ARD-Doku-Krimi „Die Luther Matrix“: Whistleblower Martin
Anlässlich des Lutherjahres verarbeitet die ARD den Kirchenkritiker als Krimistoff – herausgekommen ist ein bizarres Machwerk.
Er hat den Verfassungsschutz gehackt, BND und MAD und Interpol dazu. Auf „NSA-Niveau“. Als Whistleblower spielt er in der Liga Ed Snowden, mindestens. Er ist der abtrünnige IT-Chef des Kanzleramts. Jetzt sitzt er (Marek Harloff) in der Verhörzelle – und was erzählt er der Frau (Sheri Hagen) aus der Abteilung 4, Spionageabwehr, Geheim- und Sabotageschutz?: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen.“
„Was kommt der uns mit Martin Luther?“, fragt der Chef (Stephan Schadt) des Cyberabwehrzentrums fassungslos. Kollege (Michael Steinocher) fragt: „Dieser schwarze Typ, der erschossen wurde in Amerika?“
Das Lutherjahr 2017 verlangt, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk seiner annimmt. Die Sache mit dem Programmauftrag. Das Nächstliegende, ein Luther-Biopic, erschien den ARD-Fernsehbeamten offenbar zu simpel oder zu ambitiös oder beides. Gibt es ja auch schon längst als internationale Koproduktion – mit Joseph Fiennes als Luther. Da mit- und gegenzuhalten hat man dem ZDF überlassen, deren Zweiteiler „Himmel und Hölle“ – mit Maximilian Brückner als Luther – noch kommt.
Die ARD hat zunächst das Zweitnächstliegende gemacht und ihre Historienfilmreihe um bislang nicht hinreichend gewürdigte emanzipierte Frauen fortgesetzt: Nach Margarethe Steiff, Bertha Benz, Clara Immerwahr, Bertha von Suttner gab es im Februar den Film über Katharina Luther – mit Devid Striesow als (Martin) Luther.
„Spielfilm/Doku-Hybrid“
Offenbar musste noch ein zweites Filmprojekt hinterher. Welches Filmgenre begeistert derzeit die Zuschauer? Der Krimi (siehe Rekordquote letzter Münster-„Tatort“). Und welche Institution drangsaliert die Menschen heute so wie vor 500 Jahren die katholische Kirche? Nun ja, der Überwachungsstaat. Das ist dann schon etwas weiter hergeholt. Und wird sogleich konterkariert von der sagenhaften, nicht gerade angsteinflößenden Dämlichkeit, die der Film – der „Spielfilm/Doku-Hybrid“ (ARD) – dem Personal dieses Überwachungsstaats unterstellt.
„Die Luther Matrix“, Buch und Regie: Tom Ockers. Dienstag, 11. April, 23 Uhr, ARD.
Kaum hat der Superhacker Luthers Worte zitiert, besucht die Superermittlerin (Annett Fleischer) anerkannte Luther-Experten wie Margot Käßmann, Botschafterin des Reformationsjahres 2017, und Peter Gauweiler. Der frühere CSU-Politiker sagt Sätze wie: „Wenn meine Aufgabe ist, der Hausmeister zu sein, dann hab ich mal zunächst die Ordnung einzuhalten. Denn ohne Ordnung herrscht das Chaos.“
So kommt die Ermittlerin nicht weiter, sie reist nach Rom, immer in Verbindung mit dem Cyberabwehrzentrum: „Also ich war jetzt gerade bei dem Kardinal Müller. Das ist ja der Chef von der Glaubens-, ähm, also von der Inquisition. Megainteressant. Aber der hat mir jetzt noch ’n heißen Tipp gegeben. Und zwar hab ich jetzt ’n Termin bei dem Kardinal, der sich mit der kompletten Geschichte von der Kirche, ähm, beschäftigt hat. Zu dem geh ich jetzt. Brandmüller heißt der, genau.“ Und dieser Kardinal Brandmüller von der katholischen Kirche sagt dann tatsächlich den besten Satz des ganzen Films über Luther, dessen Komik er allein nicht ermessen kann: „Ich glaube nicht, dass er in der Lage war, sich selber in Frage zu stellen.“
Liebe ARD, wir danken dir für alle Experimente. Die können auch mal schiefgehen. „Die Luther Matrix“ schießt als bizarres Machwerk (Buch und Regie: Tom Ockers) im Auftrag des ARD-Koordinators für kirchliche Sendungen den Vogel ab. Die Krimihandlung ist nur die arg bemühte, allzu reißerisch sich andienende Klammer – zwischendurch herrscht das „Löwenzahn“-Prinzip: Leute werden besucht und zu dem Thema – Luther – befragt, es gibt animierte Bildergeschichten. Es fehlen: Latzhose, Bauwagen und Peter Lustig.
Die Polizisten müssen deshalb so dumm sein, weil Tom Ockers die Zuschauer, die er nach 23 Uhr für überwiegend nicht mehr im „Löwenzahn“-Alter hätte wähnen dürfen, für genau so dumm hält und verkauft. Wahrscheinlich hätte man es vorher wissen können. Das Deppenleerzeichen im Titel spricht bereits Bände.
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