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25 Jahre Abkommen von DaytonEin bisschen Tradition

Erich Rathfelder
Kommentar von Erich Rathfelder

Das Abkommen von Dayton beendete zwar den Krieg. Gute Bedingungen für eine Zukunft Bosniens und Herzegowinas schuf es aber nicht.

Unter Applaus der vermittelnden Mächte: Milošević (v. l. n. r. sitzend), Tudjman und Izetbegovic unterzeichnen das Abkommen von Dayton am 14.12.1995 in Paris Foto: reuters

W enn ein Vulkanausbruch ein Land zerstört, ist erst einmal alles Leben ausgelöscht. Doch nach einiger Zeit nutzen Pflanzen die Ritzen im Gestein, brechen durch die Asche. Neues Leben entsteht. Vielleicht befinden wir uns nach all dem Feuer, das Nationalisten aus Serbien und später auch Kroatien über Bosnien und Herzegowina gebracht haben, jetzt nach 25 Jahren an einer Zeitenwende. Bei den Wahlen am vergangenen Wochenende haben sich immerhin einige kräftige neue Pflanzen gezeigt.

Das alte Leben vor dem Krieg, die gewachsene Tradition des Miteinanders von Menschen aller Volksgruppen, wird zwar nicht so schnell zurückkehren können. In jeder Großfamilie feierten früher Muslime, Katholiken, Orthodoxe und Juden die jeweiligen Feste gemeinsam. Wer diese Gesellschaft vor dem Krieg erleben durfte, war berührt. Das war nicht Multikulti, das war eine historisch gewachsene tolerante Gesellschaft.

Die Gesellschaft Bosniens war die Antithese zum serbischen und kroatischen Nationalismus und musste deshalb zerstört werden. Darin waren sich die beiden Präsidenten Serbiens und Kroa­tiens schon vor dem Krieg einig. Bei einem Treffen in Karadjordjevo vereinbarten Tudjman und Milošević im März 1991 die territoriale Aufteilung Bosnien und Herzegowinas.

Die ethnischen Säuberungen im Krieg 1992–95 waren nicht die Folge des Krieges, sondern deren Ziel. Für die muslimische Bevölkerungsgruppe und alle Opponenten, vor allem Antifaschisten, Sozialdemokraten, alle, die weiterhin für Toleranz und Menschenrechte eintraten, war da kein Platz. Ein Genozid war die Folge. Wenn Zehntausende systematisch ermordet, geschändet und weitere Zehntausende durch Bomben, Scharfschützen und Granaten getötet, wenn 2 von 4,5 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden, dann bleibt keine Gesellschaft unbeschädigt. Der nationalistisch motivierte Wahnsinn mit dem Ziel, ethnisch reine Gesellschaften zu schaffen, ist überall auf der Welt ein Verbrechen. Aber in Bosnien war er „erfolgreich“. Die Bevölkerungen wurden in den Krieg gerissen, Überlebensangst, leidvolle Erfahrungen auf allen Seiten führten zum Bruch. Die alte Gesellschaft lag 1995 in Trümmern.

Nur wenige Politiker in Europa, den USA und dem Rest der Welt haben das verstanden. Der Angriffskrieg Serbiens und später auch Kroatiens auf Bosnien und Herzegowina wurde internatio­nal schon 1993 als „Bürgerkrieg“ definiert und damit die Drahtzieher vor allem in Belgrad entlastet. Statt klar Stellung gegen den Extremismus zu beziehen, hoffte man auf ein Ende des Krieges, nachdem das Land „ausgeblutet“ sei – so der britische Außenminister Douglas Hurd 1993. Dieser Zynismus ist bis heute nicht vergessen. Die Internationalen verhandelten nur mit den Nationalisten. Das Ergebnis ist das Abkommen von Dayton, das am 21. November 1995 immerhin den Krieg beendet hat.

Handschlag zwischen Franjo Tudjman (r.) und Slobodan Milošević (l.) im November 1995 Foto: STR New/reuters

Ja, es beendete den Krieg, schuf auch eine formal demokratische Struktur mit Parlamenten auf allen staatlichen Ebenen, in der die drei „Konstituierenden Nationen“ einen Kompromiss für den Gesamtstaat finden sollten. Aber es rüttelte nicht am Grundsätzlichen. Mit der Militärpräsenz im Rücken konnte man zwar die Kriegsparteien entwaffnen, die kriegsführenden nationalistischen Eliten durften jedoch an der Macht bleiben. Die viel zu früh angesetzten Wahlen legitimierten sie sogar. Die Frage der Kriegsverbrechen und deren Sühne wurde nicht einmal erwähnt. Durch das Raster fielen auch die Rechte der Minderheiten wie die der Roma und Juden oder aller, die sich nicht national definieren wollten. Die vielfältigen Vetorechte der Parteien aus den „Konstitutiven Nationen“ schufen viele Blockademöglichkeiten. Die nationalistischen Parteien profitieren vom Status quo.

