85. Geburtstag des Schriftstellers Ror Wolf: Das sind die Worte, das ist die Lage
Dem Dichter der gesprochenen Sprache zum 85. Geburtstag: „Die Gedichte“ von Ror Wolf sind jetzt vollständig in einem Band erschienen.
Für ihn lässt sich schlecht werben. Die Begeisterung, die Freude an Ror Wolfs Worten kann man eigentlich nur weitergeben wie einen Staffelstab. Es muss schon jemand bereitstehen, der ihn nehmen will.
Das Einzige, was einem bleibt, ist ihn demonstrativ hochzuhalten. Dass andere ihn sehen und greifen. Ror Wolfs Sprachkunst wird im Feuilleton regelmäßig gelobt, vielen gilt der 1932 geborene Schriftsteller und Künstler als der größte lebende deutsche Dichter überhaupt, unbestritten ist er der größte deutsche Fußballdichter.
Ihn auf diesen Teil seines Werks beschränken zu wollen, wäre allerdings ein Fehler, der Großteil seiner Lyrik spielt außerhalb des Fußballfelds, wie der bei Schöffling & Co. erschienene Band „Die Gedichte“ umfassend belegt. Als Dichterfürst taugt er andererseits auch nicht so recht. Große Gesten, Pathos und sonstige Unannehmlichkeiten, die einem mitunter in Gedichtform begegnen, finden sich bei Ror Wolf nicht.
Dafür findet sich ein besonders wacher Sinn für die gesprochene Sprache, wie für ihn überhaupt fast alle Wörter der Dichtung würdig sind, verbunden mit einem Formsinn, der keine Furcht vor gereimten Versen im Allgemeinen oder vor Sonetten im Speziellen kennt. Hinzu kommt ein Humor, der Abstand zu reinen Blödeleien wahrt, sich dafür ohne zu zögern mit Drastik, Schrecken oder dem Elend des Menschen paart. Vielleicht ist es diese Eigenart, die manchen kauzig oder gar unheimlich vorkommt. Klamauk ohne Nebenwirkungen ist mit ihm nicht zu haben.
Ror Wolf: „Die Gedichte“. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2017, 576 Seiten, 25 Euro
Selbst da, wo er sich scheinbar ganz dem Klang des Sprachmaterials hingibt, blitzen Abgründe oder andere Überraschungen auf. Auch in seinen Wiederholungen, unermüdlichen Wiederholungen, wie das legendäre unaufhörliche Fallen seines „Helden“ Hans Waldmann in „ruhe ruhe“, der von Strophe zu Strophe in immer neue Senken, Gruben oder Trichter stürzt, beginnend mit den Zeilen: „aus der ferne grüßt der watzmann spitz / und hans waldmann fällt in einen schlitz“.
Ausschließlich seinem eigenen Programm verpflichtet
In Wolfs Poetik können die Grenzen zwischen Worten und dem, was sie bedeuten, schon mal verschwimmen: „Aus den Taschen fällt das Wort Genuß / außerdem Verdruß und Mus und Schluß.“ Wie Friedmar Apel im Nachwort ausführt, lässt sich Wolf mit diesen Verfahren nicht auf einen Begriff wie Surrealismus oder ein anderes literarisches Programm festlegen – er ist ausschließlich seinem eigenen Programm verpflichtet: „Das sind die Worte und das ist die Lage.“
Diesmal sind sie übrigens wirklich vollständig. Zumindest was den bisherigen Stand angeht. Der Band „Die Gedichte“ ist nicht einfach ein im Format verkleinerter Nachdruck des Bands „Im Zustand vergrößerter Ruhe“ von 2009, da sich das publizierte lyrische Werk Ror Wolfs in der Zwischenzeit noch einmal um die Sammlung „Die plötzlich hereinbrechende Kälte im Dezember“ erweitert hat. Dem trägt der neue Band Rechnung.
Neben einer Auswahl „Gelegenheitsgedichte aus dem Nachlass“ aus der Zeit von 1959 bis 2013 kommt es noch einmal zu einem Wiedersehen mit Hans Waldmann. Diesmal hat sich Wolf „Hans Waldmanns endgültiges Verschwinden“ und „Fünf letzte Versuche Hans Waldmann endgültig verschwinden zu lassen“ vorgenommen. Eine zunehmende Melancholie lässt sich dabei nicht leugnen. Eine Wolf’sche, lakonische, komische Melancholie.
Für den Dichter, der heute 85 Jahre alt wird, ein kompakt-schönes Geschenk. Möge sich nicht bewahrheiten, was er am Ende von „Hans Waldmanns letztes Abenteuer zweite Fassung“ schreibt: „Hans Waldmann: rauchend, stumm und leicht gebogen, / ist jetzt, am Ende, schwarz davongeflogen.“
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