Szenarien für das Akw Fukushima: Wenn der Reaktorkern schmilzt

Der Reaktor 2 vom Akw Fukushima I war zwischenzeitlich ohne Kühlwasser. So heizte sich auch der Katastrophenreaktor von Harrisburg auf. Was im schlimmsten Fall passiert.

Zum Glück nicht explodiert: Das Foto zeigt den kontaminierten Reaktorraum im AKW Three Mile Island in Pennsylvania (USA) – 17 Monate nach der Havarie im Jahr 1979. Bild: ap

BERLIN taz | Nicht komplett, aber zu einem großen Teil freigelegte Brennstäbe wie im Reaktorblock 2 vom Akw Fukushima I gab es schon einmal in der Geschichte der kommerziellen Atomkraft: beim Reaktor Three Miles Island 2, gelegen in Harrisburg im US-Bundesstaat Pennsylvania. Damals, im März 1979, gab es eine Kette von technischen Defekten, mangelhafter Ausstattung und Bedienungsfehlern.

Im Reaktorkern sank daraufhin der Wasserpegel, die Brennstäbe lagen frei. Nach zwei bis drei Stunden waren die Brennelemente so heiß, dass sie zu schmelzen anfingen. Schließlich floss etwa ein Drittel des radioaktiven Materials, zu einem Klumpen geschmolzen, zum Boden des Druckbehälters aus Stahl und liegt dort bis heute.

Was passiert, wenn das tonnenschwere Material im Reaktorkern von Fukushima Daiichi 2 mit einer Temperatur von 2.000 Grad oder darüber unten auf den Boden des Stahldruckbehälters trifft, kann noch niemand sagen.

Die vier Meter hohen Brennstäbe im Block 2 sind aus einer Legierung des Metalls Zirkonium gefertigt. Zirkonium rostet sehr langsam und fängt auch weniger Neutronen weg als viele andere Materialien. Diese Neutronen werden im Normalbetrieb für die Aufrechterhaltung der Kettenreaktion, also zur Spaltung der Uran- oder Plutonioumkerne in ihrem Inneren gebraucht.

In den Zirkoniumröhren befindet sich das zu Tabletten gepresste Uranoxid. Zirkonium schmilzt bei etwa 1.900 Grad. Ein Reaktorkern ohne Kühlung wird ständig heißer, deshalb folgt irgendwann die Schmelze.

Die Reaktordruckbehälter bestehen aus zehn bis zwanzig Zentimeter starkem Edelstahl. Sie haben je nach Reaktortyp einen Innendurchmesser von fünf bis zehn Metern und üblicherweise eine Höhe von zwölf bis zwanzig Metern - bei Siedewasserreaktoren liegt sie eher an der oberen Grenze. Die Druckbehälter werden dann noch von einem Stahlbeton-Containment ummantelt.

Ungekühlt würde der Stahlbehälter schmelzen. Dann würde die lavaartige Zirkonium-Uran-Masse nach unten herauslaufen und sich eventuell auch durch den Stahlbetonmantel fressen.

Dies versuchen die japanischen Techniker zu verhindern, indem sie das gesamte Reaktorcontainment mit Wasser fluten. Sie hoffen, so von außen so viel kühlen zu können, dass der Kernbrennstoff nicht von innen durchschmilzt.

Wenn der Kernbrennstoff einmal das Innere des Reaktors verlassen hat, betreten alle Neuland, dann gibt es nur noch theoretische Überlegungen: Der Brennstoff könnte sich in die Erde fressen, er könnte auf dem Reaktorboden auseinanderlaufen. Alles Spekulationen, es gibt keinen Präzedenzfall.

Absolut tödliche Strahlung würde sich breitmachen. Denn in den Brennelementen sind außer dem relativ gering strahlenden Uran seine bei der Stromgewinnung entstandenen hochradioaktiven Spaltprodukte. Sie strahlen je nach Isotop tage-, monate- und jahrelang.

Die Menge an strahlendem Material in dem 760-Megawatt-Reaktor ist enorm. Anders als bei der Katastrophe von Tschernobyl ist ja nicht der größte Teil in die Atmosphäre entschwunden. Alles liegt noch vollständig im Reaktordruckbehälter bei Fukushima.

Wenn es aus der nur leicht befestigten Reaktorhalle nach außen dringt, wird die Umgebung verseucht. Mit Jod, das die Schilddrüsen aufnehmen, mit radioaktivem Cäsium, das der Körper überall einbaut, weil es chemisch wie Natrium ist.

In Harrisburg blieben diese strahlenden Isotope in der geschmolzenen und nach Tagen wieder erstarrten Masse gefangen. Die wenige hundert Kilometer entfernten 35 Millionen Tokioter können nur hoffen, dass dies in Fukushima ähnlich gelingt.

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