: 1992: Bremen in Amerika
■ Millionen-Programm zum Kolumbus-Jubiläum in New York / Gegenkampagne
Wenn im nächsten Jahr das 500jährige Jubiläum der Kolumbus-Reise nach Amerika weltweit zum Anlaß für Konferenzen, Messen, Kultur- und Sportfestivals wird, dann geht auch Bremen in die vollen: Für weit über 10 Millionen Mark will sich das kleinste Bundesland vom 10.-20.9.92 in New York präsentieren. Gleichzeitig wird das Kolumbus-Jubiläum für die Bremer Lateinamerika-Solidaritäts- Szene zum Anlaß für eine Kampagne unter dem Motto „500 Jahre Kolonialismus — 500 Jahre Widerstand“. Und auch in der Behörde des Kultursenators und Lateinamerika-Fans Henning Scherf wird fleißig auf 1992 hingearbeitet. Unter Mitarbeit von rund 15 ABM-Kräften sind Kulturwochen in der Planung.
Weil der Name Kolumbus in dem (vom Wikinger Erik dem Roten entdeckten) Nordamerika wenig positive Assoziationen weckt, taucht sein Name im Zusammenhang mit dem offiziellen Bremer New-York-Programm nur im Kleingedruckten auf. Schwerpunkt der Veranstaltungen unter dem Motto „Moving Together“ wird die Geschichte der Auswanderung in die USA über die Bremer Häfen sein. Neben einem großen internationalen Kongreß wird ein typisches Auswandererschiff der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts nachgebaut. Unter Deck wird Original-Auswanderer-Atmosphäre simuliert und mit einer umfassenden Ausstellung zum Thema ergänzt. Das Museums-Schiff wird vor einer historischen Hafenkulisse im August 92 zunächst in Bremerhaven und ab 10. September auf Ellis Island, dem damaligen New-Yorker Einwanderungstor, zu sehen sein. Die Schirmherrschaft haben der Bremer Anwalt Hans-Diet
Auch um fünf vor zwölf liegt New York um sechs Stunden hinter Bremen zurückFoto: Tristan Vankann
rich Genscher und der als Kind über Bremen ausgewanderte Henry Kissinger übernommen.
Parallel zu der Ausstellung wird in der 2.400 Besucher fassenden „Brooklyn Academy of Music“ Hans Kresniks Bremer Tanztheater, die Leipziger Oper mit der „Weißen Rose“ und die Hamburger Staatsoper mit Brechts „Mahagonny“ aufgeführt. Moderne Musik lebender deutscher Komponisten ist ebenso im Programm wie eine Calderon-Neuinszenierung von Bremens neuem Intendanten Hansgünter Heyme in Zusammenarbeit mit Hans-Magnus Enzensberger. Den Abschluß geben am 19.9.92 Bremer Blasorchester und der Shanty-Chor „Hart Backbord“ bei der New Yorker Steubenparade.
Neben einem Zuschuß von 500.000 Mark aus dem Rathaus,
hier bitte das Foto
mit den Uhren
200.000 Mark von der Bremer Lagerhausgesellschaft (BLG) und einem Beitrag des Auswärtigen Amtes soll das Bremer USA- Programm vor allem durch Unternehmen aus Bremen und den USA finanziert werden. Die große US-Agentur Burson-Marstaller hat 300 Firmen angesprochen, im Oktober sollen die Zusagen zusammengerechnet werden. Dann wird sich auch entscheiden, ob noch Geld für ein Bremer Jazz- Festival und Fußballturniere mit Werder Bremen in New York und mit US-Mannschaften in Bremen übrig ist.
„Gegen Jubelfeiern und Geschichtsverdrehung“ beginnt die Kampagne der Solidaritätsgruppen ihr Kolumbus-Jubiläums- Programm schon heute in einer Woche mit einem „Tribunal gegen die organisierte Unverantwortlichkeit“. Gemeint ist die
BLG, deren Hafenumschlag von Tropenholzimport bis Rüstungsexport die ungleichen Bedingungen des Welthandels besonders sichtbar macht. Nach dem Tribunal (2.7., 19.30 Uhr, Weserterrassen) und einer „Alternativen Hafenrundfahrt“ (3.7., 16 Uhr ab Martinianleger) wird am Tag der BLG-Aktionärsversammlung (5.7., 10 Uhr, Stadtwaage in der Langenstr.) ein symolisches Urteil verkündet.
Bis zum „Kolumbustag“ am 12.10.92 soll in vielen Veranstaltungen und in der unregelmäßig erscheinenden Zeitschrit „Contrapunto“ an die Folgen des 500jährigen Ausbeutungsverhältnisses von Europa gegenüber Lateinamerika erinnert werden. Auch wenn das offizielle Bremen dann lieber auf einem New Yorker Galaabend seine Wirtschaftskontakte pflegt. Ase
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