25 Jahre Münchener Flughafen: Protest beim Jubelfest
Vor 25 Jahren wurde der neue Münchner Flughafen mit zwei Startbahnen eröffnet. Kommt eine dritte? Die CSU feiert den Airport, Gegner demonstrieren.
Kreuze in der bayerischen Landschaft sind nichts Ungewöhnliches. Dieses schon. Magerl steigt aus, will erklären, was es damit auf sich hat. Er hält inne, zeigt auf einen dunklen Punkt, der sich vor dem Radarturm bewegt. „Da ist eine Bekassine“, sagt er dann. „Eine Schnepfenart“, erklärt Magerl. „Die ist hier äußerst selten.“
Seit fünfzig Jahren beobachtet Magerl Vögel, er hat über Singvögel im nordöstlichen Erdinger Moos promoviert. Er ist Landtagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, mischt beim BUND Naturschutz mit und hat gegen Bau und Ausbau des Münchner Flughafens gekämpft wie kaum ein anderer. Er ist 61, das Kopfhaar noch dunkel, der Bart schon grau. Ein paar Meter von hier soll die geplante dritte Startbahn enden. Oder beginnen. Wie man’s nimmt. Ob die Bahn wirklich kommt, ist offen.
Während Freistaat und der Betreiber FMG den 25. Flughafengeburtstag feiern, haben die Anwohner eine Botschaft ins Feld geschrieben. Wer von Osten anfliegt, kann sie lesen – in zwölf Meter großen, orangefarbenen Lettern: No 3. Runway. Am 17. Mai, dem Flughafengeburtstag, werden sie zudem eine Mahnwache vor der Allerheiligen-Hofkirche in der Münchner Residenz abhalten, während gleichzeitig drinnen der Flughafen gepriesen wird.
„Absiedlung“ heißt das
Magerl dreht sich um und deutet auf ein Haus, es steht etwa 100 Meter hinter dem Kreuz. „Das erste Gehöft von Attaching.“ Der Freisinger Ortsteil wäre von der dritten Startbahn besonders betroffen. Nach Kerosin riecht es dort schon jetzt. In 70 Metern Höhe würden die Maschinen über ihre Häuser donnern, sagen die Anwohner. 500 Mal am Tag. Bis zu 300 Menschen, so die Schätzung, müssten umziehen. „Absiedlung“ heißt das. Ihren Unmut haben die Attachinger auf Transparente gemalt, die an Zäunen und Hauswänden hängen: „Hier wird Attaching zerrissen“, steht da. Oder: „Wer jetzt noch schläft, schläft bald nicht mehr.“
Begonnen hat der Streit 2007. Damals wurde ein Planfeststellungsverfahren eingeleitet. Mit seinen zwei Bahnen, hieß es, sei der Flughafen dem Flugverkehr bald nicht mehr gewachsen. Vier Jahre später gab die Regierung von Oberbayern ihren Segen. Die Flughafengegner reagierten mit einem Bürgerbegehren – in München. Die Landeshauptstadt hält 23 Prozent der Anteile am Flughafen und hat de facto ein Vetorecht. Am 17. Juni 2012 stimmten die Münchner beim Bürgerentscheid gegen den Bau. Juristisch verbindlich war der Entscheid zwar nur für ein Jahr, doch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) fühlt sich dem Votum noch verpflichtet.
2015 bekam Attaching hohen Besuch: Horst Seehofer. „Wenn ich auf die Zahl der Flugbewegungen schaue“, sagte der Ministerpräsident vor Flughafengegnern, „dann kann man jedenfalls für den Augenblick feststellen, dass sich aus der Zahl der aktuellen Flugbewegungen die Notwendigkeit einer dritten Startbahn nicht ergibt.“
Seehofer: „Die Zahl der Flugbewegungen steigt“
Ein Jahr später – in der CSU-Fraktion hatte mittlerweile eine Unterschriftenliste für den Bau der Startbahn kursiert – sagte Seehofer in einer Regierungserklärung: „Die Zahl der Flugbewegungen steigt.“ Der Zeitpunkt sei gekommen, über den Bau der dritten Startbahn zu reden.
Was die Landeshauptstadt beim Flughafen mitzureden habe, will Erwin Huber nicht einleuchten. „Wir werden uns nicht auf Dauer von München aufhalten lassen.“ Huber sitzt in seinem Büro im Maximilianeum. Er gehört zu den dienstältesten Abgeordneten, war mal CSU-Chef. Schon in den Achtzigern war er Berichterstatter zum Thema Flughafen.
Während er spricht, schaut er konzentriert auf die Tischplatte. „Wer die dritte Startbahn ablehnt, der führt ein bewusstes Abbremsen der Entwicklung herbei“, sagt er. Im globalen Wettbewerb seien schnelle Verbindungen das A und O. Die Flughafengegner argumentierten ja immer, es gebe bei der Zahl der Flugbewegungen noch Luft nach oben. Die gebe es aber nicht zu den Hauptverkehrszeiten.
Maximal 480.000 Flugbewegungen
Beim Frühschoppen in der Sportgaststätte von Berglern argumentiert Christian Magerl tatsächlich mit der „Luft nach oben“: Die maximale Kapazität liege bei 480.000 Flugbewegungen, das sei mehr als die Auslastung der fünf größten Flughäfen Europas. In London Heathrow reichten zwei Bahnen, um insgesamt 75 Millionen Passagiere abzufertigen. Und in Gatwick seien es so viele Passagiere wie in München – bei nur einer Bahn.
