40. Ryder Cup in Gleneagles: Schottische Löcher
Alle Welt glaubt, die Schotten hätten den Golfsport erfunden. Doch das ist keineswegs sicher. Eine Geschichte eines Sports vom Schlagen und Putten.
Am Anfang war der Schotte. Sagt der Schotte voller Stolz. Er habe das Spiel erfunden, irgendwann vor mehr als 500 Jahren, niemand sonst. Wie selbstverständlich glaubt die Welt, dass es schottische Schäfer waren, die sich langweilten und begannen, mit Stöcken runde Gegenstände in Erdlöcher zu zielen. Und wenn Schottland jetzt Gastgeber des mythenumrankten Ryder Cup ist, erstmals wieder nach 40 Jahren, spricht man offiziell von der Rückkehr der Veranstaltung ins „Home of Golf“.
Historisch ist das umstritten. Vor gut 20 Jahren wurde ein lateinisches Wörterbuch von 1545 entdeckt, in dem der niederländische Verfasser Pieter van Afferden eine Art Golfspiel beschrieb und dazu fünf Grundregeln erläuterte. Die Schotten konterten: Sie führten Urkunden an, nach denen ihr König das Golfspiel schon am 6. März 1457 verboten hatte.
Von wegen Golf, argumentierten Kontinentaleuropäer: Mit dem hoheitlichen Verdikt war eine Vorform des Hockeyspiels gemeint, ein im Mittelalter sehr wüstes Gehaue und Gestochere. Wann überhaupt ist ein Spiel Golf im Sinne von Golf? Wenn das Ziel ein Erdloch ist, sagen die Schotten. Gut, führen Niederländer an, putt bedeute seit Alters her im Flämischen Grube, also im weiteren Sinne Erdloch. Zudem sei ihr Wort kolfen. Schon 1360 gab es in Brüssel eine Verordnung, die golfähnliche Spiele auf den Straßen verbot. Dann gibt es noch die Rumänen, die auf Dokumenten mit Putting-Beschreibungen aus Sibiu von 1480 verweisen.
Auf der Insel war man lange stolz auf ein Kirchenbild in der Kathedrale von Gloucester aus dem 15. Jahrhundert, das einen Golfer zeige. Dann stellte sich heraus, dass das Bild einen Franzosen abbildet. Umgehend wurde er zum Lacrosse-Spieler umdefiniert. Tatsächlich gibt es die ältesten Golf-Bilddokumente aus dem 15. Jahrhundert aus Frankreich und Flandern. Die Franzosen verweisen zudem auf den persischen König, der im 15. Jahrhundert ihrem Königskollegen drei Golfbälle geschenkt haben soll: Nur: Wo hatte der Schenkende die Bälle her? Gab es im hoch entwickelten Land der zwei Ströme längst Fairways und perserteppichartige Grüns?
All die Ansprüche der Schotten nennt der Bonner Sporthistoriker Heiner Gillmeister „eine große Unwahrheit“. Neben anderen dient ihm als Kronzeuge der schottische Adelige Sir Gilbert Hay, der das königliche Verbot von 1457 eindeutig Hockey statt Golf zuschrieb.
Die Schotten waren empört. Ein Offizieller des Royal and Ancient Golf Club von St. Andrews, wo 1754 – unbestritten – der erste Golfclub der Welt gegründet wurde und heute die weltweiten Regelhüter ihren Sitz haben, schimpfte: „Nichts in dieser Forschungsarbeit lässt uns zweifeln, dass das Spiel, wie wir es heute kennen, an der Ostküste Schottlands erfunden wurde und sich von dort entwickelt hat.“ Gillmeister ist nicht irgendwer, sondern Autor des Artikels über Golfgeschichte – in der renommierten Encyclopedia Britannica.
Beste Vermarktungsmöglichkeiten
Zur taz sagt er: „Ich bin die Speerspitze der Bewegung, St. Andrews die Stirn zu bieten.“ Die schottische Tourismusindustrie sei es, die die Legende aufrechthalte. Schließlich wollten alle Golfer einmal im Leben in Schottland spielen – am liebsten auf dem Old Course in St. Andrews. Übrigens: Gleneagles, 40 Meilen entfernt, ist nicht etwa Austragungsort des Ryder Cup, weil dort einer der schönsten Plätze der Welt läge (was sicher nicht der Fall ist). Sondern weil die Besitzer von Gleneagles, der Guinness-Konzern, beste Beziehungen im Golf-Business haben und die Vermarktungsmöglichkeiten im „Herzen der Golfheimat“ am aussichtsreichsten sind.
Vielleicht aber wurde Golf noch viel früher erfunden – in Mittelerde. J. R. R. Tolkien schreibt in „Der kleine Hobbit“: „… und schlug ihrem König Golfimbul in der Schlacht auf den grünen Feldern mit einer hölzernen Keule glatt den Kopf ab. Der Kopf aber segelte über 100 Meter durch die Luft und fiel in ein Kaninchenloch. Auf diese Weise wurde im gleichen Augenblick sowohl die Schlacht gewonnen als auch das Golfspiel erfunden.“
Der Ryder Cup wird seit 1927 gespielt. Europa – USA, das ist eine Prestigeschlacht ohne finanziellen Anreiz, für alle Spieler (je zwölf pro Team) das wichtigste Event überhaupt. Es geht nur um den Ehrgeiz, es den anderen zu zeigen. Gemessen an Fernsehzuschauern ist der Ryder Cup das drittwichtigste Sportereignis der Welt – nach Fußball-WM und Sommer-Olympia. Das Vokabular ist gern martialisch („Das ist Krieg“) und stets voller Pathos. US-Kapitän Tom Watson, sonst ein ruhiger Zeitgenosse, meinte jetzt vor der 40. Auflage: „Vergeltung wird unter den Spielern sicher eine große Rolle spielen.“ Vergeltung der USA für die vielen Niederlagen der letzten 20 Jahre.
50.000 aufgepeitschte Menschen sind täglich dabei, in einer Mischung aus Volksfest und Fußballplatz. Es wird gebrüllt, gejubelt, gesungen, fast wie in der Südkurve. Auch die Spieler, sonst so stoisch konzentriert und cool, feuern sich giftig an, grinsen heimlich nach einem Fehler des Gegners, heulen nach Niederlagen schlosshundgleich oder stürzen sich nach dem Siegputt selbst in einen See – wie Paul McGinley 2002 in Birmingham.
Der Ire McGinley ist heute Europas Team-Captain. Die zwölf Spieler – Westwood, Garcia, Dubuisson, McIlroy, auch wieder Martin Kaymer – kommen aus zehn Ländern. Dass eine Mannschaft als Team Europa spielt, ist einzigartig und erfrischend unnationalistisch. Da bejubeln Engländer und Spanier den Deutschen und Schotten einen Holländer, so einer dabei wäre. Als Hymne für das Europa-Team läuft Beethovens Hymne an die Freude.
2012 gelang Martin Kaymer der entscheidende Putt zur Titelverteidigung. Europa hat von den letzten sechs Duellen nur eines verloren. Der letzte US-Sieg war 2008 – ohne Tiger Woods. Jetzt ist der Überflieger der vergangenen 20 Jahre nach Verletzung wieder nicht dabei. Ein Omen? Tatsache ist, dass der Exzentriker Woods im Teamwettbewerb regelmäßig sehr dürftig aufspielte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“