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10 Jahre „Wir schaffen das“Kein Bauen für Geflüchtete, sondern Wohnungsbau

Will man wissen, wie Geflüchtete seit 2015 in Deutschland leben, stößt man auf gute integrative Architektur – und auf die ungelöste Wohnungsfrage.

Gleiche Wohnungen für Tübinger wie auch geflüchtete Familien: Haus am Park von den Architekturbüros Yonder und Somaa Foto: Brigida González

Wie leben eigentlich die Menschen, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind? Haben sie temporären Schutz oder eine dauerhafte Heimat gefunden? Ob es nun ungenutzte Kasernen wie in Bonn und Darmstadt waren, Leichtbauhallen wie auf dem Tempelhofer Feld in Berlin oder gar normale Schulsporthallen: Als im Spätsommer 2015 in Deutschland sehr viele Geflüchtete Asyl suchten, reagierte man schnell, nutzte zur Unterbringung um, was umnutzbar war.

Für viele Menschen blieb aber solch eine prekäre Wohnsituation von Dauer, das machte auch ihr Ankommen schwer. Und die überlasteten, lagerhaften Unterkünfte für Geflüchtete begleiteten bald einen politischen Stimmungswandel. Denn Merkels legendär gewordenes „Wir schaffen das“ vom Sommer 2015 wurde bald von Begriffen wie „Zustrom“, „Fluchtwellen“ und „Flüchtlingskrise“ abgelöst, obwohl die Zahlen der in Deutschland Asylsuchenden laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schon 2017 wieder den Stand von 2014 erreicht hatten.

Dabei hatte man in der Architekturszene vor zehn Jahren geradezu mit Euphorie an guten Lösungen zur Unterbringung der Hinzugekommenen gearbeitet. Das zeigte auch die Ausstellung „Making Heimat. Germany, Arrival Country“ 2016 im Deutschen Pavillon während der Architekturbiennale in Venedig. Ein Team des Deutschen Architekturmuseums hatte dafür in einem offenen Aufruf Architekturbüros, Städte und Gemeinden darum gebeten, Projekte einzureichen, die das von Merkel Gesagte untermauern sollten – es eben zu „schaffen“. Die Spanne der dann ausgestellten Projekte reichte von luftgetragenen Tennishallen über Containersiedlungen bis zu Modulbauten aus Holz oder überbauten Parkplätzen.

Oliver Elser, Mitkurator von „Making Heimat“, erinnert sich: „2015 haben viele Kommunen Großartiges geleistet, vielleicht allen voran die Stadt München, um in kürzester Zeit enorm viel Wohnraum zu schaffen. Wir konnten in Venedig wirklich viele Antworten auf die Frage ‚Schafft Ihr das?‘ präsentieren.“

Dossier zum Flüchtlingssommer 2015

Seit dem Fluchtsommer 2015 stemmt sich die deutsche Politik gegen das Ankommen der Geflüchteten: mit Arbeitsverboten, Wohnsitzauflagen, unterfinanzierten Integrationskursen genauso wie mit rassistischen Debattenbeiträgen. Und doch haben es Millionen Geflüchtete geschafft, ihren Platz in diesem Land zu finden – und jeden Tag werden es mehr. Sie finden Wohnungen, Jobs, Freun­d*in­nen und manchmal auch die Liebe. Sie lassen sich einbürgern, gehen wählen, gründen Betriebe. Sie werden Teil dieser Gesellschaft. Allen Widerständen zum Trotz.

Wir widmen uns dem Thema in der taz vom 27.11.2025 mit einem dritten Dossier zum Fluchtsommer vor 10 Jahren. Und wie in den vorangegangenen Sonderausgaben stehen verstreut auf den Seiten auch dieses Mal wieder Gedichte von Autor*innen, die selbst einst nach Deutschland geflohen sind. Ihr Werk ist der Beweis: Ankommen ist möglich.

Alles Texte aus den drei Dossiers erscheinen online nach und nach hier.

Eines der Büros, die 2016 in Venedig vertreten waren, heißt heute FK Architekten und sitzt in Bremen. Dort hat das Team um den Architekten Stefan Feldschnieders mehrere Container-Dörfer realisiert, immer im Hinterkopf, dass diese Provisorien alsbald durch dauerhafte Lösungen ersetzt werden sollten – etwa als Holzbau. Das Besondere: Die Bauten funktionieren wie ein Dorf im Kleinen.

