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25 Quadratmeter Stalinismus

MLPD Bei der Bremer DGB-Kundgebung zum 1. Mai sollten die Altkommunisten diesmal keinen Platz bei den anderen haben – wegen Platzmangels

Zum Sinn des MLPD-Stands „Und wann, wenn nicht am ersten Mai, soll man Werbung für den Sozialismus machen dürfen?“Wolfgang Lange., MLPD Bremen

Jetzt hat der DGB dann doch nachgegeben. Vielleicht ist auch der Bremer Domshof gewachsen oder neu vermessen worden, oder die anderen Stände geschrumpft, wer weiß das schon. „Wir haben heute noch einmal über das Thema geredet“, hat der DGB-Landesverband schließlich am 25. April an Wolfgang Lange gemailt, „und können euch den Standplatz am Neptunbrunnen anbieten“.

Dabei hatte es am 7. April noch geheißen, die Beschlusslage sei so getroffen worden und werde auch so bleiben, und es werde diesmal keinen Platz geben für die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) auf dem Domshof bei der zentralen Bremer Kundgebung zum 1. Mai. Und das wäre – also „revolutionär“ wäre jetzt sicher das falsche Wort.

Seit ihrer Gründung 1982 hat die MLPD eine Bremer Sektion. Deren Kopf und Herz ist ohne Vertun der Dreher Wolfgang Lange, mittlerweile Rentner. Und er ist auch ihr Gesicht: Bei der Bundestagswahl 2013 hatte er immerhin 207 Erststimmen bekommen, für die Liste gab’s 87 Kreuzchen.

Seit ihrer Gründung ist die MLPD auch beim Kampftag dabei, beim 1. Mai, das ist Ehrensache: „Früher“, sagt Lange, „hatten wir unseren Stand hinter dem Rathaus“, aber damals gab’s das Gebäude der Landesbank noch und der DGB hatte die Bühne für die zentrale Kundgebung noch auf dieser Seite des trapezförmigen Platzes gehabt, mit dem Rücken zum Dom und zum Bismarck-Denkmal. „Wir möchten euch keinesfalls vertreiben“, hatte der DGB der MLPD in geradezu Ulbricht’schem Duktus versichert und empfohlen, sich doch mal wieder „ans Rathaus zu stellen, „wie in all den Jahren zuvor“.

Doch die Landesbank ist abgetragen. Ein großer Bauzaun verdeckt den Blick auf die Fundamente ihres Neubaus. Und auch die Veranstaltungsarchitektur ist eine andere: Rund um den Platz bilden linksdrehende Gruppen der Stadt einen Kordon aus Infoständen, „so wie ein kleines Dorf“, sagt Lange, und die Hauptbühne ist ganz am anderen Ende, bei der Bischofsnadel, unterm Glasdach vom Café Alex. „Hinterm Rathaus“ heißt unter diesen Bedingungen, „es ist richtig am Arsch, kann man zu gut Deutsch sagen“, findet Lange. Weshalb die MLPD auch seit drei Jahren mit ihrem Stand neben den anderen Stellung bezieht, für 100 Euro Gebühren, und das sollte auch diesmal so sein.

Bis 18. März hätte die Anmeldung Zeit haben sollen, aber Lange hatte gleich am 26. Februar beim DGB Region Bremen-Elbe-Weser seine Stellfläche beantragt, postwendend auf den am 24. losgeschickten Aufruf, sich am 1. Mai zu beteiligen – schließlich kommt der so zuverlässig wie Weihnachten. Und natürlich war Lange darauf vorbereitet, und so war also auch klar, wie sich die MLPD am Kampftag präsentieren würde: Mit einem „Infostand (Literatur)“ nebst einem „Bericht über den Aufbau eines Gesundheitszentrums in Kobanê (Westkurdistan/Syrien)“, heißt es im Schreiben, „da war ich als Brigadist“, sagt Lange. Also alles in allem „1 Pavillon 3x3 Meter plus eine Biertischgarnitur“, macht, Pi mal Daumen, 25 Quadratmeter. „Es kommen ja nicht nur Leute zum 1. Mai, die feiern wollen“, sagt Lange. „Es kommen auch Leute, die wollen etwas über den Sozialismus erfahren.“ Und dafür fühlt sich die MLPD dann zuständig.„Und wann, wenn nicht am ersten Mai, soll man Werbung für den Sozialismus machen dürfen?“

Kein Platz? Ach, es gäbe sicher inhaltliche Gründe, mit der MLPD nichts zu tun haben zu wollen. Wenn der DGB ihre Stalin-Verehrung aufs Tapet gebracht hätte, niemand hätte sich beschweren können. Sie ist aber auch ein Rätsel: Wieso Herr Lange, den niemand anders denn als einen lieben, mitfühlenden, engagierten und junggebliebenen Mann jenseits der 60 beschreiben wird, eine Partei hochhält, die sich für Stalin begeistert, das gehört zu den unbegreiflichen Widersprüchen, die ein Mensch bergen kann. Es gehört ganz offenkundig auch zu den Themen, auf die man ihn zwar gern ansprechen, aber keine Antwort erwarten darf. Aber es ist ja auch so, dass der DGB diese Auseinandersetzung in Bremen scheut, dazu möchte man nichts in der Zeitung lesen, heißt es auf Nachfrage. Auf eine inhaltliche Begründung wird verzichtet. Es bleibt nur beim Platzmangel.

Und das ist kurios, denn der Domshof hat einen knappen Hektar Fläche, und über die Zahl der MLPD-Mitglieder gibt es zwar keine verlässliche Auskunft, aber viele sind es nicht: Auch der Bremer Verfassungsschutz hält die Angelegenheit offenbar für erledigt. Der Bericht des Jahres 2015 wird die interventionistische Linke erwähnen, und die Antiimperialisten und die Anarchisten und sogar die „Arbeiterklasse für den Kommunismus und das schöne Leben“ und lauter solche Splittergruppen, aber nicht die gute alte MLPD. Eine eigene Rubrik hatte die letztmals 2012 bekommen, und damals wurden dem Landesverband 15 Personen zugeordnet. „Die Bremer MLPD trat lediglich am 1. Mai 2011 mit einem Informationsstand öffentlich in Erscheinung“, hieß es seinerzeit. Vielleicht wäre es einfach herzlos, ihr auch das noch zu nehmen. Benno Schirrmeister

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