1. Mai-Festspiele: Die Spekulation auf den Randalewert
Alle schimpfen über Gewalt. Dabei hat der Wert der Zerstörung seine Logik. In Hamburg hat das ein Investor erkannt - und will seine Einnahmen steigern.
BERLIN/HAMBURG taz | Was wird das wohl jetzt wieder gekostet haben? Es ist Samstagnachmittag, vor der Walpurgisnacht im Hamburg. Und hier in der Bernhard-Nocht-Straße am Astraturm sind gerade Steine auf dieses umstrittene Symbol der Stadtumwandlung geflogen. Farbflecken an den Glasfassaden, eine Scheibe ging zu Bruch, Scherben liegen umher. Und gegenüber brennt ein Auto der Bundeswehr.
Diese Fenster, dieses Auto sind der kleine Teil eines großen Geschäfts. Es ist das Geschäft mit dem Randalewert. Und es scheint, als bekäme es eine neue Bedeutung. Denn während in Berlin autonome Gruppen stolz die Summen ihrer Demolierungen zusammenrechnen, hat in Hamburg auch ein Investor entdeckt, welche Produktivkräfte die Kosten der Zerstörung haben können. Sein Name ist Hansmartin Kretschmer. Und sein Geschäft ist nicht einfach.
Kretschmer besitzt etwas, das umso mehr wert ist, desto größer der Streit darum wird. Das Grundstück, auf dem die berühmte Rote Flora steht, ein Kulturzentrum, das seit 21 Jahren besetzt ist. Es ist ein autonomer Raum und ein Symbol, für das in der Walpurgisnacht am Wochenende wieder tausende Menschen in Hamburg auf die Straße gingen, für das einige auch zu den Steinen griffen. Kretschmer will es verkaufen. Und er würde sicher einiges darum geben, den Randalewert dieses Wochenendes zu erfahren.
"Für jede Räumung eine passende Antwort: Eine Million Sachschaden." Das steht auf einem Plakat, das die autonome Szene in Berlin derzeit verteilt. Es ist eine süffisante Provokation: Darauf zu sehen ist, freundlich lächelnd, der berühmte Fuchs der Bausparkasse Schwäbisch Hall, auf seinem gelben T-Shirt rote Ziegelsteine. "Autonome Gruppen - auf diese Steine können sie bauen", steht dabei.
Die Rechnung ging auf
Zunehmend zelebriert die linksautonome Szene die Kosten, die durch ihre Ausschreitungen entstehen. Nachdem die Berliner Polizei im Februar das besetzte Haus in der Liebigstraße 14 geräumt hatte, schlug die Szene in der Nacht mit der Eine-Million-Euro-Kampagne zurück. Niemand musste daran zweifeln, dass die Drohung aufging: Autonome schlugen die Scheiben von Banken ein, demolierten Laternen, Bushaltestellen, Autos. Das Poster feiert die Zerstörung. Und es beziffert sie.
In Hamburg dürfte diese Strategie jetzt mit Interesse verfolgt werden: Dort steht der Kampf um die Rote Flora wieder auf der Tagesordnung, seit der 52-jährige hanseatische Kaufmann, Eventmanager und Kulturinvestor Kretschmer öffentlich über den Verkauf des Areals nachdenkt. Zwar distanzieren sich die Rotfloristen öffentlich von gewalttätigen Ausschreitungen. Dennoch: Auch bei der Demo am Samstagnachmittag ging in der Stadt wieder einiges zu Bruch, 16 Autos brannten in der Nacht. Aber vielleicht muss das dem Investor gar nicht schaden. Denn auch für ihn spielt der Randalewert der politischen Auseinandersetzung um das Projekt eine Rolle.
"Die Investion hat sich gelohnt, allein schon wegen des PR-Wertes", soll Kretschmer vor zwei Jahren dem Geschäftsmann Arnulf Haubold anvertraut haben. Wenn Kretschmer seine Projekte in der Öffentlichkeit lancieren wolle, brauche er nur zu sagen: "Ich bin der Besitzer der Roten Flora." So erzählt Haubold heute über Kretschmer. Ob das stimmt? Kretschmer war für die taz nicht zu erreichen.
Heute will Kretschmer das Gelände loswerden, weil die "Kollateralschäden" zu hoch seien. Seine Banken hätten die Zinsen auch bei anderen Objekten erhöht, weil der dauernde Streit um die Rote Flora negative Auswirkungen auf seine "Risikobewertung" habe, so die offizielle Version.
Doch Kretschmer weiß, dass der Wert des Areals sich nicht nur in Zinszahlen misst. Stünde es so schlimm um ihn, könnte er der Stadt das Gelände einfach verkaufen. Etwa im letzten Jahr, als der schwarz-grüne Senat bereit war, das symbolträchtige Gebäude, für das Kretschmer 2001 umgerechnet gerade einmal 190.000 Euro gezahlt hatte, zum heutigen Verkehrswert von 1,3 Millionen Euro zurückzukaufen. Weil Kretschmer weiß, wie brisant ein Verkauf an Privatinvestoren wäre, verlangte er indes 5 Millionen Euro und brach die Verhandlungen ab.
Heute betont er, ihm liege ein 19,3-Millionen-Euro Angebot eines US-Sicherheitsunternehmen vor. Aber mehr noch: Falls er das annehme, sagt er in der aktuellen Ausgabe des Hamburger Campusmagazins Injektion, "könnte die Räumung viel mehr kosten als ein Rückkauf". Und: "Mit den Folgen wäre niemand zufrieden: Polizeieinsätze, Eskalation, Ausschreitungen." Droht da ein Investor mit dem Krawallpotenzial seines Objekts? Und warum tut er das bloß? Seitens der Stadt heißt es hinter vorgehaltener Hand: Da pokert einer seine Gewinnerwartung hoch.
Doch wie groß sind denn nun die Kosten, die der Polizei durch politische Randalenächte entstehen, wie umfassend sin die Sachbeschädigungen in der Stadt? Entlang der Demostrecke in Hamburg steht seit Samstag an jedem dritten Haus ein neues Graffiti. "All Cops are Bastards!" und "Flora bleibt!" Sind es 2 Millionen Euro oder 20 Millionen, die die Auseinandersetzungen in Hamburg und Berlin am Wochenende wieder gekostet haben? Eine Antwort darauf könnte verdeutlichen, welche Kosten durch gesellschaftliche Konflikte entstehen. Und wie frech Linksautonome und Hansmartin Kretschmer pokern dürfen.
"Die Hamburger Innenbehörde hat noch nie die Zahlen zu den Kosten für die Polizeieinsätze rund um den 1. Mai erhoben und genannt", sagt der Sprecher der Hamburger Innenbehörde, Frank Reschreiter. Ganz konkret sei das seriös nicht zu machen. "Und auf die Nennung von Annäherungswerten wollen wir uns nicht einlassen." Auch die Berliner Sicherheitsbehörden tun sich schwer damit, Kosten für die politisch brisanten Einsätze zu nennen - selbst wenn es nur um grobe Rahmengrößen geht.
Denn Hamburgs Investor Kretschmer, die Innenpolitiker in Hamburg und Berlin haben mit den Autonomen eines gemein: Sie alle wissen die politischen Kosten ihrer Auseinandersetzung zu schätzen. Deshalb teilen die Sicherheitsbehörden selbst die Zahl der auseinandergenommenen Polizeiwagen nach den Kampfsportnächten nicht mit. Niemand soll zu genau mitreden können, wenn es darum geht, zu wissen, was bei Randalenächten eigentlich so zusammenkommt.
Politische Zurückhaltung
Selbst die innenpolitische Sprecherin der grünen Opposition in der Hamburger Bürgerschaft, Antje Möller, die bis ins letzte Jahr in Hamburg noch Regierungsarbeit machte, sagt: "Wir haben das aus politischen Gründen nie abgefragt, weil das auch umgedreht verwendet werden kann. Die Zahlen können jeweils von der anderen Seite politisch genutzt werden." Ach so. Und wenn mal jemand nach den Kosten für den Afghanistankrieg fragt? Darf die dann auch niemand wissen? Aus Vorsicht - damit niemand damit argumentieren kann?
"Politisch nutzt diese Blockadehaltung jeweils den Regierenden, weil sie damit eine kritische Diskussion in der Öffentlichkeit über die Art der Polizeieinsätze umgehen können", sagt der Berliner Sprecher der Gewerkschaft der Polizei, Klaus Eisenreich. Er fordert, dass "die Polizei zumindest annäherungsweise bekannt gibt, was solche Einsätze kosten und wie viele Beamte dabei im Einsatz sind. Wenn das bekannt wäre, gäbe es auch eine ganz andere öffentliche Debatte."
Eisenreich ist einer der wenigen, der überhaupt Annäherungswerte nennt, wenn es um die etwaigen Kosten von politischen Großeinsätzen wie jenen um die Liebigstraße 14, die Rote Flora in Hamburg oder die Mai-Randale in Berlin geht. Der Gewerkschaftssprecher geht davon aus, dass allein die Personalkosten für die am 1. Mai in Berlin eingesetzten Beamten sich auf 4 bis 5 Millionen Euro beziffern lassen. Seine Rechnung: Rund 5.000 Beamte, die in Berlin an zwei Tagen insgesamt rund 30 Stunden im Einsatz sind, bei Stundensatz von etwa 30 Euro. Da sind noch keine Sachbeschädigungen drin und keine Materialkosten.
Für eine einfache Schaufensterscheibe zahlt man 2.300 Euro. Was sonst noch so zu Buche schlägt, wenn es wieder um besetzte Häuser geht und um den 1. Mai, darüber lässt sich nur spekulieren. Es ist eine Spekulation auf den Wert der Zerstörung, die für manche durchaus produktiv ist. Bedeutungsloser ist die Rote Flora am Wochenende nicht geworden. Nicht für die Rotfloristen, nicht für den Hamburger Senat. Und am Ende auch nicht für den Investor Hansmartin Kretschmer.
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