50 Jahre Pro Familia in Bremen: Die über den Sex reden
Als der Bremer Landesverband von Pro Familia gegründet wurde, waren die Ziele „Förderung der Volksgesundheit“ und die „Bekämpfung der Abtreibung“.
Als „Abbruchunternehmen“ hatte der Pressesprecher des katholischen Gemeindeverbands Wilhelm Tacke Pro Familia 1994 in einem Leserbrief an die taz bezeichnet. Er ärgerte sich darüber, dass der Verein mit einer Ausstellung im Rathaus geehrt worden war. Der Verein habe „in den letzten 25 Jahren die Lebenschancen von – rechnet man hoch – 60.000 bis 75.000 Kindern ausradiert“, schrieb Tacke, ein Gastautor der taz.
Was war geschehen? Eben noch „Bekämpfung der Abtreibung“, jetzt öffentlich gefördertes „Tötungshandwerk“, wie es in einem anderen Brief an die taz hieß. Im Zuge der Auseinandersetzung um eine Liberalisierung des deutschen Abtreibungsrechts in den 70er-Jahren hatten in Bremen Menschen Pro Familia übernommen, die sich für sexuelle Selbstbestimmung stark machten – nicht zuletzt von denjenigen, die eine Schwangerschaft sicher und unter Wahrung ihrer Würde abbrechen wollten oder mussten. „Wir wollen nicht mehr nach Holland fahren“, hieß der Slogan, mit dem Pro Familia Bremen 1979 neben der Beratungsarbeit das medizinische Zentrum gründete. Dieses war das erste seiner Art in Deutschland und Vorbild für weitere ambulante Kliniken, die Abtreibungen und Sterilisationen vornahmen sowie Spiralen legten.
Dass das Bremer Zentrum als eins von nur noch vieren in Deutschland überlebt hat, führt Geschäftsführerin Monika Börding auf „ein politisch wohlwollendes Klima zurück“. So hatte sich die Landesregierung Mitte der 90er-Jahre dafür eingesetzt, dass die kassenärztliche Vereinigung (KV) eine Entscheidung zurücknahm, die das Aus für das Zentrum bedeutet hätte. Die KV hatte den beiden dort arbeitenden Ärzten die Ermächtigung entzogen, da sie angeblich „dem Facharztstandard nicht genügen“. Zudem hatte sie argumentiert, es gebe für das Angebot von Pro Familia „keinen Bedarf“.
Dabei waren nur wenige Bremer Gynäkolog*innen bereit, ambulante Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Auch heute noch finden 75 Prozent aller Abtreibungen bei Pro Familia statt, die Hälfte der Frauen kommt aus Niedersachsen. Denn dort gibt es gleich mehrere Regionen, in denen weder niedergelassene Ärzt*innen noch Kliniken Schwangerschaftsabbrüche anbieten.
Dabei hat mittlerweile auch Pro Familia Bremen Probleme, Ärzt*innen als Nachfolger*innen ihrer Mediziner*innen zu finden. Einer arbeitet jetzt wieder im medizinischen Zentrum, nachdem er bereits in Rente geschickt worden war, neben einer jungen Ärztin, die mit nur 15 Wochenstunden beschäftigt ist. „Wir hoffen, dass nächstes Jahr eine aus Syrien geflüchtete Ärztin bei uns anfangen kann“, sagt Pro Familia Geschäftsführerin Börding.
Dabei ist das medizinische Zentrum nur ein Teil von Pro Familia. Der andere ist die Beratungsstelle, in der 30 Mitarbeiter*innen auf zwölf Vollzeitstellen arbeiten. Etwa die Hälfte der Beratungen finden laut Börding im Kontext der Zwangsberatung vor Schwangerschaftsabbrüchen statt. Pro Familia berät aber zu allen Fragen rund um Partnerschaft, Familie, Schwangerschaft, Verhütung und Sexualität. Zudem bieten die Mitarbeiter*innen sexualpädagogische Bildungsarbeit für Kinder und Jugendliche an. „Die Nachfrage ist riesig“, sagt Börding, „aber wir haben nicht genügend Ressourcen, um den Bedarf zu decken.“
Dabei seien die Bundesländer gesetzlich verpflichtet, ein ausreichendes Beratungsangebot zu Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung vorzuhalten. Nach allen bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen ist das das wirksamste Mittel, um Abtreibungen zu bekämpfen, wie es die Bremer Gründer*innen von Pro Familia vor 50 Jahren vorhatten.
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