ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt: „Mehr Kontrolle von außen“

Der ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt über die aktuelle WM, die Vergabe an Katar, diverse Substanzen und seine Entscheidung, nicht nach Russland zu fahren.

Hajo Seppelt

Es gibt Regeln, auf die alle verpflichtet sind, und die sind schlicht einzuhalten, sagt Hajo Seppelt Foto: dpa

taz: Herr Seppelt, zuerst hieß es, Sie dürften als Dopingexperte nicht nach Russland zur WM einreisen, dann hob Russland die Entscheidung wieder auf. Schließlich sind Sie nicht gefahren. Warum?

Hajo Seppelt: Das eine war die Ankündigung offizieller russischer Stellen, „Maßnahmen zu ergreifen“, mich zu einer Befragung durch ein staatliches Untersuchungskomitee zu zwingen, das andere waren unkalkulierbare Bedrohungen durch mögliche Einzeltäter. Nach der Aufhebung des Einreiseverbots wäre es aus meiner Sicht zwar unwahrscheinlich gewesen, dass ich verhaftet worden wäre – dazu sind zur WM schlicht zu viele Journalisten im Land. Der Aufschrei wäre gewaltig gewesen, den Gesichtsverlust hätte Putin meines Erachtens nicht riskiert.

Parallel zu den offiziellen Ankündigungen gab es aber eine Fülle direkter, teils sehr expliziter Drohungen. Das BKA hat eine Gefahrenanalyse erstellt und kam unter Berücksichtigung aller genannten Punkte zu dem Ergebnis, dass meine Sicherheit vor Ort nicht gewährleistet sei. Entsprechend hat die ARD eine Einreise nicht befürworten können. Ich habe diese Entscheidung nachvollziehen können und trug sie mit.

Russland ist das Team, das im Schnitt mit Abstand am meisten läuft bei diesem Turnier. Zufall?

Natürlich stellen sich vor dem Hintergrund des Staatsdopings ernsthafte Fragen, wie sauber der russische Fußball ist und ob eine hervorstechende Physis, wie in diesem Fall hier, in einem Zusammenhang steht. Aber allein die isolierte Betrachtung der Laufleistung reicht nicht aus, um eine wirklich seriöse Debatte darüber zu führen. Das wäre zu billig. Es ist dennoch klar, dass der russische Fußball zu Recht unter besonderer Beobachtung steht. Und es wäre wichtig, genauer nachzufragen und nachzuschauen.

Julia Stepanowa und Witali Stepnow haben als Whistleblower geholfen, das System des Dopings in Russland aufzudecken.

Hajo Seppelt berichtet seit 1997 für die ARD über sportpolitische Themen. Er gilt als Doping-Experte im deutschen und internationalen Sport und recherchiert seit Jahren zu systematischem Doping in der russischen Leichtathletik und in anderen Sportarten, auch im Fußball. Offizielle russische Stellen verweigerten Seppelt zunächst ein Einreisevisum zur Fußball-WM nach Russland, nahmen das aber anschließend wieder zurück. Seppelt reiste dennoch nicht ein.

Beide haben geholfen, den Sport differenzierter darzustellen, als ihn uns die Sportindustrie präsentiert. Das hat das Staatsdoping-System in Russland zum Kollaps gebracht, das war 2014. Da aber von russischer Seite seitdem nicht viele Schuldeingeständnisse zu erkennen sind, ist das Thema immer noch nicht vom Tisch.

Julia Stepanowa durfte nicht unter neutraler Flagge bei den Olympischen Spielen starten. Wie geht es den beiden Stepanows heute?

Als ich das letzte Mal von ihnen hörte – im Juni – , sagten Sie mir, alles sei bei ihnen okay. Sie leben weiter an einem geheimen Ort in den USA. Mein Eindruck ist, dass sie generell zufrieden mit ihrem Leben sind. Sie haben mehrfach betont, nicht zu bereuen, die Zustände im russischen Sport der Welt vor Augen geführt zu haben. Sie sagen, sie haben das Notwendige und Richtige getan.

Im Fußball gibt es kaum Vorfälle, die auf ein systematisches Doping schließen lassen. Es gab im Vorfeld der WM den Fall Paolo Guerrero, der des Kokain-Konsums überführt wurde. Einige Kollegen sind ihm beigesprungen, er solle die WM, die der Höhepunkt seiner Karriere ist, auf jeden Fall spielen dürfen.

