Analyse: 100 Tage Harmonie
■ SPD/PDS-Koalition in Schwerin feierte selbstbewußt Geburtstag
Gerade 100 Tage ist die bundesweit erste SPD-PDS-Landesregierung im Amt, da sind schon vor Ablauf dieser „politischen Schonfrist“ die ersten Köpfe gerollt. Erst trat die PDS-Parlaments-Vizepräsidentin Gabriele Schulz wegen Stasi-Verdachts zurück. Dann ließ sich die PDS-Fraktionschefin Caterina Muth beim Klauen einer Wimpernspirale für 22,90 Mark erwischen. Wenig später nahm auch Lutz Scherling, bis dahin wissenschaftlicher Mitarbeiter der PDS-Fraktion, aus „Frust“ über die eigene Partei seinen Hut. Flugs sicherte das SPD-geführte Landwirtschaftsministerium ihm einen Referentenposten.
Verglichen damit verlief die Arbeit des Kabinetts von Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) in geordneten Bahnen. Zur Überraschung vieler Beobachter ist in Schwerin von einem Zickzackkurs wie in Bonn wenig zu merken. Das Bündnis für Arbeit auf Landesebene ist auf den Weg gebracht, das Versprechen zusätzlicher Millionen für Städte und Gemeinden wurde eingelöst, mit der Umweltpolitik des PDS-Umweltministers ist selbst der kritische Naturschutzbund zufrieden, und stetig bemüht man sich um neue Ausbildungsplätze. Der Erfolg dieser größtenteils staatlich geförderten Beschäftigungspolitik freilich bleibt abzuwarten. Handel und Industrie beäugen das neue Bündnis argwöhnisch, da half auch der Auftritt von Bundesarbeitsminister Walter Riester vergangene Woche vor Vertretern der Schweriner Wirtschaft wenig. Immer noch ist jeder fünfte im Land arbeitslos. Ungeachtet dessen zogen Ministerpräsident Ringstorff und sein Stellvertreter Helmut Holter (PDS) gestern eine überaus positive Bilanz ihrer ersten 100 Tage Regierungsarbeit. Statt Kräfte mit „parteipolitischem Gezänk“ wie zu „Zeiten der Großen Koalition“ zu verschwenden, so Ringstorff, habe die Koalition „sachbezogen und produktiv“ zusammengearbeitet. Der erste Arbeitsmarkt solle gestärkt werden, die Nettoneuverschuldung sinke in diesem Jahr erstmals unter die Grenze von einer Milliarde. Das „Projekt“, fügte Holter hinzu, habe „der PDS mehr genutzt als geschadet: Wir sind Geselle und Meister in einem“. Bundesweit gebe es keine Vorreiter für eine PDS-Regierungsbeteiligung. Nur die „Systemopposition“, die er kurz nach seiner Vereidigung zum Arbeitsminister versprochen hatte, „diesen Begriff sollte die PDS nicht mehr anwenden, der ist irreführend“.
Die CDU, die im Herbst 1998 nach acht Jahren auf der Regierungsbank abgewählt wurde, hat sich mit ihrer neuen Oppositionsrolle inzwischen angefreundet. Fraktionschef Eckhardt Rehberg läßt keine Gelegenheit aus, seinem Intimfeind Ringstorff „Peinlichkeiten, Skandale und Inkompetenzen“ vorzuwerfen, die nicht zufällig, sondern „symptomatisch für diese Landesregierung“ seien. Heike Haarhoff
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