: Der Lehrmeister
Wie der neue SPD-Chef Franz Müntefering seine Partei retten will, steht in seinem neuen Buch. Die Genossen können sich schon mal warm anziehen
VON STEFAN REINECKE
Seit klar ist, dass Franz Müntefering neuer SPD-Chef wird, rätselt die Partei, welchen Chef sie da bekommt. Den talentierten Wahlkämpfer, der der Konkurrenz mit deftigen Sprüchen einheizen wird? Der gegen die Union polemisiert und die Partei 2009 zusammenhält? Oder kommt der andere Müntefering zurück, der eiserne Vizekanzler, der über der Partei stand, der Hartz IV und die Rente mit 67 für in Stein gemeißelt hielt und als SPD-Chef entnervt zurücktrat, weil die Partei nicht richtig spurte?
„Macht Politik!“ heißt das Interviewbuch, in dem Müntefering seine politischen Ideen ausbreitet. Ein merkwürdiger Titel. Er klingt so, als würde jemand einer Partei, die nach harten Jahren in der Opposition endlich regieren darf, ein paar Tipps geben. Die SPD aber regiert seit zehn Jahren. Für Sozialdemokraten enthält das Interview, geführt von Tissy Bruns, jedenfalls ein paar Hinweise, auf welchen Müntefering sie sich einstellen können.
Müntefering beherrscht die einfache, klare Ansprache und die treffende Metapher. Und er teilt auch mächtig aus, vor allem gegen Angela Merkel und Oskar Lafontaine. Merkel sei führungsschwach und bei der Verlängerung des Arbeitslosengeldes weich geworden, für Lafontaine sind „Hasadeur“ und „nicht ehrlich“ noch die hübscheren Attribute. Müntefering präsentiert sich als Verantwortungsethiker, der tut, was getan werden muss, und verurteilt, wer das nicht tut. Daher rührt seine Kritik an Merkel, der er zu viel Parteiinteresse und zu wenig Staatsraison bescheinigt. Man kann die stählerne Konsequenz, mit der er die Agenda 2010 verteidigt, beeindruckend finden. Aber ein SPD-Wahlkampf, der Merkel als Verräterin an Schröders heiliger Agenda-Schrift brandmarkt, wird wenig Erfolg haben.
Der SPD verordnet Müntefering einen Mentalitätswechsel. Sie war lange ausgegrenzt und verfolgt – und pflegt das „Gefühl, Außenseiter zu sein“. Nur einer hat mit dieser Nischenexistenz wirklich gebrochen: Gerhard Schröder, dem die Partei daher nacheifern soll. Müntefering ist einem Ethos des Tuns verpflichtet, dessen Letztbegründungen auch tautologisch sein können. „Ein Tischler baut einen guten Tisch, weil er einen guten Tisch bauen will“, sagt Müntefering. So verhält es sich auch mit dem Politiker, der gute Politik macht, weil er es will. In Münteferings Welt hat es der verantwortliche Politiker mit allerlei Problemen zu tun: mit der Alterung der Gesellschaft, Arbeitslosigkeit, der EU, dem Rentensystem. Um Probleme zu lösen, nutzt keine Ideologie, sondern nur Sachverstand, der eher in Ministerien als in Parteien beheimatet ist. Parteien kommen hier überhaupt eher schlecht weg – stets als Agenten des Partialinteresses, während das Wichtige doch das Gemeinwohl ist. Kurzum: Gute Politik ist, wenn der verantwortungsbewusste Politiker sich von der Ministerialbürokratie beraten lässt, um die beste Lösung auszuwählen. Das ist Münteferings hier oft wiederholtes Credo. Was in diesem Politikbild komplett fehlt, sind Interessen und Lobbygruppen. Und das ist schon erstaunlich für einen Sozialdemokraten.
Das Buch hat 220 Seiten und kostet 20 Euro. 100 Seiten und 10 Euro wären besser gewesen. Denn Müntefering ist ein Könner des Knappen, die eingehende Erörterung, die abwägende Analyse ist nicht seine Stärke. Zum Erfolg der Linkspartei, zum wachsenden Desinteresse an Politik fällt ihm nicht viel sein, das aber lang.
Welchen Müntefering bekommt die SPD? Wahlkampf diszipliniert und schweißt zusammen. Gewiss wird Müntefering die Krise des globalen Finanzkapitalismus 2009 prägnanter auf den Punkt bringen, als es Beck je vermocht hätte. Aber es gibt auch eine autoritäre, schroffe, apodiktische Seite, die nicht zu unterschätzen ist. Die SPD muss, so Müntefering pädagogisch streng, „ihre Mitglieder fördern und fordern.“. So wie es der Staat mit den Arbeitslosen tut. Sozialdemokraten sollten dieses Buch lesen. Als Warnung.