100 Millionen Euro verdient: Vattenfalls profitabler Winter-Leerlauf
Der schwedische Stromkonzern stellte im vergangenen Winter auf seinem Heimatmarkt Atomkraftwerke ab – und machte damit Gewinne. Die Verbraucher müssen zahlen.
STOCKHOLM taz | Im vergangenen harten Winter, zur Zeit besonders hoher Stromnachfrage, ließ der Vattenfall-Konzern seine schwedischen Atomreaktoren nur mit einem Teil ihrer Kapazität laufen. Damit verdiente er ordentlich. Die Verknappung des Angebots führte nämlich auf dem nordischen Strommarkt zu einem kräftigen Preisschub nach oben. Worauf Vattenfall einfach den Durchfluss bei seinen Wasserkraftwerken ein wenig mehr öffnete, um zu diesem erhöhten Preis den Strom dann auf den Markt bringen zu können.
Das lohnte sich. Binnen der ersten drei Monate 2010 brachte es dem Staatskonzern einen Extraprofit von umgerechnet rund 100 Millionen Euro ein, zeigte eine TV-Dokumentation, die das öffentlich-rechtliche SVT in dieser Woche ausstrahlte. Torbjörn Wahlborg, Skandinavienchef des Konzerns, bestätigt diesen Sachverhalt auch frank und frei: "Wir haben da gut verdient." Langfristig allerdings koste die mangelhafte Effektivität der AKWs den Konzern womöglich mehr, als solche kurzfristigen Extragewinne einbrächten.
Denn natürlich kann so ein staatliches Energieunternehmen Reaktoren nicht einfach grundlos abstellen, um Preise hochzutreiben. Aber es können ja Inspektionen fällig sein, Reparaturen sich verzögern, und die jährliche Revision muss auch einmal stattfinden. Abgesehen davon haben die schwedischen Reaktoren seit einigen Jahren aber auch so massive technische Probleme und Stillstandszeiten wie in keinem anderen Land.
Laut einer Statistik der Internationalen Ergieagentur IAEA, die in der TV-Doku präsentiert wurde, betrieb weltweit kein Atomkraftland Reaktoren mit einem so hohen Anteil von Schnellabschaltungen wie Schweden. Und am Mittwoch musste ein Reaktor beim Eon-Atomkraftwerk Oskarshamn mit der ersten Schnellabschaltung des Jahres 2011 vom Netz genommen werden.
Mit einem Nutzungsgrad von 63 Prozent rangieren die schwedischen Pannenreaktoren am Ende der - von Finnland mit 96 Prozent angeführten - Statistik. "Mangelhaft" bewertet dies die IAEA. Dabei sind Betriebsprobleme immer auch Sicherheitsprobleme.
Allerdings gab es einmal eine Zeit, in der gerade schwedische Reaktoren der IAEA als vorbildlich galten. 1993 kürte sie das AKW Forsmark zur weltbesten Anlage. 2006 gab es dort einen Beinahe-GAU. Dazwischen lagen Jahre, in denen der Unterhalt der Reaktoren sträflich vernachlässigt wurde, wie Experten bekundeten, die in der TV-Doku zu Wort kamen. Zum Teil wird das auf die in Schweden schon 1996 durchgeführte Liberalisierung des Strommarkts geschoben. Mit der zunächst die sowieso niedrigen schwedischen Strompreise noch mehr sanken und Investitionen sich für die AKW-Betreiber nicht rechneten.
Als sich dieser Trend umkehrte, glaubten Vattenfall und Co aus den teilweise über drei Jahrzehnten alten und vernachlässigten Reaktoren noch mehr herauspressen zu können. Und sie entschlossen sich zu einem umfassenden Umbauprogramm, um deren Leistung zu erhöhen. Eine Kombination, die im jetzigen Fiasko endete.
War der Strommarkt des vergangenen Winters schon chaotisch, verspricht der jetzige nicht besser zu werden. An besonders kalten Tagen gab es Spitzenwerte bei den Strompreisen, die einige Unternehmen veranlassten, ihre Produktion einfach stillzulegen. Sie haben meist Stromabnahmeverträge, die eine bestimmte Menge zu Fixpreisen garantieren, während der Rest des Bedarfs zum Marktpreis dazugekauft werden muss. Da lohnte es sich für sie, die Maschinen abzustellen und ihr Stromkontingent mit kräftigem Gewinn auf den Markt zu verkaufen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin