40 Jahre taz-Leibesübungen: Und ewig lebt das schöne Spiel
Ein Gründervater des taz-Sport-Ressorts, schreibt über die Liebe zum Fußball – die wird trotz aller Auswüchse des Gewerbes immer siegen.
D ie Fußball-Bundesliga ist auch 2023 ein Zuschauermagnet, die Stadien sind voller denn je, die Begeisterung für 22 Kurzbehoste im Rasenrechteck ist ungebrochen. Dabei sagt der nüchterne Realitätscheck: Die Liga ist eigentlich stinklangweilig, Meister werden jedes Jahr die mit der Lederhose. Dortmund, Leipzig und Leverkusen rangeln um die CL-Plätze, die anderen sind Rangiermasse.
Klar ist auch: Die Tabelle spiegelt die ökonomischen Verhältnisse der Klubs wider. Geld schießt – natürlich! – jede Menge Tore, und wer schon viel hat, bekommt noch mehr oben drauf. So verwandeln sich Bankkonten umstandslos in Knipser und Torjubel. Die Entlarvung des Bundesliga-Betriebs als hochgejazzter Teil der Unterhaltungsindustrie, als Aggressionsabfuhr für gramvoll Frustrierte, als Zementierung herrschender Verhältnisse – geschenkt. Alles gesagt. Wir wissen Bescheid: Diese Liga ist kein guter Ort für athletische Verrichtungen mit Ball und mit Chancengleichheit.
Auch die Fan-Kurve ist mit klinischer Präzision seziert worden. Alkoholisiert, grölend, ein wenig infantil, feindselig, überwiegend männlich, neuerdings mit kreativer „Choreo“ von Ultras, deren Leben auf einem halben Quadratmeter im Fanblock stattfindet. Wer dort steht, umzingelt von zirkuszeltgroßen Fahnen, bekommt vom Spiel kaum etwas mit. Trost spendet die Bettwäsche in den Vereinsfarben.
Das Fußballspiel ist mediale Inszenierung mit der Pflege von Sensationalismus, Fußballgöttern und Zwietracht-Konstellationen. Sabbernd wird nach möglichen Trainerrauswürfen, Ausrastern in der Kabine und auf dem Platz Ausschau gehalten, nach kurzen Stichflammen der Erregung. Es gibt strahlende Torschützen, aber keine Niederlagen mehr, nur noch Pleiten, Abstürze und Jeremiaden über Mannschaften, die „zerlegt“ wurden. Die gesteigerte Fußball-Marter indes ist die von Werbeblöcken und Allgemeinplätzen zerhackte Vor- und Nachberichterstattung. Diese Sendung wird ihnen präsentiert von Not und Elend.
Der honorige Weltverband
Genug des Schimpfs? Vielleicht noch ein Wort zum hehren Weltfußballverband. Der korrupt-mafiose Dachverband der beliebtesten aller Sportarten degradiert selbst das kolumbianische Drogenkartell zum netten Kaffeekränzchen, ohne dass es Konsequenzen hätte. Konsequenzlos bleibt auch, dass sich die Leitfiguren des Fußballs, einige der besten Spieler aller Zeiten, deren Trikots Hunderttausende Kinder und Jugendliche tragen, inzwischen mit stratosphärischen Gehältern im Land saudi-arabischer Mordgesellen verdingen.
Gut, es reicht jetzt! Denn das eigentliche Wunder ist doch: Der Fußball hat all diese widerlichen Entwicklungen überlebt. Die Fifa und Infantino und Saudi-Arabien und Qatar und Ronaldo und jedes Jahr die Bayern und Lothar Matthäus und alle Schweinsteigereien der Experten und Sky und Dazn und eine Million Werbeblöcke und wir haben jetzt den Torschützen am Mikrofon. Trotz allem und noch viel mehr: Der Fußball lebt. Und das ist wirklich ein Wunder.
Dabei hat sich auch das Spiel selbst stark verändert. Athletik und Tempo sind zu alles bestimmenden Größen geworden, die fußballerische Finesse rückt trotz kurviger Dribblings von Jamal Musiala ins zweite Glied. Es ist ruppiger geworden auf den Plätzen, das Foul Teil des Matchplans. Besonders nervig: Kein Pfiff nach Umsäbeln wird jemals ohne Lamento und Drama akzeptiert.
Doch der ästhetische Reiz ist geblieben. Die Schönheit. Die Spannung. Das ewige Spiel. Die Hoffnung auf die Underdogs. Auf Pauli, Heidenheim und den SC Freiburg mit Trainer Christian Streich, den alle als moralisches Bollwerk in einem verluderten Business verehren und lieben. Es ist ein Wunder, dass der Fußball noch lebt. Aber er ist nicht unzerstörbar. Wir sollten besser auf ihn aufpassen.
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