20 Jahre "Conne Island": Paradies mit Putzdienst
Das Leipziger "Conne Island", das renommierteste selbst verwaltete Kulturzentrum im Osten, feiert sein 20-jähriges Bestehen. Die Macher sind mit ihren Aufgaben gewachsen.
Thomas Ebermann erscheint viel zu früh. Lange vor seinem Auftritt sitzt der Hamburger vor dem "Conne Island" in der Sonne, schaut sich die Besucher an und denkt, das ist hier ein idealer Ort, um jungen Menschen zu ermöglichen, "gegen die Realität" zu leben. So schreibt er in dem Reader "Conne Island 20 YRS - Noch lange nicht Geschichte", der rechtzeitig zum 20. Jubiläum des Leipziger Kulturzentrums erscheint. Darin finden sich auch Texte über Feminismus, Techno, die Krise der Musikindustrie, Subkulturen, all jene Themen, die im Conne Island, dem renommiertesten alternativen Kulturzentrum in Deutschlands Osten, eine Rolle spielen.
Das Conne Island heißt im Volksmund auch Eiskeller, benannt nach der Funktion, die das Gebäude ausübte, bevor es Kühlschränke gab. Ende des 19. Jahrhunderts wurde es Ausflugslokal, ab 1937 Treffpunkt der Hitlerjugend. Zu DDR-Zeiten als "Klubhaus Erich Zeigner" ein Veranstaltungsort der FDJ. Heute dient das "Conne Island" als Konzertbühne, Club, Biergarten, Freiluftkino, Bibliothek und Infoladen, Übungsplatz für Skater und Tischtennisspieler.
Und Ort für politische Gruppen. "Wir waren schon immer ein linker Laden", sagt Katharina Hamann, die unter anderem für Projektbewilligung zuständig ist. Alles andere ist Verhandlungssache. Wie hoch die Eintrittspreise sind, welche Bands spielen dürfen, wer das Klo putzt - darüber entscheidet ein wöchentliches Plenum, immer montags um 18 Uhr, seit 20 Jahren. "Wir fällen Konsens-, keine Mehrheitsentscheidungen", fügt Kay Gräfrath an. "Da kann eine Diskussion schon mal ein halbes Jahr dauern."
Gräfrath, den alle nur Grape nennen, wie die Frucht, ist Mann der ersten Stunde im Conne Island. Er arbeitete erst als Koch, war später Gastro-Chef und steht auch heute hinterm Tresen. Gräfrath kann sich gut daran erinnern, als im Klubhaus die Kellner noch Getränke an gedeckte Tische brachten und am nächsten Tag Punk-Konzerte stattfanden. Zu Wendezeiten, als die Kulturhäuser der Stadt verkauft werden sollten, schlug eine Gruppe mit dem Namen "Reaktion" so lange Krach im Rathaus, bis ihr das Klubhaus übergeben wurde. "Die Herkulesaufgabe war, den ganzen Ostmief aus dem Haus zu bekommen", erinnert sich Grape.
Rein kam stattdessen alles, was vor der Wende nicht sein durfte: Hardcore, HipHop, die ersten Technopartys in Leipzig. Der DIY-Gedanke war nicht entscheidend, man wollte endlich angesagte Bands aus den USA und aus anderen Ländern sehen, jetzt, wo alles möglich war.
Standing Ovation
"Leipzig brauchte dringend mehr internationale Kultur, die haben wir uns geholt", erklärt Grape. So ist das bis heute geblieben. Längst genießt das Conne Island auch außerhalb der Stadt einen ausgezeichneten Ruf als Konzertbühne, auf die auch Bands gerne zurückkehren. Nicht nur des veganen Essens wegen, das sogar die sonst strictly fleischfressende Roadcrew der Funpunkband Die Ärzte zur Standing Ovation animierte.
Gewandelt seit den Anfängen haben sich vor allem die Preise. Früher gab es die Regel: Kein Konzert teurer als acht Mark. Eine Höchstgrenze gibt es nicht mehr, seitdem Künstler touren müssen, um ihr Album aufnehmen zu können, statt andersrum. "Wir wollen ja auch, dass Menschen vom Musikmachen leben können", meint Hamann. Der Eintritt gehe hauptsächlich für Gagen und Technik drauf. Viele Leipziger arbeiten hier ehrenamtlich, machen etwa den Einlass bei Konzerten ihrer Lieblingsbands.
"Wir verstehen uns als Mehrgenerationenprojekt." Einige der Begründer haben selbst Kinder. Ein Blick auf die Halfpipe und es wird klar, Nachwuchssorgen hat das Conne Island keine. Auch die Technonächte werden inzwischen maßgeblich von Jüngeren gestaltet. Zu dem offenen Montagsplenum kommen immer wieder neue Interessierte.
Gefeiert wird der 20. Geburtstag auch mit einer Ausstellung des Leipziger Fotografen Thomas Steinert. Er zeigt teils unveröffentlichte Fotos aus den Achtzigern, auf denen etwa Breakdancer in DDR-Trainingsanzügen vor dem Klubhaus Tanzschritte vollführen. Die Betreiber wollen auch mit einigen Mythen aufräumen.
Dass das Conne Island ein Treffpunkt der Autonomen sei, zum Beispiel. "Sind wir nie gewesen", meint Hamann. "Wir denken nicht immer darüber nach: Bringt dies oder das jetzt den Antifaschismus voran?" Hedonisten seien schließlich immer willkommen. Aber was ist mit der antideutschen Haltung, aus der heraus keine Fußballspiele der deutschen Nationalmannschaft gezeigt werden? "Das gab einfach immer Ärger, wenn wir die gezeigt haben", erklärt Grape. Und man wolle den Neonationalismus nicht befürworten: Die Berliner Deutschpop-Band Mia. wurde zum Beispiel nach ihrem Song "Was es ist" wieder ausgeladen. Das Pali-Tuch-Verbot? Gilt. "Man kriegt es aber später mit einem Erklärungszettel wieder", so Hamann. "Wir wollen Unwissende, die das aus Modegründen bei H & M kaufen, zum Nachdenken bringen."
Die Mitarbeiter kümmern sich auch bei rassistischen oder sexistischen Sprüchen. "Wer blöd angemacht wird, kriegt Hilfe", sagt Grape. Hilfestellung erhalten auch die sogenannten Redskins. "Das ist eine Besonderheit für einen linken Laden, dass hier Skinheads feiern", so Grape. "Man muss kein Nazi sein, um solche Musik zu hören. Und wenn doch welche darunter sind, müssen sie hier unter der Antifa-Fahne zur Musik tanzen." Thomas Ebermann kommt am 22. September übrigens wieder nach Leipzig mit einer szenischen Lesung eines Stücks über einen entführten Papst. Bestimmt wird er viel zu früh anreisen, Indiz dafür, dass er für den Auftrittsort etwas übrig hat.
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