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125 Jahre Berliner GedächtniskircheVorsichtige Annäherung

Die Gedächtniskirche wird 125 Jahre alt. Bisher war dieser Ort für unsere Autorin nicht mehr als ein Touri-Hotspot. Jetzt schaut sie mal genauer hin.

Westberliner Wahrzeichen: Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche am Breitscheidplatz Foto: picture alliance/Christoph Soeder/dpa

An der Gedächtniskirche am Breitscheidplatz bin ich als gebürtige Berlinerin schon so oft vorbeigegangen und -gefahren – und jedes Mal habe ich sie vor allem als einen Ort für Selfies sammelnde Tourist*nnen wahrgenommen. Und doch wissen diese Touris vielleicht viel mehr über das Gebäude als ich, denke ich an diesem Montag auf meinem Weg zu diesem Westberliner Wahrzeichen: Heute wird der 125. Geburtstag der Gedächtniskirche gefeiert, und das ist Anlass und Beginn einer sechstägigen Reihe von Führungen, Vorträgen und Andachten – und für mich, diese Kirche endlich mal aus der Nähe zu betrachten.

Auf dem Platz vor der Kirche ist an diesem Vormittag, am Vortag des Jubiläums, aber kaum etwas los – nur rundherum lärmen Autos und Lkws. Zum ersten Mal besuche ich sie wirklich. Das Erste, auf das ich treffe, ist ein Bauzaun, der im Moment den Gedenksaal und die anliegende Baustelle umgibt. Dann auch: ein paar wenige Tourist*nnen. Die sind sichtlich irritiert, als man sie nach einem 125-jährigen Jubiläum fragt. Auch eine alteingesessene Besucherin weiß nichts von dem Programm.

In seinen 125 Jahren hat das Gebäude im Übrigen einiges mitgemacht. Ich mache mich schlau, bei dieser Gelegenheit: Die Kirche musste nicht nur aufgrund der Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg um seine Existenz fürchten. Ob die Kirche bleiben und wiederaufgebaut werden würde, stand daraufhin lange nicht fest. Doch schon vor dem Krieg wurde ein Abriss diskutiert, schlicht weil die Kirche an Aufmerksamkeit und Bedeutung verloren hatte.

Rasantes Tempo

Viereinhalb Jahre brauchte man für den Bau der 1895 eingeweihten Kirche, für die damalige Zeit ein rasantes Tempo. Bis heute trägt sie außerdem den Namen des Kaisers Wilhelm I., der mit dem Bau der Kirche geehrt werden sollte. Früher einmal war ihr vormals 113 Meter hoher Turm der höchste der Stadt. Heute würde das Gebäude, wäre der Turm erhalten geblieben, vielleicht nicht mal mehr die umliegenden Hochhäuser überragen können.

Von blauem Licht wird man eingehüllt, wenn man den Altarraum betritt, der zu den 1961 rund um die Ruine der alten Kirche hinzugefügten Bauten gehört. Eine angenehme Stille macht sich breit, der Verkehrslärm verstummt. Schon nach wenigen Augenblicken möchte ich nicht mehr zurück nach draußen und in die U-Bahn. Eigentlich schade, denke ich: Mittendrin im Gewusel könnte der Kirche auch von allen Berliner*innen, die nicht gläubig sind, etwas Beachtung geschenkt werden. Denn von ruhigen Orten wie diesen lebt die Stadt ebenfalls.

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6 Kommentare

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  • Im Artikel fehlt ein weiterer Aspekt. Die alte Kirche ist - auch als Ruine - schön. Architektonisch ist sie sehr gelungen. Damals muss sie geradezu prächtig gewesen sein. Alte Bilder zeigen ihren Glanz. Der Betonbau daneben an, welcher für heutige Andachten genutzt wird, ist dagegen einfach nur gruselig. Daher ist das Jubiläum ein schöner Anlass eine Diskussion über eine vollständige Rekonstruktion zu beginnen. Technisch wäre das heute sicherlich möglich.

    • @DiMa:

      "Der Betonbau daneben an, welcher für heutige Andachten genutzt wird, ist dagegen einfach nur gruselig."

      Widerspruch. Wie im Text bereits erwähnt, hat der moderne Kirchraum eine ganz wunderbare Atmosphäre. Ich empfehle, sich dort mal ein gutes Konzert anzuhören.

      Neben der Ruine der äußerlich prunkvollen Kirche, ist es ein starkes Zeichen, dass der Neubau nach außen schlicht ist, und seinen eigentlichen Charakter nur innen zeigt.

      Rekonstruktion der alten Kirche würde im Übrigen genau das zerstören, was heute ihren einzigartigen Wert ausmacht.

      • @Stephan Herrmann:

        Ich kenne beide Gebäude und habe meinen Kommentar in Kenntnis dessen geschrieben.

        Diesen Gedächtnisfaktor (als "einzigartigen Wert") brauchten wir lange, um die Ruine als hohlen Zahn vor dem drohenden Abriss zu bewahren. Dieser Zweck ist überholt. Wenn man einen Ort braucht, um sich an die schrecklichen Folgen des Krieges zu erinnern, dann muss man nur zum Europa-Center weiterlaufen.

        • @DiMa:

          Gedächtnisfaktor nur als Mittel zum Zweck? Allein zum Schutz vor Abriss? Steht der Wert der Kirche selbst höher als der Wert des Gedenkens an den zweiten Weltkrieg?

          Prunkvolle Kirchen gibt es viele in der Republik und auch in Berlin.

          Eine derartige Ikone des Gedenkens gibt es kaum ein zweites Mal. Kein Europacenter kann die Symbolkraft einer Ruine ersetzen. Vielleicht haben einige Berliner:innen langsam genug davon, aber das Symbol ist ja weit, weit über die Stadtgrenzen hinweg wichtig.

          Und ein historisierender Wiederaufbau in der Stadt ist bereits mehr als genug.

          • @Stephan Herrmann:

            Nur mus man für so eine Ruine halt nicht genau die Stadtmitte wählen und auch nicht unbedingt ein so schönes Gebäude.

            An der Stelle des heutigen Europacenters standen vor dem Krieg ebenfalls sehr schöne Häuser. Davon ist nichts geblieben. Statt dessen sehen wir eine große Hässlichkeit. Vergleichbare Fälle wären der Potsdamer Patz und das Alexa. Alle als zukünftige Gedenkorte bestens geeignet. Man müsste sie nur noch entsprechend widmen.

            Dann könnte man Berlin einen Teil seiner ehemaligen Schönheit wieder zurück geben.

            • @DiMa:

              Ich sehe, wir werden uns nicht einigen :)

              Ich denke, Berlins Charme liegt nicht unerheblich auch daran, dass die Stadt nicht perfekt, nicht nur schön ist.

              Nichts gegen Schönheit, aber ich glaube, verletzte Schönheit ist ein ganz besonders starkes Symbol, dass mehr Menschen unmittelbar anspricht, als jeder Hinweis, wo überall schöne Gebäude verschwunden sind. Gebäude, die es nicht mehr gibt, sind nicht besonders anschaulich.

              Es geht um Gedenken an Zerstörung, Zerstörung auch und gerade in der Mitte der Stadt. Deshalb ist es gut, dass der hohle Zahn genau da steht, wo er gesehen wird.