Einfache, gute Übergangs-wohnungen für Geflüchtete außerhalb der Kölner Innenstadt vom Architekturbüro pagelhenn Foto: Jens Kirchner

Auf städtischen Grundstücken sind die Container so gestellt, dass sich eine Art Quartiersplatz bildet. Über Laubengänge gelangt man in die Wohnungen. So prallen die Privatheit der Wohnung und die Öffentlichkeit der Stadt trotz des Wohnens im Container nicht unmittelbar aufeinander. Die Wohnfläche orientiert sich am Mindestmaß des sozialen Wohnungsbaus, die Wohnungen könnten, wären sie in dauerhafterem Material ausgeführt, ohne Weiteres von jeder anderen Bevölkerungsgruppe auch genutzt werden.

Container von geringer Lebensdauer

Eines der Dörfer gibt es inzwischen nicht mehr, an seiner Stelle steht jetzt eine neue Schule. Den noch genutzten Containern sieht man an, dass sie das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben, dennoch wirkt das Dorf im Bremen-Hemelingen belebt. Kinder spielen, Frauen sitzen zusammen, auch ein Gemeinschaftsgarten ist entstanden.

Das eigentliche Problem sieht Stefan Feldschnieders an anderer Stelle: „Geplant waren die Dörfer als ‚Übergangswohneinrichtung‘, aus denen die Menschen dann in den ‚normalen‘ Mietmarkt wechseln sollten. Das ist natürlich schwer, wenn dort wenige Wohnungen zu haben sind.“ Damit spricht er ein Problem an, das vielerorts anzutreffen ist. Wohnraum fehlt, fast egal für wen.

Einfachster Wohnraum, dafür viel Gemeinschafts-fläche: Eines der Containerdörfer für Geflüchtete in Bremen von FK-Architekten Foto: Hauke Dressler

Und so sagt der Architekt: „Auch nach zehn Jahren würde ich den Standpunkt vertreten, dass das keine spezielle Typologie für ‚Geflüchtetenwohnen‘ ist, sondern einfach eine bewährte Wohntypologie, die einen Übergang zwischen Offenheit und Privatheit möglich macht.“

Thomas Pagel, der mit seinem Architekturbüro unter anderem Wohnhäuser für Geflüchtete in Köln realisiert hat, die 2017 sogar eine Anerkennung beim Kölner Architekturpreis erhielten, sieht das ähnlich: „Wir haben hier, wie in Vorgänger- oder Nachfolgeprojekten, versucht klarzumachen, dass wir Wohnbau machen. Wir sehen das Thema nicht explizit als ‚Bauen für Geflüchtete‘. Es geht darum, dass jemand, der hierherkommt, ein neues Zuhause findet, auch als Türöffner in unsere Gesellschaft.“

Neid bei Wohnungsmangel

Pagels Wohnbauten für Geflüchtete, beauftragt vom Amt für Wohnungswesen der Stadt Köln, sind sauber gestaltete, zweigeschossige Häuser, mit massiven Wänden aus Hochlochziegeln und schöner Fassadengliederung. 13,7 Quadratmeter Wohnraum stehen jeder Person hier zu – 1,5 mehr als im Bremer Beispiel bei gleichen Baukosten, die sich in beiden Fällen auf etwa 1.100 Euro pro Quadratmeter belaufen: Wohnbauten, wie sie von jeder und jedem dauerhaft bewohnt werden könnten.

Doch wenn Menschen, die nicht arbeiten dürfen, mit Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen wenig Geld haben, um das gleiche Angebot konkurrieren, weil es schlicht zu wenige Wohnungen gibt, entsteht nahezu automatisch Neid. Es ist spürbar, dass die seit Jahren angekündigten und nie erreichten 400.000 neuen Wohnungen auf dem Mietmarkt fehlen.

