piwik no script img

2020: Feiern zu 100 Jahre Groß-BerlinWie kann Großstadt gelingen?

Am 1. Oktober 1920 wurde Berlin mit dem Groß-Berlin-Gesetz zur Weltstadt. Die Feierlichkeiten zum 100-Jährigen sind Anlass, die Stadt weiterzudenken.

Im glänzenden Großstadtlicht, der Funkturm. Wurde aber erst 1926 in Betrieb genommen Foto: dpa

Als „Prenzlauer Tor“ 1920 zum vierten Berliner Bezirk wurde, wurde auch das Bezirksjugendamt gegründet. Stadtrat Walter Friedländer kümmerte sich fortan um Kriegswaisen und Kinder aus verarmten Familien. „Die Arbeit in diesem Bereich kann als Pionierleistung der modernen Sozialarbeit bezeichnet werden“, sagte der Leiter des Pankower Museums, Bernt Roder, vor Kurzem der Berliner Woche. Im Herbst wird das Museum in der Heynstraße in der Ausstellung „100 Jahre Groß-Berlin“ an Friedländer und sein Bezirksjugendamt erinnern.

Mit dem „Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin“ wurde die deutsche Hauptstadt am 1. Oktober 1920 auf einen Schlag zur Weltstadt. Die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner stieg von 1,9 Millionen auf 3,8 Mil­lionen, Berlin war nach London und New York die größte Stadt der Welt. Und es bekam eine ­Verwaltung, deren Besonderheit mit der Doppelstruktur bis heute Gültigkeit hat. Um die vorwiegend wohlhabenderen anderen sechs kreisfreien Städte, 29 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke von der Eingemeindung nach Groß-Berlin zu überzeugen, wurden 20 Bezirke geschaffen. Die meisten behielten ihren Namen bis zur ­Bezirksgebietsreform von 2001. Nur aus Prenzlauer Tor war zuvor schon Prenzlauer Berg geworden.

Berlin begeht das stadtgeschichtliche Jubiläum angemessen und kritisch. Bereits am 26. April öffnet die zentrale Ausstellung „Chaos und Aufbruch. Berlin 1920/2020“ im Märkischen Museum. Die Stiftung Stadtmuseum Berlin hat sich mit der Ausstellung einiges vorgenommen, heißt es in der Ankündigung: „Mit Blick auf die Vergangenheit und Gegenwart geht sie der Frage nach, wie aus einem chaotischen Umbruch ein konstruktiver Aufbruch gestaltet werden kann: Wie kann Großstadt gelingen?“ Zeitgleich finden auch in allen Bezirksmuseen Ausstellungen zum Thema Groß-Berlin statt.

Selten hat ein historisches Ereignis einen so hohen Gegenwartsbezug wie die große Eingemeindung vor 100 Jahren. „Die große Chance für das Jubiläum ist nicht unbedingt, dass wir Berlin feiern, bis wir umfallen“, sagt der Stadthistoriker und Planer Harald Bodenschatz, „sondern dass wir Dinge besprechen, die wir im Alltag nicht besprechen können. Die tabuisiert sind, für die wir sonst keine Zeit haben.“ Zusammen mit dem Architekten- und Ingenieur-Verein (AIV) organisiert Bodenschatz deshalb nicht nur eine Ausstellung im Herbst unter dem Titel „Auf dem Wege zu einer nachhaltigen Hauptstadtregion“. Es soll auch einen städtebaulichen Ideenwettbewerb Berlin-Brandenburg 2070 geben. „Der Planungsraum endet nicht an der Stadtgrenze“, sagt dazu Bodenschatz.

Die Zusammenarbeit über die Ländergrenze hinweg hat sich auch die Stiftung Zukunft Berlin zum Ziel gesetzt. Sie organisiert unter der Überschrift „100 Jahre Groß-Berlin und 30 Jahre Brandenburg“ Initiativen, die sich mit der Verbesserung der grenzüberschreitenden Kooperation beschäftigen.

Nur an ein Erbe von 1920 will sich niemand so recht herantrauen: die eben doppelt genähte Berliner Verwaltung aus Senat und Bezirken. Die hätte nur bei einer Länderfusion auf dem Prüfstand gestanden. Doch diese radikalste Konsequenz für die Zukunft steht derzeit nicht mehr zur Debatte.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • 0G
    05158 (Profil gelöscht)

    Berlin in Zahlen

    Laßt uns Berlin statistisch erfassen!



    Berlin ist eine ausführliche Stadt,



    die 190 Krankenkassen



    und 916 ha Friedhöfe hat.

    53.000 Berliner sterben im Jahr,



    und nur 43.000 kommen zur Welt.



    Die Differenz bringt der Stadt aber keine Gefahr,



    weil sie 60.000 Berliner durch Zuzug erhält.



    Hurra!

    Berlin besitzt ziemlich 900 Brücken



    und verbraucht an Fleisch 303.000.000 Kilogramm.



    Berlin hat pro Jahr rund 40 Morde, die glücken.



    Und seine breiteste Straße heißt Kurfürstendamm.

    Berlin hat jährlich 27.600 Unfälle.



    Und 57.600 Bewohner verlassen Kirche und Glauben.



    Berlin hat 606 Konkurse, reelle und unreelle,



    und 700.000 Hühner, Gänse und Tauben.



    Halleluja!

    Berlin hat 20.100 Schank- und Gaststätten,



    6.300 Ärzte und 8.400 Damenschneider



    und 117.000 Familien, die gerne eine Wohnung hätten.



    Aber sie haben keine. Leider.

    Ob sich das Lesen solcher Zahlen auch lohnt?



    Oder ob sie nicht aufschlußreich sind und nur scheinen?



    Berlin wird von 4½.000.000 Menschen bewohnt



    und nur, laut Statistik, von 32.600 Schweinen.



    Wie meinen?

    Erich Kästner, 1930