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75 Jahre Paritätischer WohlfahrtsverbandTrotz Kürzungen in die Zukunft

Der Berliner Paritätische feiert voll Stolz Jubiläum. Doch bei aller Freude: Auch der Wohlfahrtsverband ist von Kürzungen betroffen.

Endlich Geburtstag: Paritätische-Chefin Gabriele Schlimper (3.v.l.) und ihr Vize Martin Hoyer (1.v.l.) Foto: Holger Groß

Berlin taz | Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin feiert Jubiläum: Seit 75 Jahren vereinen sich soziale Organisationen aus Pflege, Gesundheit, Kinder- und Jugendhilfe, Suchthilfe, Flüchtlingshilfe und vielen weiteren Bereichen unter seinem Dach. Aktuell hat der Paritätische über 800 Mitgliedsorganisationen.

Trotz Feierstimmung: Die Kürzungspolitik des Senats geht auch an ihnen nicht spurlos vorbei. „Die finanzielle Situation in den Bezirken ist mehr als unsicher“, sagte Martin Hoyer am Freitag bei einer kleinen Feier. Dem stellvertretenden Geschäftsführer des Paritätischen zufolge hätten die bezirklichen Finanznöte wiederum Auswirkungen unter anderem auf die soziale Betreuung und Versorgung in der Kinder- und Jugendhilfe.

Auch die 62.000 Mitarbeitenden müssten bezahlt werden. Ihnen stehe wie den Be­am­t*in­nen im öffentlichen Dienst eigentlich eine Tarifsteigerung um 5,5 Prozent zu. Aber, so Hoyer: „Ob und wann diese kommt, ist völlig unklar.“

Dabei sei im System viel Geld vorhanden, sagte die Geschäftsführerin des Wohlfahrtsverbands, Gabriele Schlimper. Das Problem: „Eine Menge davon wird in zu viel Bürokratie versenkt.“ Deshalb fordert der Paritätische weniger Verwaltungsbürokratie – „und damit mehr Zeit, um den Menschen zu helfen“.

Konkret pocht der Verband auf eine 12-Prozent-Pauschale für die Verwaltungsausgaben ihrer Mitgliedsorganisationen, eine stärkere Festbetragsfinanzierung und längerfristige Förderungen. Normalerweise müssen Projektfinanzierungen jedes Jahr neu beantragt werden. „Das sind bei langfristigen Projekten wie der Schuldnerhilfe verlorene Ressourcen“, sagte Hoyer.

Wissen, wo es knirscht

Es sei auch ein Modellprojekt zur budgetorientierten Steuerung in Planung. Dabei würde das Personal bedarfsgerecht und nicht – wie sonst üblich – stundenweise abgerechnet. So könnten die Mitarbeitenden ihre Zeit je nach Bedarf mit den Kli­en­t*in­nen verbringen und müssten die Dauer der individuellen Betreuung nicht minutiös erfassen. „Dafür brauchen wir natürlich ein stärkeres Vertrauen in die Träger“, betonte Schlimper am Freitag.

„Unsere Mitgliedsorganisationen wissen am besten, wo es knirscht“, sagte der Vorstandsvorsitzende des Paritätischen, Stefan Dominik Peter. Und dass es angesichts der Einsparungen des Senats knirschen werde, da waren sich die Geladenen einig. „Jeder eingesparte Euro kommt uns als Gesellschaft teuer zu stehen“, so Gabriele Schlimper. Den Menschen zu sagen, „ihr seid uns zu teuer“, sei „despektierlich“.

Beispiel Suchthilfe. Heike Drees organisiert als zuständige Fachreferentin beim Paritätischen regelmäßige Tagungen für soziale Träger in ihrem Bereich zur Vernetzung und zum Austausch. Und sie vertritt die Interessen suchtkranker Menschen gegenüber der Politik. Oder besser gesagt: Sie versucht es zumindest. „Zurzeit haben wir große Sorge vor einer Fentanyl-Schwemme“, sagte Drees am Rande der Feier zur taz. Es brauche weitere Drug-Checking-Angebote und Konsumräume. Beim schwarz-roten Senat finde sie dafür aber kaum Gehör.

Unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes bringen sich über 30.000 Ehrenamtliche ein. Die Menschen in Berlin seien soziale Wesen, sagte Gabriele Schlimper. Ob während Corona oder bei den vielen ankommenden Geflüchteten: Die Ber­li­ne­r*in­nen hätten Initiative gezeigt. „Und wir haben das Ohr auf der Straße und helfen ihnen, sich selbst zu helfen.“

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