piwik no script img

Gefahrengebiet Rigaer Straße, BerlinSabotagepils und Schikanen

Der Nordkiez in Berlin-Friedrichshain steht für Hausbesetzer und linke autonome Szene. Die Polizei hat ihn inoffiziell zum „Gefahrengebiet“ erklärt.

Räumung in der Liebigstraße 14, 2011. Foto: reuters

Berlin taz | Fast nichts erinnert auf dem „Dorfplatz“ an einem Freitagabend an den Hotspot der linksradikalen Szene Berlins. Die Kreuzung Rigaer Straße/Ecke Liebigstraße im Bezirk Friedrichshain ist menschenleer. Im matten Licht der Straßenlaternen schimmert an der Fassade des feministischen Hausprojekts „Liebig 34“ eine geballte Faust, darunter der Spruch „Wir sind nicht käuflich“.

Dann fährt eine voll besetzte Wanne – wie in Berlin die Mannschaftswagen der Polizei heißen – im Schritttempo die Rigaer Straße entlang. Keine Minute später folgt eine zweite aus der Liebigstraße. Vier behelmte Polizisten springen an der Kreuzung aus dem Wagen, sammeln eine am Straßenrand liegende Matratze sowie ein halbes Bettgestell auf und laden beides in ihren Bus. Aus dem Sperrmüll könnten ja Barrikaden gebaut werden.

Der Dorfplatz ist Treffpunkt und Anlaufstelle der linken Szene in Berlin. In Sommernächten versammeln sich auf der Kreuzung Dutzende Menschen um Feuertonnen, trinken das Billigbier Sternburg Export und warten auf das, was das Leben bringt. An diesem Dezemberabend ist davon nichts zu spüren. Die Polizei steht an jeder Ecke.

„Das ist jetzt Normalzustand“, sagt Freddy, der seine Rastas unter einer Kapuze versteckt hat und seinen richtigen Namen nicht nennen will. Das will hier niemand, der zur autonomen Szene gehört. Seit fünf Jahren verbringt Freddy viel Zeit in der Rigaer Straße, vor einem Jahr fand er ein Zimmer in einem Hausprojekt. Die Straße ist sein Lebensmittelpunkt, hier engagiert er sich politisch. Viele der Häuser seien in die Solidaritätsarbeit für Flüchtlinge eingebunden, berichtet er. Doch die ständigen Kontrollen machen ihn mürbe. „Ich überlege mir zweimal, ob ich das Haus verlasse – und was ich mitnehme.“

Linksalternative Blase

Der Ostberliner Stadtteil Friedrichshain ist das Zentrum der einstigen Hausbesetzerszene in Berlin, die Rigaer Straße ihr Herzstück. Seit dem Mauerfall versuchen Aktivisten hier dem tiefgreifenden Strukturwandel zu trotzen. Inmitten der pastellfarben restaurierten Altbauten finden sich die bunten Fassaden der Hausprojekte: die Nummern 78 und 94 mit den Punk- und Besetzerkneipen Abstand und Kaderschmiede. Dazu kommt die Liebig 34, direkt am Dorfplatz, und die Wagenburg Convoi ganz am Anfang der Straße. Zum riesigen Angebot linksalternativer Treffpunkte gehören auch die Filmrisz Bar, das Sama Cafe oder Antje Øklesund. Leben wie in einer Blase.

„Das ist wie Disneyland“, sagt Freddy. Ein Ort, um sich frei zu fühlen – aber auch ein Ort, wo die linke Bewegung zum Lifestyle verkommt. Doch was für die einen Disneyland ist, ist für andere Jurassic Park. Der Berliner Verfassungsschutz bezeichnet das Hausprojekt Rigaer 94 als „wichtigste Institution der Berliner Anarcho-Szene“ und rechnet einen Teil der Hausbewohner und regelmäßigen Besucher „zum harten Kern“ der autonomen Szene.

