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75 Jahre Anschluss ÖsterreichsÖsterreich, du Opfer

Opfer, Täter oder beides? Zum 75. Jahrestag des deutschen Einmarschs in Österreich bleibt der alte Streit, wie freiwillig das Land Hitlers Reich beigetreten ist.

Geht immer! Auch in Österreich Bild: dpa

WIEN taz | Auch 75 Jahre nach dem Anschluss Österreichs an Nazideutschland streiten sich die Österreicher über die historische Wahrheit. Am 12. März 1938 war die Wehrmacht in Österreich einmarschiert, einen Tag später folgte der sogenannte Anschluss Österreichs ans Dritte Reich. Im Mittelpunkt einer Gedenkstunde, zu der sich Montagvormittag mit Bundespräsident Heinz Fischer und Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) die Spitzen der Republik auf dem Wiener Zentralfriedhof einfanden, standen die Opfer der nationalsozialistischen Justiz.

Ohne solche Gedenkfeiern würden sich die Ereignisse von damals kaum mehr im kollektiven Gedächtnis halten. Gerhard Jagschitz, emeritierter Professor für Zeitgeschichte von der Uni Wien, sorgt sich gegenüber der taz: „Die gegenwärtige Generation hat keinen historischen Bezug mehr, und ich glaube auch, dass generell das Geschichtsbewusstsein der Jugend abnimmt.“

Wie zur Bestätigung dieser These hat das Linzer Market-Institut eine Umfrage veröffentlicht, deren Resultat zu denken geben sollte. 61 Prozent der Befragten wünschen sich demnach einen „starken Mann“ an der Spitze des Staates. 57 Prozent stellen sich vor, dass bestimmte Leistungen des Staats nur „dem eigenen Volk“ zustünden. Und immerhin 42 Prozent meinen, „unter Hitler war nicht alles schlecht“.

Freiwilliger Anschluss

Zur Frage, ob Österreich 1938 freiwillig oder unter Hitlers Zwang dem Deutschen Reich beigetreten sei, sehen 53 Prozent einen freiwilligen Anschluss. Und 46 Prozent sind der Meinung, dass Österreich Opfer der deutschen Expansionspolitik gewesen sei.

Mit dieser Frage haben sich schon Generationen von Historikern auseinandergesetzt. Gerhard Jagschitz meint, dass der Eindruck, der durch Filmaufnahmen von jubelnden Massen erweckt wurde, kein vollständiges Bild abgebe, da „die Verfolgungsmaßnahmen nicht visualisiert wurden. Es hat keine damals publizierten Fotos von Verhaftungen von politischen Funktionären des Ständestaates gegeben.“

Manche von diesen Bildern, die Hitler in unvorteilhafter Pose oder die Demütigung von Juden zeigen, werden erst jetzt veröffentlicht, etwa in der Ausstellung „Nacht über Österreich“ in der Nationalbibliothek. Eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Österreichs, die Kanzler Kurt Schuschnigg für den 15. März angesetzt hatte, hätte wohl eine Mehrheit für die Eigenstaatlichkeit gebracht. Deswegen dürfte sich Hitler auch zum sofortigen Einmarsch am 12. März entschlossen haben.

Wenige Tage vorher hatten die seit 1934 verbotenen Sozialdemokraten und Gewerkschafter bei Kanzler Schuschnigg vorgesprochen und einen nationalen Schulterschluss gegen den bevorstehenden „Anschluss“ vorgeschlagen. Vermittelt wurde das Gespräch übrigens von Otto Habsburg, dem Sohn des letzten Kaisers. Schuschnigg lehnte ab.

Jagschitz und praktisch alle Historiker glauben nicht, dass Österreich durch militärischen Widerstand gegen den Einmarsch die Annexion hätte verhindern können. Allerdings hätte man sich eine glaubwürdigere Position nach dem Krieg verschafft. Unbestritten ist, dass Österreicher sowohl Opfer als auch Täter waren. Die Ausschreitungen gegen die Juden unmittelbar nach dem Anschluss waren so rabiat, dass deutsche Nazis mäßigend eingriffen.

Dennoch wurde lange Zeit ein Opfermythos gepflegt. In den letzten 25 Jahren wurde jedoch viel Aufklärungsarbeit betrieben. Eine wichtige Rolle spielten dabei Zeitzeugen, die in die Schulen gingen. Deswegen ist Jagschitz optimistisch: „Den jungen Menschen kann man die Opferrolle nicht mehr aufdrängen. Die ältere Generation ist, ganz roh gesagt, wohl ein biologisches Problem. Die jüngeren Österreicher haben, glaube ich, ihre Lektion gelernt.“

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8 Kommentare

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  • KS
    Karl Sonnenschein

    Nun ja, die Oesterreicher leben ganz sicher in ihrem eigenen Paralleluniversum.

