144.-149. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Was ist eine Zeugenaussage wert?
Weitere mutmaßliche Opfer von FDLR-Verbrechen treten nichtöffentlich als Zeugen in Stuttgart per Video auf. Die Verteidigung zweifelt den Wert ihere Aussagen an.
STUTTGART taz | Die Vernehmung zweier weiterer der insgesamt zehn kongolesischen Opferzeugen per Videolink unter Ausschluss der Öffentlichkeit dominierte die sechs Verhandlungstage vom 8. bis 24. April im laufenden Kriegsverbrecherprozess gegen Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, Präsident und 1. Vizepräsident der im Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). Und wieder störte sich die Verteidigung an angeblichen Ungereimtheiten einer Zeugin in ihrer Aussage über ihre Vergewaltigung durch die FDLR - und über die Interpretation des Aussageinhalts.
So bezweifelt die Verteidigung, ob eine Vergewaltigung mit Penetration und Blutungen wirklich eine besonders brutale Vergewaltigung sei, wie es die Anklage sieht. Sie hält die Aussage der Zeugin in mehreren Punkten nicht für stimmig. Was allerdings voraussetzt, dass es deutschen Juristen möglich ist, ohne direkten Augenschein und ohne direkte Ortskenntnis Schilderungen von Kongolesinnen in einem der brutalsten Kriegsgebiete der Welt über ihre Erlebnisse unter einer der brutalsten Milizen dieses Kriegsgebiet auf Plausibilität beurteilen zu können.
Und es geht erneut um die Glaubwürdigkeit von Zeugen an sich, wenn sie möglicherweise Opfer von Traumatisierung sind. Wer traumatisiert ist, dessen Aussage ist möglicherweise nicht wahrheitsgemäß, und daher muss die Aussage überprüfbar sein; bei komplett anonymisierten Zeugen ist eine solche Überprüfung aber nicht möglich: so die Essenz der zahlreichen detaillierten Anträge der Verteidigung.
Gefordert wurde unter anderem die Hinzuziehung eines Sachverständigen in Bezug auf „Übertragung, Fremd- und Autosuggestion, Autoaggravation, Sicherheit der Aussage, Aussageklarheit, ob Zeugenaussagen auswendig gelernt wurden, und um Falschaussagen festzustellen“.
Es gehe auch um medizinische Gutachten in Bezug auf die vorgebrachten Verletzungen durch sexuelle Gewalt. Und es sei die „Aussageentstehungsgeschichte“ zu überprüfen und Widersprüche zwischen der jetzigen Zeugenaussage und der ersten Zeugenvernehmung vor mehreren Jahren zu klären.
Die Bundesanwaltschaft lehnt all diese Anträge ab. Je weiter die anonymen und nichtöffentlichen Opferzeugenaussagen voranschreiten, desto grundsätzlicher wird deren Ablehnung seitens der Verteidiger und er Disput darüber zwischen den Parteien.
Mangels Öffentlichkeit der Zeugenaussagen ist es nicht möglich, diese Ablehnung zu beurteilen. Bisher jedoch hat der Senat offenbar keinen Anlass gesehen, diese Zeugenaussagen zu beenden, abzukürzen oder zumindest öffentlich wahrnehmbar anders zu gestalten.
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