200. Geburtstag von Heinrich Schliemann: Er war populär, er hatte Flair
Am Donnerstag wäre der Selfmademan Schliemann 200 Jahre alt geworden. Viele seiner archäologischen Funde hat er gestohlen und nach Berlin gebracht.
Deutschlands bekanntester Archäologe Heinrich Schliemann, der am Donnerstag 200 Jahre alt wird, war ein Sozialaufsteiger vom Armeleutekind zum neureichen Selfmademan, ein Hochstapler, Betrüger, Lügner und Dieb – aber auch ein Sprachgenie, Abenteurer und Goldgräber. Er hatte unsagbares Glück und einen Riecher für Trends, war ein akademischer Quereinsteiger, dem die Archäologie wie Geschichtswissenschaft viel zu verdanken haben, und der Berlins Museumswelt geprägt hat.
1881 gab Schliemann seinen berühmten „Schatz des Priamos“ zusammen mit etwa 10.000 anderen Fundstücken aus Troja nach Berlin. Als er zum ersten Mal im heutigen Gropius Bau zu sehen war, standen die Berliner*innen Schlange.
Kein Wunder also, dass das Museum für Vor- und Frühgeschichte Schliemann eine große Sonderausstellung mit rund 700 Objekten widmet, die ab Mai 2022 in der James-Simon-Galerie und im Neuen Museum zu sehen sein wird.
Die Ironie: Zwar möchte die Ausstellung Schliemann aus der „Ecke des Schatzgräbers“ herausholen und mit der „Einsamkeit des Goldes brechen“, so der Leiter des Museums für Vor- und Frühgeschichte Matthias Wemhoff zur taz. Dennoch bleibt der Schatz der Kern – ohne dass er in Berlin zu sehen sein wird.
Abenteuerliche Wege
Heinrich Schliemann wurde 1822 als Sohn eines alkoholkranken Pfarrers in Mecklenburg-Vorpommern geboren und machte nach dem Realschulabschluss eine Kaufmannslehre bei einem Krämer in Brandenburg.
Auf abenteuerlichen Wegen kam er als Neunzehnjähriger nach Holland und legte den Grundstein für eine erfolgreiche Kaufmannskarriere im Amerika der Goldgräber und im zaristischen Russland.
Erst als er die Hälfte seines Lebens hinter sich hatte, erfand sich Schliemann so neu, wie das nicht einmal Männern wie den eingangs erwähnten Hughes und Musk geglückt ist.
Er begann, die Welt zu umreisen, kaufte sich ein Haus in Paris, schrieb ein Buch über Japan und China und ließ es auf eigene Kosten drucken. Doch das Buch kam nicht an.
Wie ein Besessener
Ein spannender Film über Schliemann mit dem Titel „Der Schatz des Priamos: Wem gehört das Gold von Troja?“, der am Samstagabend auf 3Sat zu sehen ist, legt nahe, dass er auch aufgrund der Lektüre eines damaligen Bestsellers über Troja nach Griechenland und in die Türkei reiste und begann, mithilfe seines beträchtlichen Vermögens wie ein Besessener nach den historischen Orten zu suchen, die Homer in seinen Sagen beschrieben hat. Schliemann war überzeugt von etwas, das bis heute nicht als gesichert gilt: dass er das historische Troja und im Jahr 1873 den „Schatz des trojanischen Königs Priamos“ gefunden hat. Wahrscheinlich stammt er aber aus einer Zeit vor der, in der Priamos wahrscheinlich lebte.
So oder so befindet sich der Schatz bis heute auf einer Art Odyssee. Zunächst wurde er von Schliemann selbst in Gemüsekisten aus der Türkei geschmuggelt, woraufhin einer der ersten Beutekunstprozesse begann: Das Osmanische Reich machte Schliemann, der damals in Griechenland lebte, das Leben schwer, indem es sein Haus durchsuchen ließ und seine Konten einfror. Doch schließlich ließ es sich mit einer Zahlung ans Kaiserliche Museum in Konstantinopel abspeisen.
Doch dann, am Ende des Zweitens Weltkriegs, verschwand der Schatz für 50 Jahre. Erst 1993 gab der erste Präsident Russlands Boris Jelzin zu, dass er damals nicht nur von der Roten Armee gestohlen worden war, sondern noch immer in Moskau weilte. Trotz guter Zusammenarbeit mit Moskau, so Wemhoff, wäre eine Leihgabe aus dem Schatz für die Berliner Ausstellung viel zu kompliziert gewesen.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Restitutionsdebatte und dessen, was man über den Selfmademan, Schatzgräber und unermüdlichen Forscher Heinrich Schliemann in der Berliner Ausstellung ab Mai erfährt, erscheint es allerdings fraglich, ob der Schatz des Priamos je nach Berlin zurück kehren wird.
In Berlin war Wissen
Aber wird er in die Türkei zurück kehren? Dazu sagt Matthias Wemhoff, das müsse einvernehmlich geregelt werden. „Auf keinen Fall aber darf man das Osmanische Reich mit afrikanischen Staaten der Gegenwart vergleichen“, fügt er an. Das Osmanische Reich sei ein mächtiger Player gewesen – und ließ sich auf die Ablasszahlung Schliemanns ein.
Und Schliemann habe seine Funde auch deshalb nach Berlin gegeben, gibt Wemhoff zu bedenken, weil hier damals am meisten Wissen vorhanden war, um sie zu erforschen und zu vergleichen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour