piwik no script img

21-jährige Regisseurin über Debütfilm„Wie ein Schrei, der rausmusste“

Die Regisseurin Suzanne Lindon schrieb mit 15 das Drehbuch zu ihrem Spielfilmdebüt „Frühling in Paris“. Über große Leidenschaft und Arbeiten ohne Ausbildung.

Tanzen im Sitzen: Raphaël (Arnaud Valois) und Suzanne (Suzanne Lindon) in „Frühling in Paris“ Foto: MFA
Thomas Abeltshauser
Interview von Thomas Abeltshauser

Mit 15 Jahren schrieb Suzanne Lindon heimlich ein Drehbuch über ein junges Mädchen namens Suzanne auf der Suche nach sich selbst. Verraten hat sie das lange niemandem, vor allem nicht ihren Eltern, den französischen Schauspielstars Sandrine Kiberlain und Vincent Lindon. Vier Jahre später verfilmte sie „Frühling in Paris“ und spielte auch selbst die Hauptrolle. Dann kam der Lockdown. Nun startet ihre Komödie endlich im Kino.

taz: Frau Lindon, was hat Sie mit 15 Jahren angetrieben, ein Drehbuch zu ­schreiben?

Suzanne Lindon: Eigentlich träumte ich davon, Schauspielerin zu werden, aber da gab es ein kleines Problem: Das machen in meiner Familie schon alle. Meine Eltern kennt in Frankreich jeder aus dem Kino. Und ich wollte eine Legitimation, vor der Kamera zu stehen und nicht das Gefühl haben, einen Part zu bekommen, weil ich Tochter berühmter Leute bin. Also schrieb ich mir selbst eine Rolle und dachte, wenn es mir je gelingt, das zu verfilmen, würde ich mich selbst besetzen, nicht wegen meines Namens, sondern weil ich die Richtige dafür bin. So fing es an.

Der Film

„Frühling in Paris“. Regie: Suzanne Lindon. Mit Suzanne Lindon, Arnaud Valois u. a. Frankreich, 2020, 74 Min.

In „Frühling in Paris“ verliebt sich die 16-jährige Suzanne in einen 35-jährigen Schauspieler. Ist das Ihre Geschichte?

Ich war damals ein Teenager, es war eine sehr verwirrende Zeit für mich, weil ich nicht wusste, wer ich bin und was ich will. Ich wollte mich ausprobieren. In dieser Phase erlebst du vieles zum ersten Mal, aber manche Dinge, die du dir wünschst oder ersehnst, passieren nicht. Und du weißt nicht, warum. Ich stellte alles infrage. Und ich wollte aus meinem alltäglichen Leben fliehen, das mir langweilig und festgefahren vorkam. Diese Geschichte zu erfinden, war meine Art, mich in ein anderes Leben zu fantasieren. In einem Monat hatte ich alles aufgeschrieben. Es fühlte sich total gut an, ich hatte keinen Druck, weil niemand davon wusste, es war mein Geheimnis, wie ein Tagebuch.

Was Suzanne im Film erlebt, hat also wirklich nichts mit eigenen Erfahrungen zu tun?

Na ja, es steckt schon einiges von mir in dieser Figur. In dem Alter erträumst und erhoffst du dir mehr, als es tatsächlich zu erleben. Mich haben diese Fantasien mehr interessiert als mein echtes Leben. Also habe ich diese Begegnung mit einem älteren Mann erfunden, der wie sie feststeckt und raus will aus seiner Routine. Raphaël ist Mitte 30, ihn langweilt sein Beruf, seine Altersgenossen. Und dann begegnen sie sich, ganz unschuldig, zwei Seelenverwandte mit ähnlichen Gefühlen, nur in unterschiedlichen Momenten ihres Lebens. Ich hätte mir gewünscht, selbst jemanden wie ihn zu treffen, der so empfindet wie ich.

Andere Kinder von Stars nutzen ihre Prominenz sehr bewusst, um ins Geschäft zu kommen. Warum hatten Sie da Skrupel?

Weil ich nicht als Tochter berühmter Eltern, sondern als eigenständige Person wahrgenommen werden will. Jetzt merken die Leute, dass ich durchaus meinen eigenen Kopf habe. Das war mir wichtig.

Bis zum Dreh des Films hat es dann noch mal vier Jahre gedauert.

Ich ging ja noch ganz normal zur Schule, ich war ein 15-jähriges Mädchen!

Aber auch mit 19 ist es eine Herausforderung, den ersten Film zu drehen – und dann gleich noch die Hauptrolle spielen … hatten Sie keine Angst, sich zu übernehmen?