Seit Anfang Oktober hat die Berliner Polizei, wie ihr Pressesprecher auf Nachfrage bestätigt, die Anzahl der Streifen im Friedrichshainer Nordkiez erhöht. Betroffen ist ein Gebiet in einem Umkreis von 3,5 Kilometern. Die Anwohner nennen es das „Gefahrengebiet Rigaer Straße“ – im Anklang an die „Gefahrengebiete“, die Anfang 2014 in Hamburg bei den Auseinandersetzungen um die Rote Flora für Schlagzeilen sorgten.

Gegenseitig angestachelt

Im Polizeijargon wird dagegen von einem kriminalitätsbelasteten Ort gesprochen. Selbst diese Einstufung wird offiziell nicht bestätigt. Dies würde zu einer „Stigmatisierung des Kiezes“ führen, heißt es bei der Polizeipressestelle. Die eigentlichen Gründe für die Polizeimaßnahmen sind weder in Drogendelikten noch Taschendiebstählen zu finden. Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) und die Polizei möchten den Druck auf die linksradikale Szene erhöhen, die für Angriffe auf Polizeibeamte verantwortlich gemacht wird.

Gegenseitig hochgeschaukelt haben sich Polizei und linke Bewohnerschaft seit der „Langen Woche der Rigaer Straße“ im letzten Juli. Sieben Tage Straßenfest, natürlich unangemeldet, mit Umsonst-Flohmarkt, Workshops und Filmvorträgen, organisiert von allen Wohnprojekten des „gesamten rebellischen Friedrichshainer Nordkiezes“, wie es in der Ankündigung hieß. Die Berliner Bild erwartete „eine Woche Randale“. Panikmache, klar – dennoch gerieten Festbesucher und Beamte immer wieder aneinander.

Im September warfen Unbekannte in der Rigaer Straße Steine von einem Hausdach auf einen Streifenwagen. Nicht zum ersten Mal. Innensenator Henkel wies danach den Polizeipräsidenten an, härter gegen die Linksradikalen im Bezirk vorzugehen. Mit den örtlichen Direktionen wurde ein Fünf-Punkte-Plan vereinbart, der bis heute geheim ist. Henkel sagte damals dem Tagesspiegel: „Dieser Terror ist eine Kampfansage an den Rechtsstaat, an unsere ganze Stadt.“

Freddy sagt hingegen: „Die Angriffe auf die Polizei hat es in den vergangenen 25 Jahren immer gegeben.“ Eine neue Qualität sei nicht festzustellen, der Kiez sei eher ruhiger geworden. Wie er die Attacken findet, will er nicht sagen. Keine Bekenntnisse, keine Distanzierungen.

Es trifft den ganzen Kiez

Zusammen mit seinem Mitbewohner Mark macht sich Freddy auf den Weg zum Vereinslokal „Fischladen“, drei Blocks entfernt. Schon an der nächsten Kreuzung leuchten Polizisten mit Taschenlampen in die Rucksäcke zweier Passanten. Freddy und Mark schieben sich zwischen ihnen und den geparkten Autos vorbei. Doch schon wenige Meter weiter kommen ihnen zwei Uniformierte entgegen. „Schönen guten Abend, wir würden gerne mal Ihre Ausweise sehen. Sie wissen ja, warum“, sagt einer der Beamten. Freddy kramt einen halben Führerschein und eine Krankenkassenkarte hervor und fragt den Polizisten: „Was erhoffen sie sich?“ Ohne Aggression sagt er: „Ihr schikaniert den ganzen Kiez.“

Im Fischladen bestellt Freddy ein Sabotage-Pils 1312 – der Zahlencode für „All Cops Are Bastards“. Die Flasche für 1,40 Euro. Fast alle Plätze sind besetzt. Die Aschenbecher sind groß wie Frisbeescheiben, aus den Boxen dröhnt Punk.