Es sind die üblichen Mechanismen. Es ist nicht so sehr überraschend, dass Leute, die aus derselben Branche kommen, so argumentieren. Dopingvorwürfe werden zudem generell gern kleingeredet. Man hört dann etwa, dass womöglich ja nur in privater Runde mal gekokst wurde und man es nicht überbewerten solle. Es ist am Ende aber völlig gleichgültig, warum ein Sportler das macht. In dem Moment, in dem ein Athlet eine Substanz zu sich nimmt, die im Wettbewerb einen Nutzen erbringt, hat er ein Problem.

Ist aber nicht der Wettbewerbsgedanke einer, dem Doping inhärent ist? Es geht ja gerade darum, immer besser zu werden.

via iTunes, Spotify oder Deezer abonnieren

Ja, natürlich. Ein Athlet will sich stets verbessern, das ist ein Wesensmerkmal des Sports. Klar ist, dass da ein Anreiz entstehen kann, nachzuhelfen. Doch der erklärt das falsche Verhalten nur, legitimiert es aber nicht. Es gibt Regeln, auf die alle verpflichtet sind, und die sind schlicht einzuhalten. Sonst funktioniert sportlicher Wettbewerb im Kern nicht. Zum Sport gehört – ganz simpel – ein grundlegendes Regelwerk.

Auch wenn im Fußball systematisches Doping nicht nachgewiesen ist, gibt es Verdachtsmomente: Die algerische Mannschaft, die 1986 bei der WM teilnahm, soll die Spieler ohne deren Wissen gedopt haben. Viele der Spieler haben Kinder mit Behinderungen bekommen.

Die Fragen zu den gesundheitlichen Folgen des Dopings werden in großen Teilen des Sportjournalismus und auch bei vielen Verbänden nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit diskutiert. Diese Fragen geraten in der Event- und Entertainment-Fokussierung des Spitzensports völlig in den Hintergrund, dabei berühren sie seinen Wesenskern. Das ist schon ganz lange besorgniserregend. Denn: Wie kann man einen Sport akzeptieren, wenn er Menschen krank macht? Es ist ja längst kein Geheimnis mehr, dass es auch im Fußball mutmaßliche Opfer des Dopings oder des ungehemmten Medikamentenmissbrauchs gegeben hat und immer noch gibt.

Finden Sie die WM-Vergabe an Russland kritikwürdig?

Ich finde kritikwürdig, dass die Verbände sich nicht an die Regeln halten, die sie selbst aufstellen. Wer mir etwas von Völkerverständigung erzählt und von humanitären Kräften, die der Sport freisetzt, der sollte darauf achten, dass dort, wo dieses Event dann stattfindet, diese Werte auch gelebt werden. Natürlich hat die Fifa nicht Einfluss auf die Politik des Kreml. Aber sie kann Druck machen. Es wäre für die Fifa oder das IOC nötig, klar zu sagen, unter welchen Bedingungen eine WM oder Olympia ausrichtbar sind.

Es gibt vage erste Schritte, die hoffen lassen, dass es in eine richtige Richtung geht, etwa die Kopplung von Menschenrechtsfragen an ein Bewerbungsverfahren. Zur Durchsetzung wären auch gezielte Nadelstiche denkbar, zum Beispiel, einem Land, das klar gegen die Statuten verstößt, das WM-Endspiel zu entziehen. Es ist den meisten TV-Zuschauern schließlich egal, wo das Spiel an sich ausgetragen wird. Es findet auf einem grünen Rasen statt – wo der jetzt ist, das ist letztlich unerheblich.

Alles zur Fußball-WM der Frauen gibt es automatisch und kostenlos auch aufs Smartphone: Mit dem Telegram-Messenger bleibt ihr rund um die Uhr auf dem Laufenden: Mit einem Klick könnt Ihr unseren taz-WM-Channel vom Handy aus abonnieren.

Es gibt eine große Debatte darüber, ob ein Sportevent ein restriktives Regime propagandistisch unterstützt oder durch die vielen Besucher zu mehr Weltoffenheit zwingt, bei Argentinien 1978 beispielsweise.