Im Interview: Suzanne Lindon

Suzanne Lindon wurde am 13. April 2000 in Paris geboren. Sie ist die Tochter der französischen Schauspielstars Sandrine Kiberlain und Vincent Lindon. „Frühling in Paris“ ist Suzanne Lindons erster Film.

Es war wie ein Schrei, der rausmusste. Und das ging nur, wenn ich alles selbst mache. Das war gar keine bewusste Überlegung, ich wusste das instinktiv. Natürlich war ich zwischendurch müde und erschöpft, aber ich habe mir nie Sorgen gemacht, dass ich es nicht schaffen könnte. Ängste motivieren mich, Dinge auszuprobieren. Ohne sie hätte ich den Eindruck, etwas zu verpassen, weil ich wahrscheinlich nicht genug wage.

Der Übermut der Jugend?

Mein Alter hat mir da sicher geholfen, weil ich schlicht keine Vorstellung davon hatte, wie schwierig es werden würde. Ich musste meinen Nachnamen vergessen und die Erwartungen, die das Publikum damit womöglich verbindet. Ich wollte über etwas sprechen, das mir wichtig ist. Alles an dem Film hat damit zu tun, wer ich bin, und nichts damit, woher ich komme.

Wie war das ohne Erfahrung und Filmausbildung möglich? Hat da Ihre Herkunft nicht doch geholfen?

Ein bisschen sicher, weil mir diese Welt zumindest nicht völlig fremd war. Aber vor allem lag es daran, dass ich diesen Film um alles in der Welt machen wollte, als hinge mein Leben davon ab. Und diese Leidenschaft haben die Leute gespürt, ich habe ihnen deutlich gemacht, dass ihnen gar nichts anderes übrig bleibt, als mich zu unterstützen.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Trailer „Frühling in Paris“

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Die amouröse Begegnung in Ihrem Film ist ein sensibles Thema, gerade erschüttern Enthüllungen zu sexuellem Missbrauch und Pädophilie Frankreichs Kulturszene. Hatten Sie keine Bedenken, dass es negative Reaktionen geben könnte, auch wenn der Film von einer jungen Frau geschrieben und inszeniert ist?

Es geht doch gerade nicht darum, wie ein älterer Mann hinter einer deutlich jüngeren Frau her ist. Suzanne ist eine starke Persönlichkeit, kein Opfer, sie sagt und tut, was sie für richtig hält. Mir war es sehr wichtig, die Geschichte aus ihrer Perspektive zu erzählen. Das heißt nicht, dass ich diese Debatte nicht wichtig finde, wir brauchen einen tiefgreifenden Wandel. Aber mein Film handelt nicht davon, sondern von zwei Menschen, die beide das Gefühl haben, etwas in ihrem Leben ändern zu wollen. Vielleicht verstehen das nicht alle, die den Film sehen, aber ich habe mein Bestes getan.

In einer der schönsten Szenen des Films sitzen Suzanne und Raphaë l in einem Straßencafé nebeneinander und er spielt ihr auf seinen Kopfhörern Musik vor. Ganz langsam fangen beide an, sich synchron zu bewegen, ein intimer Moment, der an die Choreografien von Pina Bausch erinnert …

Oh, das freut mich! Ich liebe Pina Bausch! Wie sie in ihren Stücken Gefühle in Tanz und Bewegung verwandelt, inspiriert mich sehr. Ich wollte simple Bewegungen, keine elaborierte Choreografie. Die beiden haben eine platonische Beziehung, man sieht und spürt, dass sie verbunden sind, ohne sich zu berühren. Es ist ihre ganz eigene Art, ihre Zuneigung auszudrücken.

Ihr Film wurde im vergangenen Jahr zum Festival in Cannes eingeladen, das aber wegen der Pandemie ausfiel. Er lief dann im September auf dem Filmfest in San Sebastián, wo wir zum ersten Mal miteinander sprachen, damals noch mit Masken. Danach musste der Kinostart mehrmals verschoben werden. Nun kommt „Frühling in Paris“ diese Woche parallel in Frankreich und Deutschland ins Kino. Wie schlimm war das Warten?

Den Film noch eine Weile für mich zu haben, war auch ganz schön. Wenn er jetzt rauskommt, werde ich ihn teilen müssen und alle werden eine Meinung dazu haben. Der Lockdown war für viele Menschen eine immense Belastung. Ich komme aus einer privilegierten Familie und mir ist sehr bewusst, dass andere Menschen sehr viel größere Probleme haben als einen verschobenen Filmstart. Ich habe wirklich keinen Grund zu jammern. Aber natürlich wäre auch ich gerade gerne freier, unbeschwerter und würde gerne vieles ausprobieren. Oder einfach nur Freunde treffen, Party machen, mich verknallen. Es ist unmöglich, das Leben auszukosten, wenn die Lage so ernst ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!