Viele Menschen in Bosnien und Herzegowina wollen die ethnischen Spaltungen nicht mehr, sie wollen einen normalen Staat

Sie beherrschen in ihren Herrschaftsgebieten den Arbeitsmarkt. Sie setzten in den noch gemischten Gebieten bis ins Kleinste das ethno-nationale Prinzip durch. Die Schulen mit zwei Ausgängen sind nur ein Beispiel. Es gibt jetzt, befeuert durch die jeweiligen Religionen, drei Ideologien, drei Erinnerungskulturen, drei Medienwelten. Wer nicht spurt, fliegt. Wer sich ihnen nicht anschließt, bekommt keinen Job. Wer da nicht mitmacht, wird als Volksverräter verfolgt.

Im Rahmen dieser Verfassung ist es deshalb nicht möglich, den wirtschaftlichen und rechtlichen Anforderungen für die Integration des Landes in die EU nachzukommen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes im Fall Sejdić/Finci 2009, das volle Bürgerrechte für die Minderheiten verlangt, wird nicht umgesetzt. So kann die Integration in die EU nicht gelingen. Brüssel begnügt sich mit dem Lippenbekenntnis der führenden Politiker des Landes, den europäischen Weg einzuschlagen, die aber in Wirklichkeit das Gegenteil tun.

Doch am letzten Sonntag haben bei den Kommunalwahlen die Wähler in Sarajevo und den anderen großen Städten Zeichen gesetzt. Viele wollen die ethnischen Spaltungen nicht mehr, sie wollen einen normalen Staat. Sie wählten in den großen Städten die korrupten Führungen ab oder bestätigten die Reformer.

Im Wahlkreis Sarajevo- Zentrum entschieden sich muslimische Wähler für einen Serben, der die Stadt während des Krieges gegen die serbischen Angreifer verteidigt hat. Sarajevos Bürgermeister soll ein Serbe werden. Das wird auch Eindruck bei den anderen Volksgruppen machen. In Banja Luka, der Hauptstadt des serbischen Teilstaates, hat sich ein Oppositioneller gegen die Partei des Trump- und Putin-Anhängers Milorad Dodik durchgesetzt.

Ein bisschen Tradition ist zurück. Von Europa können die Menschen in Sarajevo allerdings wenig Unterstützung erwarten, aber sie hoffen auf den Balkan-Kenner Joe Biden. Sie haben nicht vergessen, dass der 1993 für eine militärische Aktion der Nato gegen die Belagerer Sarajevos eingetreten ist.

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Erich Rathfelder
Auslandskorrespondent Balkanstaaten
Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.
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1 Kommentar

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  • Franjo Tudjman und Slobodan Milošević wollten Yugoslawien auflösen und durch ethnisch-geprägte Staatlichkeit ersetzen, bei Milošević war es ein starkes Serbien als Yugoslawien, bei Tudjman ging es um einen extremen kroatischen Nationalismus. Beide Politiker haben die maximale Zerstörung hinterlassen, Tudjmann allerdings wurde nie vor ein Gericht gestellt. Er wurde hofiert, heute ist Kroatien in der EU, Kroaten haben in Deutschland eine deutlich bessere Position als Menschen aus Serbien oder Montenegro oder Bosnien. Am Ende ist mir das aber egal, der Punkt ist doch: Ein stabiler Balkan braucht eine einigende sozialistisch-demokratische, liberale Prägung, möglichst keine Grenzen und viel Austausch unter den Bevölkerungen. Das bedeutet für mich: Yugoslawien ergäbe heute noch viel mehr Sinn als damals bis 1990. Aber eines hat die Geschichte eben auch gezeigt, man kann ethnische Spannungen und Extremisten nicht immer mit Geheimdiensten, Migration und Propaganda in Schach halten, an irgendeinem Punkt, entgleist es. Und was passiert dann? Dayton hat nach meiner Auffassung viele Gewinner und viele Verlierer - leider haben viele Menschen individuell sehr viel verloren und nicht unbedingt etwas als Ausgleich erhalten.