AKW-Gegner wollen kompletten Ausstieg: Protest gegen Gorleben und Lingen
Atomkraftgegner fordern das Aus für die Atom-Brennelementefabrik in Lingen – und die Streichung des Salzstocks Gorleben von der Liste der Endlagerstandorte.
Der Besuch der Nachbarn ergibt Sinn: Betrieben wird die Lingener Anlage vom französischen Konzern Areva, und ihre Kundenliste liest sich wie ein Who’s who der internationalen Atomindustrie. Wie die Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestags-Linksfraktion mitteilte, wurden zwischen 2009 und 2014 aus dem Emsland heraus insgesamt 46 Reaktorblöcke mit Nuklearbrennstoff versorgt – darunter auch die als besonders gefährlich geltenden Atomkraftwerke Doel in Belgien sowie Cattenom und Fessenheim in Frankreich.
Lingen beliefert den „Bröckel-Reaktor“ Doel
Umweltschützer halten das für einen Skandal. Zusammen mit dem baugleichen Meiler Tihange gilt etwa der „Bröckel-Reaktor“ Doel – wie Nordrhein-Westfalens Grünen-Umweltminister Johannes Remmel es formuliert hat – als so gefährlich, dass die Düsseldorfer Landesregierung zum Schutz der Bevölkerung 21 Millionen Jodtabletten bestellt hat; der Wirkstoff soll verhindern, dass der menschliche Körper im Fall eines atomaren „Zwischenfalls“ über die Schilddrüse vermehrt radioaktive Partikel einlagert.
Die Brennelementefabrik Lingen bildet zusammen mit der Urananreicherungsanlage (UAA) Gronau und dem AKW Emsland einen Cluster der Atomindustrie im Dreiländereck zwischen Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und den Niederlanden.
In Lingen wird angereichertes Uran aus der UAA Gronau in Brennstabform gepresst – das ermöglicht den Einsatz des radioaktiven Materials in Atomkraftwerken überhaupt erst.
Beliefert werden auch Meiler in Frankreich, Belgien, Großbritannien, Schweden, Finnland, Spanien und der Schweiz.
Brennelementefabrik und UAA sind vom Atomausstieg ausdrücklich ausgenommen: Beide Anlagen haben eine unbefristete Betriebsgenehmigung – die Urananreicherung ermöglicht Deutschland zumindest theoretisch den Bau von Atomwaffen.
Übertrieben ist das nicht: In den Reaktordruckbehältern am Standort Doel fanden sich mehr als 16.000 Risse. Und im April warnte Luxemburgs Premier Xavier Bettel, bei einem GAU in Cattenom drohe sein Land „ausradiert“ zu werden.
Für gefährlich hält die Meiler auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Sie bat die belgische Regierung „dringend“, Doel und Tihange nicht wieder anzufahren – ohne Erfolg. Allerdings: Über das Bundesamt für Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa), das ihr in Atomfragen untersteht, genehmigt Hendricks die Lieferung von Lingener Atombrennstäben an die Risiko-Meiler.
„Doel, Cattenom oder Fessenheim können jederzeit hochgehen“, so Angelika Claußen von der Vereinigung Internationaler Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW), die ebenfalls zu der Demo in Lingen Ende Oktober aufruft. „Nichts kann widersprüchlicher sein, als trotzdem Brennelemente zu liefern.“
Umweltminister Wenzel soll Druck machen
Auch Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne), dem auch die Landes-Atomaufsicht untersteht, sei gefordert, findet Kerstin Rudek von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. Zwar habe sich die Umweltministerkonferenz – auf Druck Wenzels und seines NRW-Amtskollegen Remmel – für ein Ende der Brennstoffproduktion in Lingen ebenso ausgesprochen wie für ein Ende der Urananreicherung in Gronau, aber das reiche nicht, so die Aktivistin zur taz: „Beide Standorte haben eine unbefristete Betriebsgenehmigung“, sagt sie: „Es existiert überhaupt kein Ausstiegskonzept.“ Wenzel müsse mehr Druck auf Hendricks ausüben, fordert Rudek. Auch eine intensive Sicherheitsüberprüfung der Brennelementefabrik sei überfällig.
Verstärkt unter Druck ist Wenzel auch in der Frage einer möglichen Nutzung des Salzstockes Gorleben als Atom-Endlager. Seine jüngste Ankündigung, den „gesamten Erkundungsbereich“ Gorlebens noch vor der Landtagswahl Anfang 2018 außer Betrieb zu nehmen und „alle dazugehörigen Anlagen und Systeme“ entfernen zu lassen, seien bloßes „Politsprech“, kritisiert der Atomkraftgegner Wolfgang Ehmke, der sich ebenfalls in der BI Lüchow-Dannenberg engagiert. Für rund 30 Millionen Euro jährlich werde Gorleben in einem „Stand-by-Betrieb“ gehalten, argumentiert Ehmke – und fordert von der rot-grünen Landesregierung eine Bundesratsinitiative: „Deren Ziel muss sein, den unsicheren Salzstock Gorleben endgültig von der Liste möglicher Endlager zu streichen.“
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