Pagel schildert seine Erfahrungen: „Ich habe den Eindruck, dass die Themen ‚Wohnen für Flüchtlinge‘ und ‚Wohnen als geförderter Wohnungsbau‘ von vielen immer noch als zwei völlig getrennte Paar Schuhe betrachtet werden. Da bringt man nicht zusammen, dass man mit dem einen Ansatz vielleicht schon eine Lösung für die Probleme des vermeintlich anderen Bereichs hätte.“

Hätte man also die Themen „Sozialer Wohnungsbau“ und „Wohnen für Geflüchtete“ nicht nebeneinander, sondern miteinander betrachtet, hätten diese Bauten an deutlich mehr Orten der Stadt errichtet werden können, mit mehr als bloß zwei Stockwerken, und von Anfang an gemischt vermietet an geflüchtete Familien, Familien mit Anspruch auf Wohnraumförderungen und Studierende gleichermaßen.

Gleiche Wohnungen für alle

Wie es anders geht, zeigt ein Fall in Tübingen. Wo das private Engagement einzelner Personen das möglich gemacht hat, was anderenorts Städte und Kommunen nicht in Gänze haben leisten können. Das Stuttgarter Architekturbüro Somaa und Yonder hat dort gemeinsam mit dem Wohnsoziologen Gerd Kuhn und einer Baugruppe das „Haus am Park“ realisiert.

Kuhn beschreibt die Intention von damals: „Für uns war elementar, dass es durch das Projekt einen Mehrwert für die Nachbarschaft geben muss. Wir haben in anderen Beispielen deutlich gesehen, dass es sehr viel Missgunst geben kann, wenn nur eine spezielle Gruppe – zum Beispiel Geflüchtete – Privilegierungen erhält.“

Ihr Haus am Park hat einen Gemeinschaftsraum, der von einem lokalen Träger für Jugendhilfe dauerhaft begleitet wird. Hausaufgabenhilfe für alle Kinder der Umgebung findet hier genauso Raum wie unterschiedliche Jugend- oder Erwachsenengruppen. Die Nachbarschaft zieht also einen konkreten Nutzen aus dem Haus. Katja Knaus, eine der Architektinnen, sagt: „Wir sind mit dem Konzept angetreten, dass sowohl Tübinger Bürger als auch Migranten und Geflüchtete unter einem Dach wohnen. Dafür haben wir ein egalitäres Gestaltungsprinzip entwickelt.“ Die Wohnungen sind identisch gestaltet, mit bodentiefen Fenstern und Industrieparkett ausgestattet, egal wer dort wohnt, wie Knaus hervorhebt.

2015 wie ein Brennglas

Einzige Ausnahmen sind die Penthouse-Wohnungen, die mit einer Dachterrasse veredelt wurden, „auch um durch deren Vermarktung mehr Geld für gemeinnützige Aspekte des Projektes generieren zu können“, so die Architektin. Und Tobias Bochmann, damals Partner im Büro Somaa, sagt: „Entscheidend war, dass sich die Gruppe gefunden hatte und alle die Überzeugung geteilt haben, das so zu machen, das heißt als Baugruppenmitglieder sozusagen Investoren zu werden und das private Geld in das Projekt zu stecken.“

Im Rahmen einer Konzeptvergabe hatte die private Baugruppe den Zuschlag für das Grundstück von der Stadt Tübingen bekommen. So ist ein Haus entstanden, das trotz seiner rauen Fassade überraschend selbstverständlich unweit des Neckars steht und vor allem bis heute gut funktioniert: Ein normaler Stadtbaustein, kein Fremdkörper in oder vor der Stadt.

In Tübingen erfüllt sich damit das, was Oliver Elser umschreibt, wenn er heute sagt: „Zehn Jahre später hat sich vielerorts ein Zustand der unaufgeregten Normalität eingestellt, so mein Eindruck. Das ist angesichts der emotionalen Achterbahnfahrt der politisch aufgeheizten Migrationsdebatte nicht die schlechteste Bilanz.“

In den Städten und Kommunen, wo ein Druck auf den Wohnungsmarkt nicht zu groß ist, ist tatsächlich eine gewisse Normalität eingetreten. An vielen Orten des Landes aber rächt sich doppelt, dass das Thema bezahlbarer Wohnraum seit Jahren nicht mit der nötigen Vehemenz verfolgt wurde. Die Ankunft geflüchteter Menschen vor zehn Jahren hat das wie unter einem Brennglas deutlich gemacht.

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