einsatz falsch gemacht?
Die Soldaten hätten nicht überrascht werden dürfen. Die Nachrichtendienste haben versagt, die Marine vorab mit den notwendigen Informationen zu versorgen.
Jetzt, in diesem Augenblick, ist immer noch ein irisches Schiff auf dem Weg nach Gaza. Müssen die Aktivisten auf der "Rachel Corrie" mit einer Wiederholung der Ereignisse rechnen?
Israel wird das Schiff sicher stoppen. Die Aktivisten tun gut daran, Richtung Ashdod einzuschlagen. Es sind auf diesem Schiff aber auch nur gut ein Dutzend Leute an Bord.
Andere Aktivisten planen bereits eine weitere, deutlich größere "Flotilla". Wird die Armee wieder mit Gewalt gegen sie vorgehen?
Israel muss konsequent bleiben, solange es keine Lösung für den Gazastreifen gibt. Einem Schiff, das möglicherweise Waffen geladen hat, darf es die Einreise nach Gaza nicht erlauben.
Die Erstürmung der Gaza-Flotilla hat zu einem diplomatischen Scherbenhaufen geführt. Welche Folgen wird sie haben?
Israel hat sein Image als "tough guy" bestärkt, der man in dieser Weltregion sein muss. Und Israel hat einen Präzedenzfall geschaffen für weitere "Flotillas". Wenn du eine Blockade verhängst und dich dann überrennen lässt, hast du große Probleme.
Gleichzeitig hat der Konvoi es geschafft, die Welt auf das Embargo aufmerksam zu machen und eine Debatte über Sinn und Unsinn der Blockade in Gang zu bringen. Israels internationale Isolation hat zudem die Möglichkeit einer Umbildung der Regierung durch einen Beitritt der Kadima-Partei näherrücken lassen. Schon zuvor hatte sich Israel mit seiner hartnäckigen Siedlungspolitik ins Abseits befördert. Die jüngste diplomatische Zuspitzung könnte ein Umdenken und eine vernünftigere Politik zur Folge haben.
Israel verweigert eine unabhängige Untersuchung. Warum?
Ich finde, Israel sollte mit beiden Händen zugreifen und die Affäre untersuchen lassen. Der einzige Grund, es nicht zu tun, ist die Sorge um die Souveränität. Denn Israel ist keine Bananenrepublik, sondern kann die Sache selbst untersuchen.
Der weltweite Unmut dürfte sich damit kaum befriedigen lassen.
Deshalb denke ich, wir sollten mit dem Ausland kooperieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“