Die Erfahrung zeigt, dass etwa Olympische Spiele nicht zur Destabilisierung politischer Systeme beigetragen haben; denken Sie an Berlin 1936, an Peking 2008, Sotschi 2014. Ich sehe generell nicht, dass große Sportevents eine positive Entwicklung im Austragungsland vorantreiben. Dass die Fußball-WM 1978 in Argentinien langfristig tatsächlich zur Destabilisierung der Militärjunta beigetragen hat, sehe ich eher auch nicht. Zumal man ja auch damals erleben konnte, welch unrühmliche Rolle Sportfunktionäre mitunter spielen.

Mir ist haften geblieben, dass damalige DFB-Protagonisten die schlimme Situation im WM-Gastgeberland schlichtweg ignorierten, während Menschen in Gefängnissen in unmittelbarer Nähe umgebracht wurden. Von einer Destabilisierung eines Terrorregimes konnte man da nicht reden. Und heutzutage ist ebenso zu erleben, wie einflussreiche Top-Sportfunktionäre die Herrscher in autokratischen Systemen umgarnen. Auch der deutsche IOC-Präsident Thomas Bach gehört dazu.

Sprechen wir über Katar.

Ich würde mir wünschen, dass eine informierte Öffentlichkeit viel schärfer mit den Lobbyisten des Fußball-Business ins Gericht geht. Denn der Fußball, auch seine Großevents, ist am Ende vor allem ein Kulturgut, das es zu schützen gilt. Es gehört, wenn man so möchte, quasi den Menschen – und nicht der Fifa. Wohin man Sportgroßereignisse vergibt, mit wem man Verträge abschließt, kann nicht allein eine Entscheidung für einen Closed Shop sein. Katar war ein besonders negatives Beispiel. Allein schon die menschenverachtenden Bedingungen für die Arbeiter auf den WM-Baustellen mit all den tragischen Konsequenzen für Leib und Leben waren schlicht unfassbar und in keinster Weise zu entschuldigen.

Aber selbst die simpelsten Kriterien für eine Vergabe waren für die Fifa ja offenbar zunächst unwichtig – die Temperaturen im Sommer 2022 in Katar etwa. Erst nachdem die WM dorthin vergeben worden war, realisierte der Weltverband, dass Fußballspiele bei 50 Grad im Sommer vielleicht doch keine gute Idee sind. So musste man nahezu den gesamten Jahresterminkalender des globalen Fußballs für 2022 neu ordnen, um die WM im Winter spielen zu können. Dass die WM-Vergabe an Katar nicht von Vernunft, sondern von offenkundig anderen Interessen geleitet war, liegt auf der Hand.

Wenn man Doping- und Korruptionsprobleme zusammenfasst: Bräuchte es nicht eine Demokratisierung der Verbände?

Es bräuchte eine Demokratisierung und Modernisierung des gesamten Sportwesens. Ein Hauptmanko: Der weltweit in Verbänden organisierte Sport kontrolliert sich weitgehend selbst. Er ist Promoter des Business, versucht am Rad der Kommerzialisierung immer ein Stück weiter zu drehen. Gleichzeitig pocht der Sport in seinen Sonntagsreden auf die Einhaltung von Verhaltensstandards, plädiert etwa für null Toleranz in Sachen Doping. Verbände proklamieren also ethische Standards, deren Ausreizen sie durch ihr Geschäftsmodell aber systemimmanent in Frage stellen. Der Promoter als Kontrolleur zugleich – ein Interessenkonflikt, der nicht gutgehen kann.

Es bräuchte viel mehr Kontrolle von außen. Und eine demokratischere Teilhabe von Athleten. Sie sind das Herz des Sports, ohne sie gäbe es den Sport schlicht nicht. Aber oft sind sie es, die am wenigsten Macht und Einfluss in den Funktionärsetagen haben. Ich verstehe, wenn immer mehr Athleten das nicht mehr hinnehmen wollen, eigenständige Athletenvertretungen gründen, transparentere und demokratische Strukturen einfordern.

Die Doping- und Korruptionsskandale der vergangenen Jahre haben Spuren hinterlassen. Sport ist bei weitem eben nicht der schöne Schein, den uns die Hochglanzbilder vorgaukeln. Auch im Fußball nicht. Nur, weil die Menschen die WM im Fernsehen gucken, heißt das noch lange nicht, das sie goutieren, was die Fifa macht. Einschaltquoten sind kein ethisches Argument.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.