Duftender
Bandsalat

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Der Geruch, der verströmte, wenn man mit dem roten Plastikbändchen das Cellophan um eine neue Kassette öffnete, war ganz typisch. Leicht süßlich und mit Plastik-Note, doch ohne Kopfschmerzen verursachende Schärfe. Neu und irgendwie magnetisch anziehend. Der Geruch bedeutete Verheißung, ich sog ihn tief ein: Denn mein jugendliches Ich konnte nun endlich wieder volle 60, 90, später auch 120 Minuten Musik nach eigenen Wünschen zusammenstellen.

Ich bediente mich an Reggae-Acts wie Althea & Donna oder Musical Youth, den Achtziger-Ikonen von Madonna bis Prince oder Interpreten der aufbrandenden Neuen Deutschen Welle. Das Ergebnis war meist für mich selbst oder einen Menschen, dem ich besondere Zuneigung entgegenbringen wollte. Manchmal auch zusammengestellt als Soundtrack für die nächste Party in der Schule oder bei einem Freund im Keller.

Wie stolz ich war, wenn eine von mir kuratierte Compilation auf Feiern wie diesen eine ganze Seite lang durchlief, wie enttäuscht, wenn sie schon nach zwei Liedern wieder durch eine Kassette von jemand anderem ersetzt wurde. So viel Zeit und Arbeit steckten in einer Aufnahme.

Damit sich das aufgerollte schmale Tonband beim Transport nicht lockerte, waren im Boden der Hülle kleine Kunststoffsporne befestigt. Ein lockeres Tonband äußerte sich durch leiernde Melodien, einer Art Hilferuf der Kassette. Denn ihr drohte ein Bandsalat, und damit schlimmstenfalls der Tod.

Das Band ließ sich mit dem kleinen Finger oder einem Bleistift straffziehen. Eine routinierte Handbewegung, mit der ich vor Beginn einer Aufnahme sicherging, bloß kein bisschen des kostbaren Magnetbands zu verschwenden. Dabei orientierte ich mich an einem winzigen Schaumstoffklötzchen, das den Kontakt von Band und Tonkopf herstellte.

Ordentlich gestrafft steckte ich die Kassette in den Rekorder und begann mit der Operation: Um Knackgeräusche zu umgehen, drückte ich zunächst die Pausetaste, senkte dann den Tonarm des Plattenspielers an den Beginn des Liedes ab, bis er hörbar aufsetzte, um im richtigen Moment die Pausetaste ganz vorsichtig wieder loslassen. Wenn das Stück zu Ende war, drückte ich sie ähnlich behutsam wie am Anfang – Erschütterungen waren hörbar und daher zu vermeiden.

Viele Stunden saß ich so mit rundem Rücken auf dem Teppich in meinem Zimmer und trug dabei meine mit gelbem Schaumstoff bespannten Hi-Fi-Kopfhörer. Das Kreuz schmerzte, die Ohren schwitzten. Aber das Ergebnis war’s wert.

Mich selbst nahm ich nie auf, der ungewohnte Klang meiner Stimme war mir unerhört peinlich. Ganz stolz hingegen machten mich die Mixtapes: In Verbindung mit meinem Walkman war die Kompaktkassette das Spotify meiner Jugend. In dieser Woche wurde sie 60 Jahre alt. Und Spotify riecht nach nichts. Robert Philips