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Archiv-Artikel

Leere Flaschen, wohin das Auge schaut

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Die Weinbar Rutz in Berlin-Mitte ist eine Bar für Leute, die gern zu Musik von Anastacia trinken

Die geschmackliche Vervollkommnung ist ein lebenslanges Unterfangen. Manch einer zeigt seinen Fortschritt und Vorsprung gerne daran, welchen Wein er trinkt und was er über diesen Wein sagen kann. Da reicht es ihm dann nicht mehr zu sagen, dass der Südtiroler Bauernfeind ein Spitzenwein sei, nichts Ordinäres, sondern ganz exquisit. Nein, der geschmacklich vollkommene Mensch kennt den Wein in all seinen Nuancen.

Auch in der Weinbar Rutz in Berlin-Mitte kennt man sein Metier. Leere Flaschen, wohin man schaut, ordentlich ins Regal gestellt. Leicht einschüchternd auf den unbedarften Gast wirkt auch das Wissen, dass im oberen Stockwerk Sternenküche angeboten wird, und die eher unterkühlte Art, mit der man als unbekannter Gast empfangen wird. Leicht fragend wird man gemustert und an einen der wenigen hohen Tische gleich an der Glasfront am Eingang gesetzt. An die anderen Tische, weiter hinten im modernen Lokal, die auch noch alle leer sind, hat man sich nicht setzen dürfen. So schaut man auf die Straße und auf ein riesiges Bild das, nun ja, eine grüne Spargelstange abbildet. Der schwarze Boden strahlt Kühle aus, die auch das gelbe Licht hinter der langen Bar nicht abmildern kann.

Das Rutz ist einer dieser Läden, in denen man den Liter Mineralwasser schneller auf dem Tisch stehen hat, als man „Chateau“ sagen kann. Was aber länger dauert, dass ist die Bestellung der Gerichte auf der Tageskarte. Vor 18.30 Uhr gibt es noch nicht einmal eine Schale Oliven oder ein Stück trockenes Brot – obwohl auf der Internetseite steht, die Küche sei ab 17 Uhr geöffnet. So gilt es, die Zeit bis zum Gulasch selig zu trinken. Als dann die Gulaschsuppe vom Kalb mit Sauerrahm endlich aufgetischt wird, ist die Erleichterung so groß, dass nur auffällt, dass sie geschmacklich gut gelungen ist. Fein gewürzt und eben alles, was man sich von einer guten Küche erhofft. Nur das Fleisch könnte zarter sein, auch bei der ersten verkauften Portion des Abends.

Insgesamt fühlt man sich als Gast in der Weinbar Rutz auch wegen der ungemütlichen Sitzgelegenheiten eher als Störenfried als wirklich umsorgt. Der geschmacklichen Vervollkommnung fühlt man sicher eher fern als nah. Im Hintergrund plärrt nämlich Anastacia, was gegen jede Glaubwürdigkeit in Sachen Geschmack spricht. So bleibt dem Gast, trotz Weingenuss und gegen Ende freundlicher werdenden Service das Gefühl, dass auf jeden Fall in der Weinbar Rutz etwas falsch läuft – und nicht im eigenen Leben.

WEINBAR RUTZ, Chausseestraße 8, 10115 Berlin-Mitte, Tel. (030) 24 62 87 60, Mo.–Sa., Weinbar: 16–open end, Restaurant: 18.30 bis 23.30 Uhr, So. geschlossen, U-Bahn Oranienburger Tor, www.rutz-weinbar.de, Wasser 0,75 € 5, Gulaschsuppe € 8,50