Der schmächtige Student mit einem gewinnenden Lächeln entspricht nicht dem Bild eines Autonomen. Bunter Perserschal statt schwarzem Halstuch. Stress mit der Polizei kennt er vor allem von Demos. Dass seit Beginn der Kontrollen bereits mehrfach Autos im Kiez gebrannt haben, ist für ihn ein „Zeichen, dass der Einsatz nicht funktioniert“. Auf Anfrage der taz teilt die Polizei mit, sie habe im Oktober bei 34 Einsätzen 443 Personen kontrolliert, im November seien 375 Menschen bei 26 Einsätzen überprüft worden. Die Erfolgsquote bislang: 151 eingeleitete Strafermittlungsverfahren, darunter 26 wegen Rauschgiftdelikten.

Der Kleinkrieg des SPD-Abgeordneten

Isa kann sich an einen Einsatz ganz besonders gut erinnern. Die Frau, die soeben ihre Barschicht beendet hat, erzählt, wie Mitte November 20 Menschen drei Stunden in einem Polizeikessel vor der Kneipe standen. Sie wollten sich mit zwei kontrollierten Personen „solidarisieren“, dann wurden sie selber festgesetzt. Eine junge Frau sei dabei rabiat aus der Menge gezogen worden. Währenddessen habe der Berliner SPD-Abgeordnete Tom Schreiber in einem Polizeiauto gesessen und getwittert.

Überhaupt Tom Schreiber. Wie kein anderer Berliner Politiker macht sich der Abgeordnete aus Köpenick dafür stark, der linken Szene auf die Füße zu treten. Für die Rigaer Straße forderte er eine Sonderermittlungseinheit, die „Antifa“ bezeichnet er in Tweets wahlweise als „Krabbel-“ oder „Gurkentruppe“. Es hört sich sehr nach Law-and-Order-Politik an, wenn Schreiber Interviews zur linksradikalen Szene der Stadt gibt. Das macht er häufig – für die taz hat er allerdings keine Zeit.

Der SPD-Mann liefert sich mit den Linksautonomen einen ganz persönlichen Kampf. „Menschen sterben, Tom schweigt. Autos brennen, Tom schreit“, stand eine Zeit lang an einer Hauswand im Kiez. Auf Twitter macht das Hashtag #tomduarschloch die Runde. Isa sagt im breitesten Berlinerisch – „der ist in der Rigaer bekannter als in seinem Wahlkreis.“

Verlust von Freiräumen

Isa ist 30 Jahre alt und seit neun Jahren im Kiez zu Hause. „Eine Welt, in der ich mich frei bewegen kann“ – jedenfalls bis vor Kurzem. Immer schneller purzeln die Worte aus ihrem Mund: „Schickimicki“, „Gentrifizierung“, „Spießer“. Und dann: „Ich habe meine Utopie bereits verloren. Jetzt wollen sie mir mein letztes bisschen Freiraum nehmen.“

Isa ist schlagfertig, selbstbewusst. Doch als sie erzählt, dass das festgenommene Mädchen Ende November „eins aufs Maul bekommen hat“, sagt sie auch: „Davor hab ich Angst.“

Zugleich sagt Isa: „Der Einsatz ist politisch motivierend.“ Die Bewohner rückten wieder näher zusammen. Auch Freddy sagt: „Das gemeinsame Feindbild schweißt zusammen.“ Nachdem die Polizei Protestplakate gegen das „Gefahrengebiet“ entfernt hatte, kleben diese nun beim Bäcker und im Späti von innen an den Scheiben. Piraten- und Linkspartei im Abgeordnetenhaus planen eine Anfrage zu den Kosten der ganzen Maßnahme. Und die Szene überlegt, wie sie die Kontrollen ins Leere laufen lassen. In Hamburg wurde die Klobürste zum Symbol des Widerstands, nachdem bei jemandem einmal eine konfisziert worden war. In der Rigaer Straße sucht man noch nach einem solchen Symbol.

