30 Jahre Rostock-Lichtenhagen: „Finstere Stunden für unser Land“
Bundespräsident Steinmeier erinnert an die rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen. Er mahnt zu mehr Zivilcourage.
„Das Bild vom Sonnenblumenhaus hat sich als Symbol in die Erinnerung unseres Landes eingebrannt“, sagte Steinmeier. Der Bundespräsident sprach von den schlimmsten rassistischen Übergriffen der deutschen Nachkriegsgeschichte. „Es waren finstere Stunden für unser Land.“
Vom 22. bis zum 26. August 1992 hatten im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen Anwohner:innen und Neonazis die Zentrale Aufnahmestelle für Asylsuchende und ein Wohnheim für vietnamesische Arbeiter:innen angegriffen und teilweise in Brand gesetzt. Von Schaulustigen wurden sie beklatscht und angefeuert. Etwa 150 Menschen mussten über das Dach eines brennenden Hauses fliehen. Die Polizei bekam die Lage nicht in den Griff.
Steinmeier betonte, dass die Ereignisse mit Blick auf die damalige politisch aufgeheizte Debatte betrachtet werden müssten. Rechtsradikale Parteien lagen damals im Aufwind. Der Bundespräsident bezeichnete die Ausschreitungen als „Schande“. „Für diese Schande trägt die Politik große Mitverantwortung.“
Spur des rechten Terrors immer noch sichtbar
Heidenau, Freital, Kassel, Halle, Hanau. Dies sind Städte, in denen sich in den vergangenen Jahren rassistische Attacken und Anschläge ereigneten. Steinmeier hob bei seinem Besuch hervor, dass “jene Spur rechten Terrors“ immer noch da sei. Dabei hätte man aus Rostock-Lichtenhagen die richtigen Lehren ziehen müssen. In allen Fällen sei das Gewaltpotenzial der Gesellschaft durch „Worte“ aktiviert worden.
Mit Blick auf den tödlichen Terroranschlag auf den Kommunalpolitiker Walter Lübcke 2019 betonte Steinmeier: „Die Häme, die sich nach seinem Tod in soziale Netzwerke ergoss, erinnert uns daran, wie kurz der Weg der Entmenschlichung des Gegenübers im digitalen Raum sein kann.“ Medien, Politiker:innen und Publizist:innen stünden hier in einer besonderen Verantwortung. Man müsse den Mechanismen der sozialen Medien widerstehen, welche ausgerechnet das widerlichste verbale Schwert mit größter Reichweite belohnten.
Steinmeier besuchte am Donnerstag das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen. Gemeinsam mit der Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig legte er Blumen vor dem Plattenbau ab. Teil des Programms waren zudem ein Besuch im Stadtteil- und Begegnungszentrum Lichtenhagen sowie dem vietnamesisch-buddhistischen Tempel Loc Uyen.
Nach Angaben des Polizeipräsidiums Rostock kam es am Rande von Dreharbeiten zu einem Polizeieinsatz. Wie es in einer Mitteilung heißt, soll während der Aufnahmen ein Junge mit einem Fahrrad hinter dem Reporter in die Aufzeichnung gefahren sein, er hob dabei den rechten Arm. Die Polizei sicherte das Videomaterial und informierte den Staatsschutz. Dieser hat die Ermittlungen wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisatoren aufgenommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Neue EU-Kommission
Es ist ein Skandal
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative