300 Werft-Arbeitsplätze entfallen: Kahlschlag bei Blohm+Voss
Bei der Hamburger Traditionswerft soll ein Drittel der 1.000 Arbeitsplätze wegfallen. Wegen der kritischen Lage will man nun Kriegsschiffe bauen.
Am Dienstagmorgen hatten Dehlke und der Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Borgschulte auf einer Betriebsversammlung die Belegschaft über ihre Pläne unterrichtet. „Hohe Kostenstrukturen, versäumte Investitionen und ein zu niedriger Auftragsbestand“ seien die Ursachen für die schwierige Lage des Unternehmens, sagten die beiden Manager. Deshalb seien einschneidende Maßnahmen notwendig, „um die Werft wieder wettbewerbsfähig und profitabel zu machen“.
Die Bremer Werftengruppe Lürssen, der führende deutsche Hersteller von Luxusjachten, hatte Blohm+Voss im November vorigen Jahres vom britischen Finanzinvestor Star Capital erworben und „ein langfristiges Engagement“ angekündigt. Die erste „umfassende Bestandsaufnahme“, sagte Borgschulte, sei aber ernüchternd ausgefallen. „Unsere Analyse zeigt, dass dringend erforderliche Investitionen ausgeblieben sind, Konstruktions- und Fertigungsprozesse nicht ausreichend modernisiert und die Kostenstrukturen nicht den realen Bedingungen angepasst wurden“, sagte er zur Unternehmensführung durch Star Capital.
Zeitgleich sei außerdem der Auftragsbestand im Schiffsneubau in Folge der seit Jahren andauernden Krise der Weltwirtschaft und Handelsschifffahrt erheblich gesunken. Hinzu komme, dass die schwache Auftragslage in Teilen des Reparaturgeschäfts das Unternehmen zusätzlich belaste. Dem Vernehmen nach soll die Werftengruppe mehrere große Aufträge für die Reparatur von Luxusjachten verloren haben.
„Vielzahl von Defiziten“ in der Unternehmensführung
Nun soll die Hamburger Werft sich innerhalb der Lürssen-Gruppe vor allem mit der Konstruktion und der Fertigung von Kriegsschiffen über Wasser halten. Damit will Lürssen sich auf den Bau weiterer Korvetten der Klasse 130 vorbereiten. Ab 2019 sollen drei oder vier dieser Schiffe für die Bundesmarine gebaut werden, auch ein Auftrag für vier Fregatten ist ab 2021 möglich. „Das sind Milliardenaufträge“, sagt Gewerkschafter Glass, „die sichern Beschäftigung für mehrere Jahre.“
Zudem soll Blohm+Voss aber auch zivile Aufträge abarbeiten. Lürssen plane, den Schwerpunkt der gruppenweiten Refit-Aktivitäten in Hamburg zu konzentrieren, das ist die Überholung und oft luxuriöse Aufwertung von Jachten, heißt es in einer Pressemitteilung des Unternehmens vom Dienstag. Erste Aufträge für zwei Motorjachten lägen bereits vor.
Die Fr. Lürssen Werft GmbH & Co. KG wurde 1875 gegründet und baute 1886 das erste Motorboot der Welt. Hauptsitz ist in Bremen-Vegesack.
Zur Firmengruppe gehören sieben weitere Standorte in Rendsburg (Schleswig-Holstein), Wolgast (Mecklenburg-Vorpommern) Wilhelmshaven, Lemwerder und Berne in Niedersachsen, Bremen-Aumund und Hamburg sowie die Peene-Werft in Wolgast.
Blohm+Voss mit Hauptsitz in Hamburg-Steinwerder am Südufer der Norderelbe wurde 1877 gegründet. Sie ist die letzte große Werft im Hamburger Hafen. Am 11. November 2016 wurde sie von der Lürssen-Gruppe übernommen.
Dehlke versicherte zugleich, dass Lürssen investieren wolle, „wo es notwendig und sinnvoll ist, um die Potenziale unserer Werft gezielt zu modernisieren und zu stärken“. Das betreffe vor allem moderne Fertigungsstrukturen. Die Höhe der geplanten Investitionen und Einzelheiten nannte er jedoch nicht.
Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos), einst selbst Geschäftsführer bei Blohm+Voss, sprach von einer „Vielzahl von Defiziten“ in der Unternehmensführung. Die Integration in den Lürssen-Konzern sei „die einzige Chance für Blohm+Voss“.
„Wir haben seit Jahren darauf hingewiesen, dass sich etwas ändern muss“, sagte Gewerkschafter Glass. „Nun ist der Schlamassel da und die Kollegen müssen ihn ausbaden, die nichts dafür können.“ In den nun folgenden Verhandlungen solle versucht werden, möglichst sozialverträgliche Lösungen zu finden und betriebsbedingte Kündigungen weitestgehend zu vermeiden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen