68. Filmfestspiele Venedig: Lautes Treiben, leise Filme

George Clooneys Eröffnungsbeitrag der Filmfestspiele bringt solides Handwerk. Dokumentarist Frederick Wiseman betrachtet gern Frauenhintern.

George Clooneys The Ides of March eröffnet die diesjährigen Filmfestspiele in Venedig. Bild: reuters

VENEDIG taz | Bevor es richtig losgeht, gehört das Festivalgelände den Bauarbeitern. Vor der Lions-Bar tragen sie ein Gerüst ab, die Metallstangen knallen auf die Ladefläche eines Lastwagens. Am nördlichen Ende des Festivalgeländes erstreckt sich eine riesige Baustelle, hier soll der neue Palazzo stehen, doch im Augenblick ruht die Arbeit, eine weiße Plane bedeckt die Fläche, als wären Christo und Jeanne-Claude am Werk gewesen. Am frühen Abend weht Musik von der Terrasse des Hotel Excelsior herüber, "Volare" in verschiedenen Variationen.

Der Eröffnungsfilm, "The Ides of March" von George Clooney, ist leiser, obwohl es um ein lautes Geschäft geht, nämlich um das der Politik, genauer: um den Vorwahlkampf im US-Bundesstaat Ohio. Im Mittelpunkt steht der junge, ehrgeizige Wahlkampfstratege Stephen Myers, gespielt von Ryan Gosling. Er arbeitet für einen der beiden demokratischen Kandidaten Mike Morris (Georg Clooney), der linksliberal und beliebt ist. Als potenzieller Präsidentschaftskandidat ist er den Republikanern ein Dorn im Auge, sodass sie ihn auszubooten versuchen, indem sie seinen Konkurrenten, einen Mann ohne Charisma und ohne Aussicht auf Wahlerfolg, unterstützen.

Steven wiederum ist in einer ähnlichen Lage: Er hat Charme, ist clever, und gerade weil er sich so gut auf das versteht, was er tut, wollen ihn seine Gegner zu Fall bringen, indem sie ihn in eine Intrige verwickeln. Was "The Ides of March" antreibt, ist die Frage, was das mit dem jungen Helden macht, ob er sich seine Ideale bewahrt oder sich durchsetzt, indem er selbst intrigant wird. Darin ist der Film ein wenig vorhersehbar, was nichts daran ändert, dass man Ryan Gosling sehr gerne zuschaut.

Wenn der Eröffnungsfilm solide ist, aber nicht begeistert, so stört das nicht weiter, läuft doch in der Nebensektion Giornati degli autori ein unbedingt sehenswerter neuer Film von Frederick Wiseman, "Crazy Horse". Nachdem sich der 81 Jahre alte Dokumentarist 2009 in "La Danse - Le ballet de l'Opera de Paris" mit dem Ballett der Pariser Oper befasst hat, widmet er sich nun einer anderen Pariser Tanzinstitution, dem Nachtclub Crazy Horse.

Mit dem für ihn so typischen, ruhig-registrierenden Blick verfolgt er Arbeitsbesprechungen, bei denen der Regisseur auf seinen künstlerischen Visionen beharrt, während die Geschäftsführerin ins Feld führt, was die Aktionäre wünschen: keine Unterbrechung des laufenden Betriebs zugunsten von Proben. Er schaut den Tänzerinnen beim Schminken und Anlegen der Kostüme zu. Bei einem Casting müssen die Kandidatinnen ihren Hintern so weit herausstrecken, dass sie in eine absurde, entenähnliche Position geraten. Die Hintern haben es Wiseman stark angetan - er begibt sich in die ambivalente Position, die Objektivierung von Frauenkörpern einerseits zu sezieren und sie andererseits - durch Close-Ups einzelner Körperteile - voranzutreiben.

Zugleich kommt klar zum Vorschein, was für eine harte Arbeit in den einzelnen Tanznummern steckt und wie viel Körperkontrolle dafür nötig ist. Darin ist der Nachtclub dem Ballett durchaus verwandt, und der Gedanke liegt nahe, dass die hochkulturellen Darbietungen in der Oper ähnlich gelagerte Schaulüste befriedigen wie die Strip-Nummern: die Neugier auf den Körper in Bewegung. Verglichen mit der Silikon-gepushten Nacktheit der Internetpornografie hat das Crazy Horse etwas entschieden Altmodisches. In einer Szene träumt der künstlerische Direktor denn auch allen Ernstes davon, mit der Show das Unterbewusstsein seiner Zuschauer zu berühren, wie es einst die Filme von Federico Fellini oder Rainer Werner Fassbinder taten.

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