200 Jahre altes Missverständnis: Die Oleander-Legende
Fontane berichtete einst von wunderbaren Oleander-Bäumen in Lübben. Die Stadt nutzt den Mythos zum Marketing. Es gab sogar einen Oleander-Flashmob.
Marc protestiert: „Das letzte Mal, dass man über bestimmte Themen seine Meinung sagen konnte, war irgendwann zu DDR-Zeiten.“ Was genau er nicht sagen darf, will er „jetzt nicht“ sagen. Er züchtet Blumen, die er seit vier Jahrzehnten als freier Händler auf dem zentralen Marktplatz der Stadt Lübben im Spreewald verkauft. Doch mittlerweile hat Marc nur noch ein paar alte Stammkundinnen. „Die anderen rennen in die Baumärkte, als wären das heilige Tempel!“ Und die diktieren die Preise. Oleander? Kann er nicht anbieten. Zu teuer in der Produktion, zu empfindlich. „Geht dir alles ein.“ Er hat einen schlechten Tag und generell „auf den Fontane-Scheiß keine Lust, was das wieder kostet!“.
Die Stadt Lübben hat mit Fontane einen kleinen Stadtmarketingcoup gelandet. Im Zuge der staatstragenden Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag des Schöpfers von biedermeierlich-rückständigen Frauenfiguren wie Effi Briest und Jenni Treibel wollte die selbst ernannte Hauptstadt des Spreewalds südöstlich von Berlin auch mal ran. Mit ein bisschen Hilfe der Deutschen Presse-Agentur, die den großen Tag des „Oleander-Flashmobs zu Ehren Theodor Fontanes“ über die Terminagenda laufen ließ, lockte die Kleinstadt etliche Journalist*innen in die Stadt.
Dabei hatte Fontane gar kein besonderes Verhältnis zu Lübben. Eines Nachmittags am 7. August 1859 hatte er in der Kleinstadt die Pferde gewechselt. Und währenddessen legte er, mutmaßlich beschwipst, eine Tagebuchnotiz an. Er hatte die Nase voll vom preußischen Berlin, das er als völlig verbaut empfand. Und lobte demgegenüber die malerische Naturverbundenheit der Einheimischen. Denn die wüssten mit Oleander umzugehen. Der ganze Ort sei voll davon. Vor jedem Haus recke sich der Blumenbusch empor, ganze Bäume will er gesehen haben, „die hier in einer Pracht und Fülle sich durch die Straßen ziehen“.
Was genau der Dichterfürst auf Reisen da gesehen haben will, ist heute unklar. „Oleander ist überhaupt nicht winterfest, der wächst hier normal nicht“, erklärt Annett Ogasa vom pittoresken Blumenfachgeschäft „Bluming Inn“. „Der kann auch damals allenfalls vereinzelt rausgestellt worden sein.“ Vom Fontane-Oleander-Flashmob hat Ogasa in der Lokalzeitung gelesen – „keine Ahnung, gesehen habe ich heute noch nichts“.
Ausstellung zum Spreewaldtourismus im Stadt- und Regionalmuseum Schloss Lübben, Mi.–So., 10–17 Uhr, Ernst-von-Houwald-Damm 14, Lübben, Eintritt 4,50 Euro.
Lesung von Fontanes Notizbüchern (mit der Oleander-Stelle und dem „Rant auf Berlin“) mit Dr. Gabriele Radecke, Wappensaal im Museumsschloss Lübben, 15. August 2019, 17 Uhr.
Spreelagune beim Ragower Hauptvorfluter nahe der Schlossinsel beim Stadtzentrum, Spreebadestelle und Floßspielplatz, Eintritt frei. (taz)
Triebe aus Anatolien mitgebracht
In der Tat finden sich am großen Oleander-Tag nur zwei etwas kümmerlich aussehende Sträucher vorm städtischen Museum. Und zwei weitere, weitaus kräftigere, vor dem Lübbener Kebap-Haus. „Die Triebe habe ich aus Anatolien mitgebracht“, präsentiert sich Ahmed Bindal nicht ohne Stolz. Am Morgen habe ihn bereits eine Journalistin vom Fernsehen zu seinen Blumen befragt. Für ihn sei der Strauch einfach eine Erinnerung an seine alte Heimat Urfa und eine Geste für die Gäste.
Ein Mann mit Deutschlandfahne auf der Schirmmütze nickt und beißt in seinen prall gefüllten Dürüm Döner. Maik sitzt jeden Tag hier. Das Lübbener Kebap-Haus ist der Ort, der die Funktion dessen einnimmt, was man in England „Pub“ nennt. „Public House“, das öffentliche Haus der Stadt, geöffnet von vormittags bis nachts. Eine Rentnerin aus dem Altersheim „Hinter der Mauer“ kommt jeden Tag hierher und lässt sich türkischen Tee ausgeben. So ist sie mal raus aus der „Seniorenaufbewahrung“, sagt sie.
Da stellt sich Matthias Greupner vor, er leitet im konkurrierenden Nachbarort Lübbenau die „Bunte Bühne“ und sei heute zufällig in der Stadt. Denn in Lübben dürfe er mit seiner Kompanie nie spielen. Es gebe einfach diese Rivalität im Spreewald. An Fontane seien natürlich die „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ das Wichtigste. Er schätze besonders „die Fülle an Aperçus und Weisheiten, die Heiterkeit“ bei Fontane. „Mehr aber jetzt auch nicht unbedingt.“
Aber es muss doch was dran sein, am Theo? „Na ja, wir haben viele solcher Figuren wie Fontanes Effi Briest als Mütter hier an der Gesamtschule“, führt die Deutschlehrerin Daniela Schutzan aus. Für den Unterricht in einer zehnten Klasse sei Fontane aber „zu schöngeistig“, es sei ihren Schülern kaum zu vermitteln, warum Effi und ihr Lover einander nicht lieben dürften; hier brauche es „problemorientierte Jugendliteratur“. Oleander? Nein, auch hier nicht.
