Abbas tauscht seine Minister aus: „Stadium der Lähmung“
Der Palästinenserpräsident stellt überraschend ein neues Kabinett vor. Mahmud Abbas vereidigte am Mittwoch acht neue Minister. Die Hamas ist darüber verärgert.
JERUSALEM taz | Für die bisherige palästinensische Tourismusministerin Khouloud Daibes aus Bethlehem kam die Nachricht über den Regierungswechsel überraschend. Fünf Jahre lang saß sie im Kabinett in Ramallah. Nun muss sie das Feld für Mula Majeh räumen, die wie ihre Vorgängerin Christin ist. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas vereidigte am Mittwoch acht neue Regierungsmitglieder.
Ministerpräsident Salam Fayyad bleibt im Amt, verliert aber seine Zweitfunktion als Finanzminister. Sein Nachfolger wird Nabeel Kassis, Professor für Nuklearphysik und ehemals Präsident der Birzeit-Universität. Wie Fayyad gehört Kassis weder Hamas noch Fatah an.
Die Führung im Gazastreifen zürnte über den politischen Schritt, der die „Illegitimität und Unstimmigkeiten“ der Regierung im Westjordanland aufrechterhalte, wie Hamas-Sprecher Fausi Barhum auf Facebook kommentierte. Die Islamisten in Gaza machen die Fatah dafür verantwortlich, dass die Verhandlungen über eine Einheitsregierung bislang ergebnislos blieben.
Politische Gefangene
Vor einem Jahr unterzeichneten Ismail Hanijeh, Chef der Hamas im Gazastreifen, und Abbas ein Versöhnungsabkommen, das die Bildung einer gemeinsamen Regierung und Neuwahlen innerhalb von zwölf Monaten vorsah. Beides konnte bis heute nicht umgesetzt werden.
Die Liste des Konflikts, bei dem es um Macht geht, beginnt mit der Konstellation des Kabinetts. Beide Parteien halten zudem bis heute politische Häftlinge der jeweils gegnerischen Fraktion in den Gefängnissen fest. Abbas begründete seine Entscheidung damit, dass sich „das legislative und exekutive System in einem Stadium der Lähmung befinden“.
Es sei nicht seine Absicht, von weiteren Bemühungen um die nationale Einheit abzusehen, sondern er werde die neue Regierung „umgehend auflösen, sobald es zu einer politischen Partnerschaft mit der Hamas kommt“. Die Regierung war formal bereits im Februar 2011 aufgelöst worden.
Defizit von 500 Millionen US-Dollar
Die neue Regierung umfasst 21 Minister, darunter acht neue. Priorität dürfte dem Budget zukommen. Im März errechnete der IWF ein jährliches Defizit von 500 Millionen US-Dollar. Die Autonomiebehörde ist nach Informationen des Jerusalemer Medien- und Kommunikationszentrums (JMCC) von der internationalen Finanzierung in Höhe von 1,3 Milliarden US-Dollar jährlich abhängig.
Exfinanzminister Fayyad war mit seinem geplanten Sparkurs und der tatsächlichen Erhöhung der Einkommensteuer auf öffentlichen Protest gestoßen. Palästinensische Analysten rechnen damit, dass Fayyads Nachfolger Kassis im westlichen Ausland ebenso anerkannt werden wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid