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Archiv-Artikel

Raunen um höhere Macht

Ein Karlsruher Verfassungsbeschluss weist eine Beschwerde Ernst Augusts von Hannover gegen Enteignungen nach der Nazizeit zurück – mit Hinweis auf die „Schicksalsgemeinschaft der Deutschen“

VON CHRISTIAN SEMLER

In dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes, die Verfassungsbeschwerde des Prinzen Ernst August von Hannover zurückzuweisen (siehe Inland), findet sich ein seltsamer Begriff: der der Schicksalsgemeinschaft. Dem Gericht reichte es offenbar nicht aus, die Aufrechterhaltung von Enteignungen in der sowjetisch besetzten Zone nach dem Zweiten Weltkrieg als mit dem Grundrecht auf Eigentum und dem Völkerrecht vereinbar zu erklären. Die Richter stellten darüber hinaus fest, dass die Folgen des Zweiten Weltkriegs „von den Deutschen als Schicksalsgemeinschaft“ zu tragen seien.

Dies sollte den Klägern schmackhaft machen, dass nicht jedes dem Einzelnen widerfahrene Unrecht in bitteren Zeiten entschädigt oder wenigstens ausgeglichen werden könne, vielmehr „zu ertragen“ sei. Eine plausible Argumentation – nur dass die Idee einer „deutschen Schicksalgemeinschaft“ überhaupt nichts beiträgt, das Argument zu untermauern. Vielmehr haftet sich der vertraute Geruch des völkischen Nationalismus an die richterliche Rede an.

Wenn es dem Gericht darum gegangen wäre, jenseits der juristischen Beweisführung darauf hinzuweisen, dass deutsche Staatsbürger unabhängig von ihrer Generationenzugehörigkeit und ihrer Biografie für die Folgen deutscher Politik im vergangenen Jahrhundert einstehen müssen, dann hätten hierfür treffende Begriffe zur Verfügung gestanden: Verantwortung oder, schärfer, Verpflichtung.

Mit diesen Begriffen wird darauf aufmerksam gemacht, dass wir nicht nur als Individuen im jeweiligen Jetzt existieren, sondern als Teilnehmer einer (noch) nationalstaatlich organisierten Gesellschaft, deren Geschichte in unsere Gegenwart ragt und uns in gewissem Umfang Pflichten auferlegt. Wir übernehmen Verantwortung da, wo wir als Einzelne nicht schuldig sind. Diese Übernahme ist ein bewusster, kollektiver Akt. Er versteht sich nicht von selbst. Er muss erstritten werden – wie beim erfolgreichen Kampf um die Entschädigung der Zwangsarbeiter.

Schicksalsgemeinschaft hingegen ist uns vorgegeben, im Zweifel „von oben“. Mit dem Schicksal kann man nicht diskutieren. Die Schicksalsgemeinschaft kettet uns aneinander, in ihr drückt sich unser Wesen aus. Wodurch hat sich in der Vergangenheit die deutsche Schicksalsgemeinschaft konstituiert? Sie tat es vor allem im Medium der Sprache und des Blutes. Von der Schicksalsgemeinschaft der Deutschen raunte schon die Romantik. Schon damals ging es um ein Unternehmen, das von der Vorstellung einer Identität der Deutschen mit sich selbst quer durch die Zeiten zehrte.

Hinter diesem Konstrukt verbirgt sich eine Vorstellung von Gemeinschaft, die nicht erst durch gesellschaftliche Verständigungsprozesse herzustellen wäre. Und diese Schicksalsgemeinschaft eignet sich vorzüglich zur Ausgrenzung von allem, das nicht an unserem (historischen wie gegenwärtigen) Schicksal teilhat. Nicht umsonst gehörte daher der Begriff zum Inventar der Nazipropaganda. Vom Schicksal in der Gemeinschaftsform zu sprechen vermittelte Erhabenheit. So ließ sich leichter sterben, als Angehöriger des Schicksalskollektivs.

Wie soll eigentlich die „Schicksalsgemeinschaft“ der Deutschen den deutschen Staatsbürgern türkischer Nationalität nahe gebracht werden, wie sollen sie für etwas einstehen, von dem sie definitionsgemäß ausgeschlossen sind – der deutschen Geschichte? Viola Georgi hat in ihrer „Entliehenen Erinnerung“ die Geschichtsbilder junger Migranten in Deutschland untersucht und festgestellt, jede Verpflichtung aus der deutschen Geschichte setze voraus, dass diese Pflicht sich aus staatsbürgerlichem Bewusstsein und aus einem universell gültigen Wertzusammenhang herleitet.

Statt die Schicksalsgemeinschaft der Deutschen zu bemühen, sollten wir besser von republikanischen Werten reden, von Gemeinsinn, der uns abverlangt, auch historische Lasten zu tragen. Der Vorteil dieses Verfahrens besteht darin, dass es einem Begründungszwang unterliegt. Wir können entscheiden, was das gemeine Wohl fordert und was uns nur im Hinblick auf ein angebliches Gemeinwohl (siehe Hartz IV) abverlangt wird. Die Schicksalsgemeinschaft hingegen verlangt von uns Identifizierung und blinde Hinnahme.