Aha, Oleander bei Gott!
Vielleicht kann die Kirche helfen. „Den Oleander habe ich gerade reingestellt“, führt ein Gemeindemitglied an der bekannten rechteckigen Paul-Gerhardt-Kirche mit Glockenstübchen aus. Aha, bei Gott! Aber jetzt werde abgeschlossen; ab fünf Uhr hat der liebe Gott keine Bürozeit mehr, „Ende Gelände!“.
Der Aushilfsdiakon, der namentlich nicht genannt werden mag, will der Berliner Presse noch zu Protokoll geben, dass er froh ist, dass es mit der DDR zu Ende sei. Er war bereits im Sozialismus Gemeindemitglied, was ihm bei der Arbeit einige nickelige Sprüche eingebracht habe. So habe ihn sein Vorgesetzter, der auch SED-Sekretär gewesen war, in den ersten Tagen seiner Ausbildung angesprochen, ob er etwa „mit den Schwarzkitteln“ im Bunde sei? „Besser als die roten Socken“, habe er rotzfrech geantwortet. Daraufhin habe er beinahe nicht studieren dürfen. Durfte er dann aber trotzdem und „weiß gar nicht, warum“.
Am 1. September sind Landtagswahlen in Brandenburg. Mit unserer Brandenburg-Serie werfen wir bis dahin in loser Folge Schlaglichter auf das Bundesland, das Berlin umgibt, das aber manchmal weiter entfernt scheint von der großen Stadt als viele andere Bundesländer.
Alle Folgen unserer Brandenburg-Serie finden sich auf taz.de unter „taz Ost.“ (taz)
Nach der Wende war er in der CDU, jetzt, zur Rente, ist er bei der AfD. Schwarz und Blau, diese Farben seien einfach sein Bier, weniger das Rosé-Weiß des Oleanders. Fontane? Seine Frau habe das Programm „fontane.200“ des Landes Brandenburg zu Hause rumliegen. Groß schere man sich nicht drum. „Hat mit uns auch gar nix zu tun.“ Aber den Oleander hat man jetzt in der Gemeinde für diesen Tag angeschafft.
Auf dem zentralen Spreewald-Campingplatz beklagen sich Thomas und Marinka über die Unfreundlichkeit der Leute in der Gegend: „Ich glaube, im August sind die alle schon durch vom Tourismus.“ Auf allen ufernahen Campingplätzen würden sie vertröstet, man könne sie nur für eine Nacht aufnehmen, dann müssten sie weiter. Obwohl viel Platz für ihr kleines Zelt vorhanden sei. Die Kapazitäten der Sanitäranlagen ließen keine Ausnahmen zu. „Alle gestresst und wortkarg!“, monieren die Rheinländer.
Saure Spreewaldgurken
Aber die Natur sei unbestechlich: Wenn sie mit ihren Kanus über die Kanäle schippern, seien sie wieder versöhnt. Marinka ist sichtlich froh, dass der Naturtrip bald vorbei ist, während Thomas schon wieder mit dem 40-teiligen Victorinox hantiert, um eine saure Spreewaldgurke zu präparieren. Es geht dabei mehr um den Einsatz des Survival-Werkzeuges; er könnte ja auch einfach reinbeißen. Oleander haben sie zu Hause im Wintergarten.
Schließlich läuft dem Autor wieder Marc, der Blumenzüchter, über den Weg bei der künstlichen „Spreelagune“, einer von vielen mit professionellen Baustoffen seit den 1990er Jahren hergerichteten Touristenattraktionen in der Stadt, die allesamt ein gewisses Baumarkt-Flair verströmen. Irgendwie wertig und geputzt, aber nicht niedlich.
Die Innenstadt Lübbens mit ihren Spreehäfen, Holzbrücken und Gurkenbüdchen ist von Kopf bis Fuß auf Touristen eingestellt, die an urdeutschen Handwerksstandards Freude haben. „Nee, jetzt gehen wir auch mal essen“, winkt Marc ab. Auch seine russische Frau nickt freundlich ab und geht weiter. Nächstes Jahr wollen sie wieder Oleander ziehen, sagen sie noch, das sei ihnen vom Tag geblieben.
Nach einer verregneten Nacht im Schlafsack ruft der aus Berlin herbeigeradelte Autor dieser sommerlichen Zeilen noch mal in der Pressestelle der Stadt Lübben an: „Wo war denn der Oleander?“ Antwort der Pressesprecherin Dörte Ziemer: „Es hat sich offenbar alles auf den Vormittag und das Virtuelle konzentriert.“ Auf der Internetseite Lübbens sind bereits einige Bilder zu sehen, irgendwo, ein Oleander hier am Stadtrand und ein Oleander dort auf einem Schulhof.
Und wer hatte die Idee dazu? „Das war ich“, sagt Frau Ziemer, „als ich mit dem Fontane-Wanderbuch in der Tasche beim Kebap-Haus während der Mittagspause den Oleander erblickte“ – na, hat doch ganz gut geklappt.
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