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Abgeordnetenhauswahl 2026Gerade ist der Kai wirklich einsam

Kommentar von Stefan Alberti

Viel Spekulation, viele offene Fragen bei Grünen, SPD und Linkspartei: Allein bei der CDU steht der Spitzenmann für die Berlin-Wahl 2026 schon fest.

Dort kann nur einer regieren – oder eine: Das Rote Rathaus, Ziel der Berliner Spitzenkandidaturen Foto: Monika Skolimowska/dpa

B ettina Jarasch ist also angeblich die Frau, mit der die Grünen als Spitzenkandidatin in die Abgeordnetenhauswahl am 20. September 2026 gehen wollen. Genauer: wieder gehen wollen. Denn Jarasch war bereits 2021 Spitzenkandidatin und auch bei der Wiederholungswahl im Februar 2023. So schnell die angebliche Entscheidung bei der Klausurtagung der Grünen vergangenes Wochenende kursierte, so schnell ordnete sie Jarasch gegenüber der taz als „Spekulation“ ein.

Nur zwei Tage später saßen bei der Pressekonferenz nach der Senatssitzung am Dienstag zwei Politikerinnen nebeneinander, die zwar nominell Parteifreundinnen sind, de facto aber Konkurrentinnen um die SPD-Spitzenkandidatur. Denn nicht nur Fraktionschef Raed Saleh ist dafür im Gespräch, sondern auch Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey und Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe. Manche sagen: Das macht sich auch im Senat bemerkbar, weil Kiziltepe dort die linke Fahne hochzuhalten versuche, wo sie mit deutlichem Abstand zu Giffey weht. In der Frage der Ausbildungsplatzabgabe beispielsweise gelten die beiden als zerstritten.

Die Linkspartei wiederum scheint noch weiter von einer Einigung auf jene Person entfernt, die sie in den Wahlkampf führt. Dazu wäre erstmal zu klären: Wen soll sie denn anführen? Eine Partei, die in den vergangenen 23 Jahren fast 16 Jahre lang mitregiert hat, einen Landesverband, in dem die sogenannten Regierungslinken den Ton angeben? Oder einen, der gar nicht unbedingt regieren will, einen, in dem der Anteil der Bewegungslinken stark gestiegen ist? Zu Jahresbeginn hatte die Berliner Linke noch 8.300 Mitglieder, zuletzt waren es fast doppelt so viele. Unklar ist bislang, wie viele sich davon tatsächlich in der Partei engagieren und versuchen werden, Einfluss auf die Personalauswahl zu nehmen.

Und so ist die CDU unter den Parteien, die realistische Chancen haben, den Chef oder die Chefin im Senat zu stellen, in einer kommoden Lage. Sie braucht über die Frage der Spitzenkandidatur keine Debatten zu führen. Kai Wegner ist nicht Joe Biden, dem erst nahe gelegt werden musste, von einer erneuten Bewerbung abzusehen. Die CDU ist unter seiner Führung weiter die mit Abstand stärkste Partei in Berlin. Dass er auch nächstes Jahr Spitzenkandidat ist, gilt als unstrittig.

CDU führt in Umfragen mit Abstand

Weil Wegner somit noch allein auf dem Parkett der Spitzenkandidaten ist, passt nun mit zweieinhalbjähriger Verspätung doch noch eine Bemerkung von SPDler Saleh über ihn. Der nannte Wegner im Januar 2023 den „einsamen Kai“, weil ihm angeblich die Koalitionspartner fehlen würden – was wenige Wochen später nach der Wahl ganz anders aussah.

In der jüngsten Umfrage lagen die Berliner Christdemokraten zwar drei Prozentpunkte unter ihrem Wahlergebnis von 2023, aber mit 25 Prozent noch deutlich vor der zweitplatzierten Linkspartei, die auf 19 Prozent kam. Das Problem der CDU sind derzeit nicht fehlende Prozente, sondern schwächelnde Grüne und Sozialdemokraten, die in Teilen eine Rückkehr zu einem Linksbündnis wie von 2016 bis 2023 favorisieren.

Sich nicht noch auf einen Kandidaten oder eine Kandidatin einigen zu müssen, erspart einer Partei merklich Stress und interne Konflikte, die nach außen hin wenig anziehend wirken. In der Zeit, in der sich etwa die SPD mit der Frage beschäftigt, ob Raed Saleh nach inzwischen bald 14 Jahren als Fraktionschef nicht mal als Spitzenkandidat dran wäre, kann die CDU an ihrem inhaltlichen Profil arbeiten.

Besonders bei den Grünen wird es absehbar darum gehen, möglichst gut in die Köpfe der Wählerschaft schauen zu können: Wie nehmen die rund 2,5 Millionen Wahlberechtigten die angeblich bereits inoffiziell gekürte Bettina Jarasch wahr? Als die Frau mit den dunklen Locken, die bei zwei Wahlen auf vielen Plakaten zu sehen war, aber danach nicht Regierungschefin im Roten Rathaus wurde? Als Verliererin also?

Grünen-Parteitag lehnte Mitgliederbefragung ab

Nehmen sie Jarasch als die Frau wahr, unter deren Führung die Grünen ihre besten Wahlergebnisse überhaupt im Land holten und 2023 beinahe erstmals bei einer Berlin-Wahl vor der SPD lagen? Nur 53 Stimmen trennten die beiden Parteien. Oder als jene Kandidatin, mit der die Grünen von teils weit höheren Umfrageergebnissen von bis zu 27 Prozent auf rund etwas mehr als 18 Prozent am Wahltag abrutschten? Für so etwas gibt es Befragungen, Fokusgruppen und weitere Methoden. Am Ende aber bleiben es Annahmen – und die Hoffnung, nicht falsch zu liegen.

Der Grünen-Kreisverband Mitte hatte Ende 2024 bei einem Landesparteitag eine Mitgliederbefragung angeregt, sich aber nicht durchsetzen können. Man werde die Partei auch so ausreichend beteiligen, hieß es sinngemäß von den führenden Köpfen, bevor größtenteils in sich zusammenbrechende Vorwürfe gegen den damaligen Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar und der Umgang der Partei mit ihm lange alles andere überdeckten.

Kai Wegners persönlicher Vorteil in diesen Monaten, in denen sich mutmaßlich auch öffentlich Bewerber der anderen Partei fetzen könnten: Er kann weiter so auftreten wie seit Amtsantritt, eine Art Stadtpräsident geben und trotz CDU-Landesvorsitz über den Parteien zu schweben versuchen. Alle anderen müssen versuchen, größere Blessuren ihrer innerparteilichen Gegner zu vermeiden – sie brauchen sie und ihre jeweilige Anhängerschaft nämlich spätestens im Wahlkampf noch.

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Redakteur für Berliner Landespolitik
Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.
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