AKW-Betreiber auf Super-GAU eingestellt: "Das ist nur noch Sterbehilfe"
Die Fukushima-Betreiber gingen offenbar von Anfang an davon aus, dass die Brennstäbe im Reaktor durchschmelzen könnten. Darauf deutet die Art ihrer Rettungsversuche hin.
BERLIN taz | Das Atomkraftwerk Fukushima I gerät mehr und mehr außer Kontrolle. Nachdem am Dienstag um 6.15 Uhr Ortszeit, das Reaktorgebäude 2 in die Luft geflogen ist, gibt es offenbar erstmals auch Schäden an einem Reaktordruckbehälter, nämlich den im Block 2.
Dadurch stieg die Radioaktivität am AKW sprunghaft an, Arbeiter mussten abgezogen werden – und alle weiteren Versuche, die drei überhitzten Reaktordruckbehälter mit Meerwasser und Borsäure vor einem Durchschmelzen zu schützen, werden immer schwieriger.
Ein Sprecher des AKW-Betreibers und der Regierung teilten mit, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass es im Atomkomplex zu einer Kernschmelze komme. Angesichts ihrer bislang betont zurückhaltenden Kommunikation verheißen solche Aussagen nichts Gutes.
Die offiziellen Informationen über den Kampf der Techniker, Feuerwehrleute und Soldaten um die drei durchgegangenen Atomreaktoren sind spärlich. Der Betreiber lässt keine unabhängigen Journalisten in die Zone, die kilometerweit um den Katastrophenort gelegt wurde.
Aus verschiedenen Details ergibt sich jedoch ein Bild der Hilflosigkeit angesichts einer Situation, die nach Meinung von Experten der Kontrolle der Behörden entglitten ist. "Das ist kein Management mehr", urteilte Mycle Schneider, international erfahrener Energieexperte aus Paris, schon am Montagnachmittag. "Das ist nur noch Sterbehilfe."
Nach seinen Informationen haben die AKW-Betreiber die drei Blöcke des AKWs Fukushima I (Daiichi) im Wert von mehreren Milliarden Euro längst abgeschrieben. "Sie fluten die Reaktoren mit Meerwasser, das ist das Ende der Anlage", sagt Schneider. "Es geht nur noch darum, den Druckbehälter mit der Kernschmelze darin von außen zu kühlen, um zu verhindern, dass er auseinanderbricht."
Den Druck abzulassen, löse zwar kurzfristig ein Problem, schaffe aber ein neues: Der Wasserstand im Reaktor nehme ab, die Kühlung lasse weiter nach. "In den französischen Atomvorschriften gilt das Druckablassen in einer solchen Situation als allerletzte Maßnahme", sagt Schneider. "Es ist eine hochriskante Maßnahme, weil keiner weiß, was danach passiert."
Für eine ähnlich verzweifelte Strategie hält Gerd Rosenkranz, Nuklearexperte der "Deutschen Umwelthilfe" (DUH), den Einsatz von Wasser, das mit der Chemikalie Bor versetzt ist. Der Stoff gilt als effizienter Neutronenfänger, der eine nukleare Kettenreaktion verhindern kann. "Die Behörden rechnen offenbar damit, dass der Druckbehälter platzt und der flüssige Kern herausläuft", sagt Rosenkranz.
Das Resultat wären dann mehrere schwere Dampfexplosionen, die die radioaktiven Teilchen in den Himmel schleudern würden. Die Borsäure im Wasser solle aber verhindern, dass in dieser nuklearen "Lava" wieder eine Kettenreaktion beginnt und es gar zu einer nuklearen Verpuffung kommt.
"Dazu passt die Meldung, dass die USA Löschmittel nach Japan geschickt haben", sagt Rosenkranz. "Diese Löschmittel sind sicher Borsalze, die man nach einer solchen Explosion aus einem Hubschrauber abwerfen könnte, um eine atomare Kettenreaktion zu verhindern."
Besonders besorgniserregend sei die Häufung von Atomkraftwerken am Standort Fukushima: Wenn ein Reaktor explodiere, sei der gesamte Standort nicht mehr betretbar. Der Ort müsse dann geräumt werden, und die benachbarten kritischen Reaktoren blieben sich selbst überlassen - bis sie möglicherweise selbst explodierten.
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