Sein Traum sei jedenfalls ungebrochen, sagt Freddy: „Ein solidarischer Kiez, in dem es die Polizei überhaupt nicht braucht.“ Als er an diesem Abend die Kneipe verlässt, ist die Polizei tatsächlich verschwunden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Wenn linksradikal gleichbedeutend ist mit 'Feindbild Polizei', wie im Artikel zitiert wird, dann erinnert mich das an die 'besorgten Bürger' und ist kein bißchen weniger spießig, nur Linksspießer halt. Und das Pils 1312 erinnert mich an 88 bei den Kollegen von Rechts. Nur andere Ziffern eben. So Feindbilder sind praktisch. Schnurrt die Welt so schön zusammen und man hat für eigen ungemach andere Verantwortliche, Spießer, Kapital etc.. Da die Polizei, dort Ausländer, Flüchtlinge etc.. Vereinfacht die Welt, ob links ob rechts. Der Unterschied besteht im Feindbild, an Symbolik (1312 hier 88 dort). Echt, wie hab ich das satt. Linke Spießer bezeichnen alle als Spießer, die nicht das gleiche Denken, das gleiche Feindbild haben. Bravo. Dann ist auch klar, warum linke politische Gruppierungen nichts auf die Reihe bekommen, außere Steine werfen, Streifenwagen anzünden, egal, ob noch Menschen (Linksspießersprech: 'Bullenschweine') drin sitzen oder nicht. Aber wenn ein Rechter eine Asylunterkunft anzündet, da sind die Linksspießer schnell auf der Matte.

    Echt, ich kann das ganze LinksRechtsGeschwurble und die dazugehörige Weltverschlichtung nicht mehr ertragen.

    • @Jürgen Bader:

      Na, nur weil es dich daran erinnert, heißt es noch lange nicht, dass es gleich oder ähnlich ist. Reflektier mal deine Reflexe ein wenig! Und der linke Spießer-Vorwurf... nun ja, mag stimmen, andererseits bin ich trotzdem ganz froh, dass es diese Leute gibt, die wengistens versuchen, einen alternativen Lebensansatz zu leben, anstatt dass jeder Idiot eine Eigentumswohnung und ein dickes Auto haben muss.

      Und diese bescheuerte Gleichsetzung von links und rechts ist einfach dumm.

    • 8G
      889 (Profil gelöscht)
      @Jürgen Bader:

      Dann hör doch auf damit.

      • @889 (Profil gelöscht):

        Hi,

        mit was bitte, soll ich aufhören?

        Das nenn ich knackigen Kommentar

  • Polizei, entfernt Sperrmüll? Hahaha ... was für eine Einladung! ;D

  • "Die Berliner Bild erwartete „eine Woche Randale“. Panikmache, klar – dennoch gerieten Festbesucher und Beamte immer wieder aneinander." Also hatte die genannte Zeitung Recht.

    • @Christian_72:

      Nun, ich kenne das auch so, dass die Polizei dann gern mal bei Rot über die Ampeln fährt (ohne Warnsignal oder Blaulicht) und wenn man als Fußgänger etwas sagt wie "so geht es aber nicht", bekommt man gleich Maßnahmen angedroht und auch mal einen Mittelfinger von den Beamten gezeigt. Ich gerate also mit der Polizei aneinander...

  • Ich weiß nicht, was die Autonomen gegen den Titel „Gefahrengebiet“ haben – sie sollten der Polizei eher dankbar sein!

     

    Warum? Weil sich kein Spekulant, der noch halbwegs bei Verstand ist, Immobilien in einem „Gefahrengebiet“ unter den Nagel reißen wird, um sie nach Luxussanierung mit Maximalprofit zu verhökern: Er würde nie einen Kunden, und schon gar keinen vermögenden, finden!

     

    Also: Erkennt den Vorteil des o.g. Titels für euer Wohnprojekt!

    • @Pfanni:

      Leider ist das Gegenteil der Fall.

      In Hamburg haben Spekulanten richtig zugeschlagen, weil man keine Demos oder Aufstände mehr befürchten muss. Jeder Laut gegen die eigene Stimme wird sofort im Keim erstickt