+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++: Erste Hilfslieferungen im Gazastreifen angekommen
Nach fast dreimonatiger Blockade ist humanitäre Hilfe im Gazastreifen angekommen. Der Westen kritisiert Israels Gaza-Offensive scharf.

Westen kritisiert Israel scharf
In einem gemeinsamen Appell fordern die Außenminister von Deutschland und rund 20 weiteren Geberländern Israel auf, deutlich mehr Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu erlauben. „Ermöglichen Sie den Vereinten Nationen und den humanitären Organisationen, unabhängig und unparteiisch zu arbeiten, um Leben zu retten, Leiden zu lindern und die Würde zu wahren“, heißt es in dem vom Auswärtigen Amt in Berlin veröffentlichten Schreiben. Nach einer fast dreimonatigen Blockade waren nach israelischen Angaben zuvor erstmals wieder Hilfslieferungen für die notleidende Bevölkerung im Gazastreifen angekommen. Zunächst erreichten demnach allerdings nur fünf Lastwagen den Küstenstreifen.
Mit Blick auf einen umstrittenen geplanten neuen Mechanismus der Verteilung von Hilfsgütern vor Ort heißt es in der Stellungnahme, dieser gefährde die Begünstigten und die Helfer, untergrabe die Rolle und die Unabhängigkeit der UN und der zuverlässigen Partner und verknüpfe humanitäre Hilfe mit politischen und militärischen Zielen. „Humanitäre Hilfe darf niemals politisiert werden, und die palästinensischen Gebiete dürfen weder verkleinert noch demografischen Veränderungen unterworfen werden.“
Berichten zufolge sollen Güter mit dem neuen Mechanismus nur noch von wenigen Standorten im Gazastreifen aus verteilt werden. Die UN hatte den neuen Mechanismus kritisiert, unter anderem weil Zivilisten auf dem Weg zu den Verteilungszentren ins Kreuzfeuer geraten und etwa Alte und Kranke diese erst gar nicht erreichen könnten. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu betonte, dass die ersten Zentren in den kommenden Tagen ihren Betrieb aufnehmen würden.
Unterzeichnet wurde das Statement vom deutschen Außenminister und seinen Amtskollegen etwa aus Großbritannien, Frankreich, Italien, Australien, Kanada und den Niederlanden.
Die Regierungen von Großbritannien, Frankreich und Kanada drohen Israel mit „konkreten Maßnahmen“, sollte die neue Gaza-Offensive nicht eingestellt und die Einschränkung der Hilfslieferungen nicht beendet werden. Zudem lehnen sie jeden Versuch ab, die israelischen Siedlungen im Westjordanland zu erweitern, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, die die britische Regierung veröffentlicht. „Wir werden nicht zögern, weitere Maßnahmen zu ergreifen, einschließlich gezielter Sanktionen.“ (dpa/rtr)
Netanjahu: Hungersnot würde Offensive gefährden
Nach einer fast dreimonatigen Blockade sind nach israelischen Angaben erstmals wieder Hilfslieferungen für die notleidende Bevölkerung im Gazastreifen angekommen. Fünf Lastwagen mit Hilfsgütern hätten das Küstengebiet nach einer gründlichen Sicherheitskontrolle über den Grenzübergang Kerem Schalom erreicht, teilte die für Palästinenserangelegenheiten zuständige Behörde Cogat mit.
Eine Grundversorgung an Lebensmitteln solle sicherstellen, dass es zu keiner Hungersnot kommt, teilte das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit. Eine solche Krise würde die Fortsetzung der neuen Großoffensive zur Zerschlagung der islamistischen Hamas gefährden, hieß es. Nach tagelangen massiven Angriffen der Luftwaffe hat Israel nun auch Bodentruppen im Einsatz.
Seit Anfang März hatte Israel keine Hilfslieferungen mehr in das abgeriegelte und nach mehr als anderthalb Jahren Krieg großflächig zerstörte Küstengebiet gelassen. Das Land wirft der Hamas vor, die Hilfsgüter weiterzuverkaufen, um ihre Kämpfer und Waffen zu finanzieren. Die rund 2,2 Millionen Einwohner Gazas sind zum Überleben fast ausschließlich auf Hilfe von außen angewiesen. (dpa)
Kliniken im Gazastreifen melden 136 Tote bei Angriffen
Israelische Angriffe im Gazastreifen haben nach palästinensischen Angaben innerhalb von 24 Stunden 136 Menschen das Leben gekostet. Weitere 364 seien verletzt in die Krankenhäuser gebracht worden, teilte das Gesundheitsministerium im Gazastreifen mit, das von der militant-islamistischen Hamas kontrolliert wird. Es berief sich in seinem täglichen Bericht auf Meldungen aus den Kliniken.
Ein Krankenhaus, die Al-Awda-Klinik, berichtete von fünf Todesopfern beim Angriff auf ein Schulgebäude, das als Notunterkunft genutzt wird. Unter den Todesopfern im Flüchtlingslager Nuseirat sei ein junges Mädchen, erklärte das Krankenhaus. 18 weitere Menschen, hauptsächlich Kinder, seien bei dem Angriff verletzt worden. Das israelische Militär gab keine Stellungnahme ab.
Die Gesamtzahl der palästinensischen Todesopfer im Gaza-Krieg zwischen Israel und der Hamas liegt laut dem Gesundheitsministerium nun bei 53.486. Israel gibt an, rund 20.000 Extremisten getötet zu haben, und macht die Hamas für Todesopfer unter der Zivilbevölkerung verantwortlich, weil die Terrorgruppe in dicht besiedelten Gebieten operiere. (ap)
US-Gesandter: Wir wollen keine humanitäre Krise
Die UN und Hilfsorganisationen warnen vor einer Hungersnot; die Appelle an Israel wurden zuletzt immer vehementer. Laut mehreren Medien erfolgt die Aufhebung der Blockade vor allem auf Druck der USA hin. „Wir wollen keine humanitäre Krise sehen und wir werden nicht zulassen, dass sie unter Präsident (Donald) Trumps Führung eintritt“, sagte der US-Sondergesandte Steve Witkoff dem US-Sender ABC News. Die USA sind Israels wichtigster Waffenlieferant. Wann erste Hilfsgüter wieder in den Gazastreifen kommen, war zunächst unklar.
Seit Tagen fliegt die israelische Luftwaffe massive Angriffe im Gazastreifen. Am Wochenende begann die Armee zudem mit einem großangelegten Einsatz von Bodentruppen. Nach palästinensischen Angaben gab es zahlreiche Tote. Augenzeugen zufolge fliehen etliche Menschen derzeit vom Norden in den Süden des Küstengebiets. Im Norden sind laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mittlerweile alle Kliniken außer Betrieb. Israels Armee äußerte sich auf Anfrage zunächst nicht dazu. Sie wirft der Hamas vor, sich in Krankenhäusern zu verschanzen und sie für militärische Zwecke zu nutzen. (dpa)
Bericht: USA mit neuem Vermittlungsvorschlag
Sowohl Israel als auch die Hamas waren am Sonntag mit Delegationen in Katars Hauptstadt Doha, um mit arabischen Vermittlern über einen neuen Waffenruhe-Deal zu verhandeln. Die US-Nachrichtenseite Axios berichtete unter Berufung auf einen israelischen Beamten und eine weitere Quelle, Witkoff habe beiden Kriegsparteien einen aktualisierten Vorschlag unterbreitet, der die Freilassung von zehn Geiseln im Gegenzug für eine 45-60-tägige Waffenruhe und die Freilassung palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnisse vorsehe.
Der Vorstoß enthalte eine neue Formulierung, wonach die Feuerpause zu einem Ende des Krieges führen könnte, hieß es. Die Formulierung ziele darauf ab, der Hamas zu garantieren, dass Netanjahu die Waffenruhe nicht wieder einseitig für beendet erklären und den Krieg wieder aufnehmen kann. Israels Verhandlungsteam in Katar schöpfe „jede Möglichkeit“ für ein Geiselabkommen aus, entweder gemäß Witkoffs Plan oder in einem Rahmen zur Beendigung des Krieges, teilte Netanjahus Büro am Sonntag laut der Times of Israel mit. (dpa)
Ändert Netanjahu seine Position?
Neben der Freilassung aller Geiseln sei die Voraussetzung dafür jedoch, dass die Hamas ins Exil gehe und die Menschen im Küstengebiet entwaffnet würden. Netanjahu signalisiere damit eine neue Bereitschaft, über einen Weg zur Beendigung des Krieges zu diskutieren, schrieb dazu das Wall Street Journal. Erst kürzlich hatte Israels Regierungschef noch betont, dass zwar eine zeitlich begrenzte Waffenruhe möglich sei, nicht aber ein dauerhaftes Ende der Kämpfe in Gaza.
Hilfsgüter für die notleidende Bevölkerung sollen israelischen Medienberichten zufolge nach der Aufhebung der Blockade auf den bisher genutzten Wegen in den abgeriegelten Küstenstreifen gelangen, bis ein geplanter neuer Mechanismus umgesetzt wird. Israel werde Maßnahmen ergreifen, damit die Hilfe nicht in die Hände der Hamas gelange, teilte Netanjahus Büro weiter mit. (dpa)
Neuer Mechanismus für Hilfen umstritten
Die Hilfslieferungen sollen nun vorerst wieder internationale Organisationen wie das Welternährungsprogramm (WFP) sowie die World Central Kitchen bereitstellen, wie das Nachrichtenportal walla.co.il meldete. Ende des Monats soll ein neuer Mechanismus greifen, der nicht unumstritten ist. Berichten zufolge sollen Güter dann nur noch von wenigen Standorten im Gazastreifen aus verteilt werden. Die UN hatte den neuen Mechanismus kritisiert, unter anderem, weil Zivilisten auf dem Weg zu den Verteilungszentren ins Kreuzfeuer geraten und etwa Alte und Kranke diese erst gar nicht erreichen könnten.
Der Gaza-Krieg hatte im Oktober 2023 mit einem Terrorangriff der Hamas auf Israel begonnen, bei dem rund 1.200 Menschen getötet und rund 250 entführt wurden. In dem seit mehr als eineinhalb Jahren dauernden Krieg wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 53.300 Palästinenser im Gazastreifen getötet. Die Zahl unterscheidet nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten und lässt sich unabhängig kaum überprüfen. (dpa)
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