Den Vortrag hält Magerl nicht zum ersten Mal, alle paar Wochen wird er angefragt. Seine Powerpoint-Präsentation bringt er regelmäßig auf den neuesten Stand. Er spricht von Lärmbelästigung, Naturzerstörung, Erkrankungen. Das neueste Schlagwort ist „Ultrafeinstaub“. Der soll für die menschliche Lunge weit gefährlicher sein als Feinstaub, aber die Messung ist schwierig, Grenzwerte gibt es keine.
Eine Folie zeigt die Entwicklung des Flugaufkommens. Es wächst sehr viel langsamer als die Zahl der Passagiere, stattdessen wachsen die Maschinen. Neues Futter liefert Magerl ein Gerichtsentscheid aus Österreich. Auch in Wien-Schwechat wollte man eine dritte Piste. Das Projekt wurde vom Bundesverwaltungsgericht gestoppt. Als Grund nannten die Richter die negativen Folgen für das Klima.
Zubetonierter Tegernsee
Außerdem, schimpft Magerl, sei das ganze Wachstum doch gekauft. Fast 300 Millionen Euro habe die Betreibergesellschaft FMG seit 2005 ausgegeben, um mit Zuschüssen Flugverkehr nach München zu locken. Am Ende wirft er noch ein Bild des Tegernsees an die Wand. Er lehnt sich aufs Pult. „Würden Sie den zubetonieren?“ Genauso groß sei die Fläche, die der dritten Startbahn weichen müsste.
Der Airport: Am 17. Mai 1992 wird er im Erdinger Moos eröffnet. Ausgelegt für 12 Mio.Passagiere pro Jahr, sind es heute über 42 Mio. Es gibt 394.000 Flugbewegungen pro Jahr, nach Zeiten der Stagnation gab es 2016 ein Plus von 3,8 Prozent.
Die dritte Startbahn: Obwohl OBM Dieter Reiter (SPD) den Bau befürwortet, sieht sich die Stadt an einen Bürgerentscheid von 2012 gebunden. Darin hatten die Münchner die Bahn mit 54,3 Prozent abgelehnt. (dob)
„Da ist wieder einer.“ Herbert Knur, Polohemd, graues, leicht gewelltes Haar, sitzt in der Küche seines Einfamilienhauses und beobachtet Flugzeuge. Knur wohnt in Berglern. In 400 Metern Entfernung passieren die landenden Maschinen das Haus. Knur schaut nicht aus dem Fenster, nur auf sein Smartphone; er hat die App „Flightradar24“ geöffnet. „Der kommt aus Moskau“, sagt Knur. „Ein Airbus A320.“
Berglern, eine unspektakuläre Gemeinde – knapp 3.000 Einwohner. Kirche, Sportplatz, Raiffeisenbank, rundherum blühender Raps. Alle zwei Stunden kommt ein Bus aus Erding. Die dritte Bahn würde noch zwei Kilometer näher an den Ort rücken als die bisherige Nordbahn. Zwei Kruzifixe hängen in Knurs Küche, auch die Mutter Gottes, in der Diele die gerahmten Auszeichnungen aus einem Politikerleben. 24 Jahre lang war Knur Bürgermeister von Berglern.
Der Seehofer-Geschädigte
Bei geschlossenem Fenster hört man die Wanduhr ticken, schon vor Jahren haben die Knurs Schallschutzfenster einbauen lassen. „Ich ärgere mich vor allem im Sommer, wenn ich ein Fußballspiel anschauen möchte, draußen ist es warm, aber ich muss die Terrassentür zumachen, weil sonst nichts zu hören ist. Oder wenn mich um 5 Uhr in der Früh eine Maschine weckt.“ Irgendwann hat sich Knur angewöhnt, um 5 Uhr aufzustehen und joggen zu gehen.
Der 70-Jährige reibt sich das Kinn. „Ich bin ja ein Seehofer-Geschädigter.“ Kurz nach dessen Amtsantritt 2008 habe er mit ihm gesprochen. Seehofer habe sich die Argumente gegen die Startbahn angehört und versprochen, auf jeden Fall noch mal mit Bürgermeister Knur zu sprechen, bevor etwas entschieden werde. Als der dann am Rande eines Bezirksparteitags 2011 erfuhr, dass die Entscheidung gefallen sei, war es aus. Knur trat aus der CSU aus – und mit ihm die meisten Mitglieder des Ortsverbands.
„Jetzt hört man wieder einen. Der kommt aus Wien.“
Das verwitterte Kreuz
Ach ja, das Kreuz. Christian Magerl erzählt nun seine Geschichte. Vor zehn Jahren haben sie es hier aufgestellt. Grau ist es inzwischen, verwittert. „Das haben wir g’scheit einbetoniert“, sagt er. Sprich: Wer hier eine Startbahn baut, muss ein geweihtes Kruzifix fällen. Und zuvor muss er den BUND Naturschutz enteignen.
Denn dem gehört das Grundstück entlang des Feldwegs. 800 Quadratmeter sind es vielleicht. Nicht viel, aber genug. Für die neue Startbahn braucht der Flughafen das Land. Das Grundstück gehörte einmal zwei Brüdern, Bauern aus der Umgebung. Doch dass es ihnen gehörte, wussten sie nicht – bis die Anfrage kam, ob sie nicht Lust hätten, es dem Flughafen zu verkaufen. Hatten sie nicht. Sie schenkten es dem BUND Naturschutz.
Ein langgezogenes „Ziiep“ ertönt. Der Balzgesang des Wiesenpiepers.
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