ARD-Thriller „Wendezeit“: Die Spionin, die aus der Kälte kam
Den Tag der Deutschen Einheit lässt sich die ARD nicht entgehen. Am Vorabend läuft ein Agentinnenthriller aus der Zeit des Ost-West-Konflikts.
Eine Frau ist an einen Lügendetektor angeschlossen. Die Bürostühle im Charles-Pollock-Design machen klar, dass dies ein amerikanisches Office sein muss, noch bevor das Porträt Ronald Reagans und Stars and Stripes unscharf im Hintergrund erkennbar werden. „Haben Sie etwas mit dem Tod von Ralf Hummel zu tun?“, lautet die Frage. Schnitt. Ein Champagnerkorken knallt. Eine Bauchbinde informiert: „3 Tage vorher“. Und: „5. Oktober 1989, West-Berlin“.
Die Frau vom Lügendetektor ist die Gastgeberin einer großen Party in einem großbürgerlichen Haus. Eine andere Frau, offenbar eine Kollegin, flüstert ihr vertraulich in der Küche zu: „Da will einer überlaufen. Und er sagt, wir haben einen Maulwurf.“ Zoom-in auf das – es ist nur aus dieser großen Nähe erkennbar – besorgte Gesicht der Frau. Sie nimmt dann eine Pille, um sich übergeben zu können, lässt sich von ihrem Mann (Harald Schrott) bei den Gästen entschuldigen, trinkt aus einer Ampulle, damit es ihr wieder gut geht.
Sie passiert den Checkpoint Charlie und begibt sich zu der Ost-Berliner Wohnung des Mannes (Marc Hosemann), den sie als Überläufer identifiziert hat. Sie kämpft mit ihm, tötet ihn – trotz des Messerstichs in ihrem Rumpf, mit dem sie auch noch die Hausfassade herunterklettert, um den anrückenden Volkspolizisten zu entkommen. Wieder zu Hause, zeigt sie sich erneut den Gästen. Die Party ist in vollem Gange, die Musik bemerkenswert geschmackssicher: „Don’t You Want Me“ von The Human League.
Keine deutsche Feierstimmung
Der Mauerfall wird in diesem Jahr zum dreißigsten Mal begangen – allein den Deutschen sei nicht zum Feiern zu Mute wie bei vorangegangenen runden oder halbrunden Jubiläen, heißt es. Die fortgesetzte deutsche Teilung in den Köpfen, die Erfolge der AfD im Osten lasteten zu schwer auf ihnen. Wie wird da, unter diesen Umständen, die ARD ihrem Programmauftrag am Tag der Deutschen Einheit gerecht? Mit einer langen „Sportschau“-Übertragung zur Hauptsendezeit.
Der „FilmMittwoch“ am Vorabend und anschließend Sandra Maischberger – fertig ist der „Themenabend“ – müssen es rausreißen. Vielleicht mit einem kontroversen Stück im Stil der Doku-Drama-Trilogie „Mitten in Deutschland: NSU“? Oder ist so etwas im Jahr nach Chemnitz ein zu heißes Eisen für einen Senderverbund, deren östliche Landesrundfunkanstalt die AfD bei den jüngsten Landtagswahlen kurzerhand zur „bürgerlichen“ Partei erklärte (was hinterher „nur“ der Freud'sche Versprecher einer überforderten Journalistin gewesen sein sollte)?
Reine Spekulation. Tatsache ist jedenfalls, dass die ARD mit „Wendezeit“ (Regie: Sven Bohse; Buch: Silke Bohse) einen Agentinnenthriller aus der Zeit des Ost-West-Konflikts zeigt, der amerikanischen Vorbildern à la „The Americans“ und „Atomic Blonde“ näher sein will als deutschen Vorgängern (wie „Unsichtbare Jahre“ oder „Der gleiche Himmel“). Davon künden nicht allein der genregemäß rasante Einstieg, sondern etwa auch, dass die Amerikaner hier – zur Primetime – Englisch sprechen dürfen.
Ein erstaunlicher Schritt
Für einen Sender, der bislang noch jeden Film – auch solche, die von (fremd-)sprachlichen Nuancen leben, wie etwa Julie Delpys „2 Days in Paris“ – totsynchronisiert hat, ist das ein erstaunlicher Schritt. Und eine überfällige Annäherung an Sehgewohnheiten im Netflix-Zeitalter. Da fällt es auch nicht weiter ins Gewicht, wenn sich in den breiten amerikanischen Akzent des großen Widersachers der Heldin, des Agenten-Jägers in der amerikanischen Botschaft, in der sie undercover für die DDR spioniert, gelegentlich dänisches Lispeln mischt. Der „James Bond“-erprobte Ulrich Thomsen ist natürlich ein toller Besetzungs-Coup.
ARD, 2. Oktober, 20.15 Uhr: „Wendezeit“; Regie: Sven Bohse, Drehbuch: Silke Steiner , mit Petra Schmidt-Schaller, Harald Schrott, Ulrich Thomsen, Artjom Gilz u.a.
Und Petra Schmidt-Schaller spielt die Kalte Kriegerin – oder, wie man in der DDR (Wann hat man eigentlich aufgehört, von der „ehemaligen“ DDR zu sprechen?) sagte: Kundschafterin des Friedens – notwendig unterkühlt, aber eben nicht kalt.
„Bei dem, was dir bevorsteht, darfst du niemandem vertrauen. Nicht einmal mir, deinem Vater. Das ist deine einzige Lebensversicherung“, hat ihr ihr Stasi-Vater (André Hennicke) 18 Jahre zuvor, eine Rückblende in der Rückblende, mit auf den Weg gegeben. Der langjährige Chef der Hauptverwaltung Aufklärung, der „Mann ohne Gesicht“ Markus „Mischa“ Wolf (Robert Hunger-Bühler) höchstpersönlich ist ihr Führungsoffizier. Die DDR kann sie nicht mehr retten – aber vielleicht sich selbst?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht