20 Jahre Berghain: Happy Birthday, Hain
Am Wochenende feiert das Berghain sein 20-jähriges Bestehen. Der Club ist nicht nur zum Symbol der Technokultur geworden. Er gilt auch als Blackbox.
Es ist eine Abfuhr an „Berlins härtester Tür“, wie sie schon Sido, Elon Musk und halb Berlin erfahren mussten. Die Szene stammt aus dem „Berghaintrainer“, einer Onlinesimulation, die Nutzer*innen auf die rigorose Türpolitik des Clubs vorbereitet – weniger ernst gemeint als eine spielerische Auseinandersetzung mit dem Mythos rund um den Club.
Denn das Berghain in Friedrichshain gilt als Blackbox – ein Status, den das Haus um jeden Preis beibehalten will. Mit der Presse spricht das Berghain grundsätzlich nicht. Das hauseigene Label Ostgut, Booker, DJs lehnen ein Gespräch mit der taz ab. Ein strenges Fotoverbot soll verhindern, dass Bilder aus den Innenräumen nach außen gelangen. So bleibt das Berghain, das an diesem Wochenende Geburtstagsjubiläum feiert, auch 20 Jahre nach seiner Eröffnung ein Mysterium.
Entstanden ist der Club Anfang der 2000er Jahre als Nachfolger des Ostguts, eines Clubs, nicht sonderlich weit weg von der jetzigen Location, der allen Geschlechtern offenstand, sowie des Laboratorys, das sich an schwule Männer richtete. 2003 wurde das Ostgut abgerissen, an seiner Stelle steht heute die Uber Eats Arena. Am 18. Dezember 2004 eröffnete es als Berghain, dessen Name sich aus dem Bezirksnamen Friedrichshain-Kreuzberg ableitet. Ein neues Zuhause fand es in den ehemaligen Hallen des Heizkraftwerks Friedrichshain, die dazu entkernt und umgebaut wurden.
Berghain entwickelt eigenen Sound durch Resident DJs
Das Berghain besteht aus verschiedenen Floors: der großen Berghain-Halle, der Panoramabar, der Kantine, dem Laboratory, dem Garten und der Säule. Die Musik variiert je nach Floor: „Oben in der Panoramabar ist es verspielter. Unten ist es auf die Fresse“, sagt Ronald Krüger*, der seit 14 Jahren Stammgast im Berghain ist. Der Club setzte von Anfang an darauf, einen eigenen Sound zu entwickeln und baute dazu eine Gruppe von Resident-DJs und Labels auf. Eine „Residency“ pflegt auch das Berliner Independent-Label Live From Earth, das seit einigen Jahren eigene Partys dorthin bringt.
Teil davon ist auch Leo Altaras. 2022 legte er unter dem Namen „Alcatraz“ erstmals in der Panoramabar auf und gehört seitdem häufiger zum Line-up. Seine Musik beschreibt er als Electropop, zunehmend spiele er energetischen Trance und Progressive House. „Die Akustik im Berghain ist der Hammer“, sagt der 24-Jährige. „Besonders im Low-Frequency-Bereich hört man Dinge, die man woanders nicht hört.“
Das Berghain ist bekannt für das sogenannte Funktion-One-System, das die akustisch herausfordernde Ruine mit ihren 18 Meter hohen Decken mit kraftvollem Sound und hochwertigen Bässen füllt. 2017 wurde das Soundsystem in der Panoramabar rundüberholt, 2024 auch das in der Halle im Berghain.
Für Isa*, eine Berlinerin, die seit 6 Jahren ins Berghain geht, ist es vor allem der Sound, der die Erfahrung besonders macht. „Natürlich ist es architektonisch toll, aber vor allem ist die Anlage richtig krass“, sagt die 26-Jährige. „Auf dem Dancefloor ist es nicht zu laut und nicht zu leise. Man kann sich bei voller Lautstärke gut unterhalten – wobei das nicht gern gesehen wird.“
Das Berghain ist für DJs ein Ort künstlerischer Freiheit
Neben dem Soundsystem schätzt Leo Altaras die künstlerische Freiheit, die ihm beim Auflegen in der Panoramabar geboten wird. „Man kann sich musikalisch ausprobieren. Die Gäste haben Ahnung von Musik, aber lassen sich auf andere Nischen ein und sind bereit für Neues. Wenn man sich als DJ etwas überlegt, wird das mit offenen Armen begrüßt“, sagt er. „Das Berghain ist ein Ort der künstlerischen, aber auch allgemeinen Freiheit.“ Und natürlich ein sehr sexueller Ort.
Der Club ging aus der schwulen Sex- und Fetischpartyreihe „Snax“ im Vorgängerclub hervor. Der Darkroom Laboratory im Erdgeschoss des Hauses ist dabei noch immer Herzstück des Berghains. Für den 56-jährigen Berliner Ronald Krüger sind es vor allem die Begegnungen, auch jenseits des Laboratory, die das Berghain besonders machen. „Man verbringt eine schöne, verbindende Zeit und ist kuschelig miteinander. Das bedeutet nicht unbedingt Sex. Aber Leute, die ein Teil genommen haben, ziehen sich eben an wie Magneten.“
In anderen Clubs habe er diese Begegnungen nicht. „Im Sisyphos fühle ich mich zu alt, im Tresor ist es zu dunkel und das Kitkat finde ich total scheiße“, sagt Krüger. Dort gehe es eindeutig um Sex. „Die Leute checken sich ab.“ Im Berghain sei das anders: „Alle gucken sich in die Augen. Ich kann zu jedem gehen, ob Mann oder Frau, etwas Nettes sagen und die Person wird sich freuen.“
Auch für Isa sind die Begegnungen im Berghain ein großer Anziehungsfaktor: „Es ist unglaublich, wie viel Liebe im Raum ist. Man ist nie allein, wenn man nicht will.“ Das liege auch am großen, vertrauten Stammpublikum. „Diese Menschen halten über Tage die Stimmung aufrecht und geben viel Energie rein.“ In anderen Clubs gebe es das nicht. „Vielleicht, weil sie nicht die gleiche Anziehungskraft haben.“ Für Isa besteht sie darin, dass das Berghain „roher und subkultureller“ ist als andere Technoclubs. „Die Welt drinnen ist eine andere – komplett abgekapselt von außen.“
Die Realität nach dem Rausch ist hart
Auch Krüger bezeichnet den Club als „Paralleluniversum mit einzigartiger Warmherzigkeit“. Das gelte jedoch nur für die Stunden, in denen man drin ist. „Danach zerplatzt es wieder. Dann verlässt du den Schuppen, bist ziemlich druff und brauchst erst mal zwei Tage, um wieder klarzukommen.“
Bekannt ist das Berghain eben auch für exzessiven Drogenkonsum. Immer wieder kursieren Gerüchte von Gästen mit Überdosis, die kollabieren oder sterben. Im Berghain-Kanal des Internetforums Reddit warnen Gäste vor gefährlichen Drogen, die umhergehen, oder Needle-Spiking, dem heimlichen Injizieren von Drogen bei Clubgästen.
Gleichzeitig eröffnet der Drogenkonsum erst die magische Dimension des Clubs, findet Krüger. Mit 43 Jahren nahm er im Berghain das erste Mal Drogen: „Was da passiert, ist sonst nicht zu begreifen. Ich hatte die euphorischsten Erlebnisse im Rausch von Ecstasy, elektronischer Musik und Tanzen.“ Das sei auch gefährlich. „Das Berghain kann eine Droge werden“, sagt Krüger. Das gelte vor allem, wenn man mit Alltag, Job oder Beziehung nicht so zufrieden ist. „In solchen Phasen renne ich 5 Sonntage nacheinander hin, wie so ein Bekloppter.“ Momentan geht er alle 2 Wochen hin.
Ob sich in den vergangenen 14 Jahren viel verändert hat? Krüger glaubt nicht. „Viele alte Stammgäste mosern rum, dass früher alles viel geiler gewesen sei.“ Auf den Zug könne er nicht aufspringen. „Touristen hat es schon immer gegeben und auch musikalisch hat sich nicht viel verändert.“ Zwar seien Getränke und Eintritt teurer geworden, aber „alles im Rahmen“.
Clubsterben in Folge von Kostensteigerungen
Die Berliner Clubszene hat mit enormen Kostensteigerungen zu kämpfen, etwa im Produktionsbereich, für Energie und Mieten, aber auch bei den Lohnkosten. Laut einer Befragung der Clubcommission aus dem November beträgt der Umsatzeinbruch der Clubs im ersten Halbjahr 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 55 Prozent, der Gewinn reduzierte sich sogar um 61 Prozent. Viele Clubs mussten daher schließen. Andere versuchen sich zu halten, müssen die gestiegenen Kosten jedoch teilweise auf die Gäste abwälzen – so auch das Berghain.
„Früher hat ein Ticket von Samstag bis Montag 10 Euro gekostet“, erinnert sich Krüger. Heute liegt der Eintritt bei 25 Euro, mit Ausnahmen an besonderen Tagen wie Silvester oder dem Jubiläumswochenende. „Durch die Berghain-Gerüchteküche geistert, dass der Eintritt zum Jubiläum 70 Euro kostet“, erzählt Krüger. „Aber dafür wird einem auch viel geboten.“
Es legen Stars des Berliner Technos wie Ben Klock, Norman Nodge, Marcel Dettmann und rund 70 weitere DJs auf. „Es ist ein absolutes Hammer-Line-up. Es wird legendär“, schwärmt Isa. Die Feier beginnt am Freitag und endet Montagfrüh. Krüger plant, ausgeschlafen am Samstagabend hinzugehen. „Und dann reicht’s auch. Dann gehe ich nach Hause und komme erst mal nicht wieder.“
*Namen von der Redaktion geändert
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