29-Euro-Ticket in Berlin: Eine ziemlich wacklige Brücke

Von wegen zielgerichtete Hilfen: Vor dem Erwerb des neuen Billig-Abos tun sich zahlreiche Hürden auf. Vielen dürften die zu hoch sein.

Hand hält Schild in Form einer großen Fahrkarte mit Aufdruck "29 Euro" vor U-Bahn

Wenn's denn mal so einfach wäre: Das 29-Euro-Ticket gibt es so eigentlich gar nicht Foto: picture alliance/dpa | Annette Riedl

Wie gut ist eigentlich ein Produkt, vor dessen Erwerb man erst einmal ein seitenlanges FAQ (also eine Sammlung der häufigsten Fragen sowie die Antworten darauf) studieren muss? Kommt drauf an. Handelt es sich um einen hochwertigen Laptop, ein E-Auto oder ein Wärmepumpen-Leasing, geht das in Ordnung. Bei einem maximal drei Monate gültigen Fahrschein-Angebot eher nicht.

Dass derzeit viele Medien versuchen, die Abgründe des Berliner 29-Euro-Abos (vulgo: 29-Euro-Ticket, was so aber nicht stimmt) auszuloten und den FAQs von BVG und S-Bahn eigene hinzufügen (auch die taz), ist kein Wunder. Schließlich kann der Abschluss eines verbilligten Umweltkarten-Abos mit Sonderkündigungsrecht selbst gestandene RedakteurInnen ins Schwitzen bringen. Zumal solche, die nicht längst eingefleischte ÖPNV-KundInnen sind.

Gerade für Menschen ohne Fahrkarten-Abo sollte aber das im rot-grün-roten Senat ausgekungelte Angebot attraktiv sein – sie will man doch in großer Zahl zum Umstieg auf die Öffentlichen locken. Was zumindest bei all jenen eher scheitern wird, die wenig Erfahrung mit Abonnements haben oder ungern ellenlanges Kleingedrucktes lesen. Diese mangelnde Einfachheit ist einer der großen Unterschiede zum verblichenen 9-Euro-Ticket, das zudem für weniger Geld sehr viel mehr bieten konnte.

Insofern ist es fast erstaunlich, dass BVG und S-Bahn zum Start des Gültigkeitszeitraums auf rund 40.000 Neuabos verweisen können. Wobei: So viel ist das nun auch wieder nicht – in einer Stadt wie Berlin, in der es gleichzeitig fast 115.000 SeniorInnen gibt, deren Fahrkarten vom 29-Euro-Sondertarif nicht profitieren – oder zumindest nur, wenn sie sich auf ein Prozedere aus Produktwechsel, Kündigung und Neuabschluss einlassen, das viele ältere Menschen abschrecken dürfte: weil sie die Schlangen in den Kundenzentren ebenso fürchten wie die Tücken des Digitalen.

Ist so etwas „zielgerichtet“?

Dass es auch für die sozial Schwachen im Rahmen des Senats-Sonderangebots keine weitere Rabattierung gab (die könnte nun, vielleicht, zum 1. Januar kommen), gleichzeitig aber vielen Stamm-AbonnentInnen insgesamt bis zu 103 Euro erlassen werden, die das vielleicht gar nicht brauchen – das ist zwar in Zeiten hoher Inflation immer noch eine Entlastung, aber nicht unbedingt eine „zielgerichtete“, wie Grünen-Chef Ghirmai der taz sagte.

Und warum kommt die Überbrückung bis zu einem günstigen bundesweiten Nahverkehrsticket jetzt so verschroben rüber? Das hat einige Gründe: die Genese des Versprechens als politisches Druckmittel der SPD auf die Koalitionspartnerinnen (manche unken: weil die Wahlwiederholung am Horizont dräute), die rechtlichen Verstrickungen, die eine simplere Einzelticket-Lösung offenbar unmöglich machten, und schließlich die fehlende Zeit, die die teilnehmenden Verkehrsunternehmen unter gehörigen Stress versetzt hat.

Bleibt abzuwarten, ob die Brückenlösung am Ende überhaupt eine ist: Denn wer weiß schon, ob sich Bund und Länder wirklich rechtzeitig auf ein finanzierbares und für alle akzeptables Modell eines „9-Euro-Nachfolge-Tickets“ durchringen können.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.