     

    Weitaus bedenklicher finde ich die Tatsache das man die Leute auch heute noch beliebig Gehirnwaschen kann und wie eh und je auf die Schwaecheren in der Gesellschaft eindrischt.

     

    Im Umgang mit Hartz IV Empfaengern in Deutschland und der europaeischen Migrationspolitik muessten eigentlich schon die Alarmglocken klingeln.

  • C
    Cato

    Der Anschluß Österreichs 1938 erfolgte weil das dt.

    Reich durch die betriebene Hochrüstung bankrott war.

    Mein Großvater Leopold erzählte mir die wahre Geschich

    te: Da fuhr der bayer. Hilfszug in den Westbahnhof.

    Da wurde dann Wehrmachtseintopf für den "hungrigen"

    Wiener gekocht. Die im Zug befindliche SS drang auf

    den Gürtel vor, beschlagnahmte mehrere LKW, fuhr

    damit direkt zur österr. Staatsbank, beschlagnahmte

    die dort liegenden Gold/Devisen und brachte die

    schnellstens zurück zum Bahnhof, der Zug fuhr dann sofort ab Richtung DR! Das ist die Wahrheit!

  • J
    J.Riga

    Österreich ist ein Teil Deutschlands und wird es immer bleiben. Ohne Österreich ist die deutsche Geschichte nicht zu schreiben. Es ergibt einfach keinen Sinn, von der BRD als "Deutschland" zu sprechen.

  • KK
    Karl K

    "… Allerdings hätte man sich eine glaubwürdigere Position

    nach dem Krieg verschafft.…"

     

    Das - hatten die Schluchtenscheißer gor et nedig!

    Denn - Tu felix Austria nube. x-te Var.

     

    "Am 27. April 1945 – also noch vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges – wurde die Unabhängigkeitserklärung Österreichs proklamiert. Am 29. April trat die provisorische österreichische Staatsregierung zusammen (zehn Vertreter der SPÖ, neun ÖVP, sieben KPÖ und drei unabhängige). Die Abgeordneten der KPÖ kamen zumeist direkt aus Moskau, wo sie im Exil gelebt hatten. Anfangs war die Regierung nur von der Sowjetunion anerkannt; die USA, Großbritannien und Frankreich folgten aber im Verlauf des Jahres. "

     

    Und der großartige unvergessene Brumo Kreisky setzte dem die Krone auf, indem er es schaffte mit der Nichtwiederbewaffnungserklärung die Besatzungsmächte rauszubugsieren.

     

    Während unsere Geistesheroen - es muß alles demokratisch aussehen -

    der Ost-wie-West-Piefkei - Walter Ulbricht/Konrad Adenauer - sich in den

    Ost/West-Konflikt des Kalten Krieges - nunja reinziehen ließen.

  • Z
    Zyniker

    Hier geht es doch um Österreich, warum steht dann dieser Artikel unter der Rubrik Deutschland ???

     

    Oder ist es schon wieder so weit und es heist demnächst Ostmark ???

  • I
    ilmtalkelly

    Die Haltung vieler Ösis zur Nazi-Vergangenheit erinnert mich an das ertappte Kind, was seinen Kupanen denunziert, er hätte ihn dazu verführt, wäre sein Opfer geworden. Kollektive Selbstwertkrise.

  • D
    D.J.

    Sicher, das entweder-oder ist Unsinn. Die einen waren eher Täter, die anderen eher Opfer. Der Begriff der "Täternation" ist bekanntermaßen Unfug. Zu den Individuen, die zu jener Zeit eher Täter waren, würde ich auch den Chef der Sozialdemokraten, Karl Renner, zählen, der in der Presse aufrief, für den Anschluss zu stimmen (ein gern vergessenes Kapitel). Dennoch musste er dann emigrieren, war also schließlich Opfer. Aber noch während des 2. WK distanzierte er sich von der u.a. von den österreichischen Monarchisten propagierten Eigentstaatlichkeit Österreichs. Schändlich dabei: Renner wurde nach dem 2. MK (wieder) Bundeskanzler, während Otto von Habsburg, entschiedener Gegner des Anschlusses und von den Nazis in Abwesenheit zum Tode verurteilt, bis 1961 u.a. auf Renners Einspruch das Land nicht betreten durfte.

  • J
    Jupp

    Ohne eine Betrachtung der Beschlüsse von Versailles nach dem ersten Weltkrieg sind solche Betrachtungen ohnehin müßig.

     

    Und wenn man darauf nicht eingeht kann man sich getrost der Gegenwart zuwenden, denn die Vergangenheit zählt sonst nur in einem ausgewählten Rahmen, mal gerade wie es einem passt.

     

    Also sollte man nun auf ein Europa der Regionen und Länder setzen, die zueinander durchläaaig sind.

     

    Und wer möchte bestreiten, dass Hitler Österreicher war, zumindest eine Zeit lang.