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Tagebuch aus EstlandWenn nur der Mensch ins Exil geht, nicht aber sein Konto

Sanktionen der EU treffen nicht nur das Regime des Wladimir Putin. Auch Russen, die geflohen sind, können betroffen sein. Unser Autor hat Angst.

Schwierige Geschäfte: Bankautomat in Russland Foto: Imago/YAY Images

A uch dieser Dezember ist eine traurige Zeit für jeden Russen und jede Russin. Besonders traurig ist er für die Geg­ne­r:in­nen Wladimir Putins. Der Krieg in der Ukraine eskaliert weiter, und Moskau wie auch Washington drohen einander offen mit dem Einsatz von Atomwaffen. Aus Angst vor Protesten im eigenen Land verschärft die russische Regierung ihre repressiven Maßnahmen.

Man kann es kaum anders als Terror bezeichnen, wenn etwa junge Musiker der Band Stoptime bereits zum dritten Mal in Folge wegen desselben „Verbrechens“ verhaftet werden: Sie spielen Lieder von Künstler:innen, die in der Russischen Föderation als „ausländische Agenten“ eingestuft sind – und das auf den Straßen von St. Petersburg. Der Hammer der Putin-Justiz schlägt unerbittlich zu.

Auf der anderen Seite sieht sich Putin jedoch den europäischen Sanktionen gegenüber – die nicht nur ihn treffen. Seit 2022 habe ich, der als Emigrant in der Europäischen Union lebt, noch nie solche Angst um mein eigenes Schicksal gehabt wie heute. Dabei geht es nicht einmal um die Gefahr einer Invasion durch Putins Truppen in die baltischen Staaten, die mittlerweile durchaus realistisch erscheint.

Ich, ein Russe, ein Kriegsgegner, der Geld an die Ukraine spendet, habe Angst, in Europa zu leben.

Es geht um den Druck, den die EU unterschiedslos auf alle In­ha­be­r:in­nen eines russischen Passes ausübt. Das jüngste Paket europäischer Sanktionen gegen die Russische Föderation – es ist schon das 19. – hat gerade für Russ:innen, die in Europa leben, eine Vielzahl von Problemen geschaffen.

Unter dem Vorwand, die Einhaltung der Sanktionen besser kontrollieren zu wollen, hat die populäre Neobank Revolut damit begonnen, Konten von Rus­s:in­nen zu schließen, die mit einem Visum in der EU leben. Betroffen waren unter anderem In­ha­be­r:in­nen humanitärer Visa – Jour­na­lis­t:in­nen und Menschenrechtsaktivist:innen. Obwohl Revolut die massenhafte Kontenschließung später als technischen Fehler bezeichnete, sind selbst diejenigen Rus­s:in­nen beunruhigt, die ihr Bankkonto behalten haben.

Gefängnis für den Besitz einer russischen Girokarte

Ein noch härterer Schlag könnte die neue Auslegung der finanziellen Einschränkungen sein, wonach bereits der bloße Besitz und die gelegentliche Nutzung der Karte einer russischen Bank, gegen die Sanktionen verhängt wurden, als Verstoß gegen diese Sanktionen gelten kann.

Einige Ju­ris­t:in­nen weisen darauf hin, dass dies in Europa für Rus­s:in­nen unter Umständen eine Gefängnisstrafe bedeuten könnte. Hier bliebe niemand verschont: Die Sanktionen sind umfassend und betreffen fast alle größeren Banken der Russischen Föderation. Doch beinah alle Bür­ge­r:in­nen haben Konten bei diesen Banken. Von diesen Konten aus zahlen Emi­gran­t:in­nen beispielsweise Steuern auf ihr in Russland verbliebenes Vermögen, überweisen oder erhalten Hilfe von Verwandten, die noch in Russland leben, beteiligen sich an Wohltätigkeitsaktionen und so weiter. Tatsächlich kann nun jeder oder fast je­de:r russische Staats­bür­ge­r:in in Europa wegen Verstoßes gegen die Sanktionen inhaftiert oder zumindest angeklagt werden.

In diese Reihe schlechter Nachrichten gehört auch das von der Europäischen Kommission beschlossene Verbot der Erteilung von Mehrfachvisa für Russland. Formal betrifft es mich als EU-Bürger nicht, aber es erschwert beispielsweise meine Treffen mit Verwandten. Ich werde hier nicht die Argumente der Be­für­wor­te­r:in­nen und Geg­ne­r:in­nen dieses Verbots wiederholen – im Internet wurde bereits viel darüber diskutiert.

Das Wichtigste, was ich sagen möchte, ist: Ich, ein Russe, ein Kriegsgegner, der Geld an die Streitkräfte der Ukraine spendet, ein Journalist für unabhängige Medien, habe Angst, in Europa zu leben. Ich habe das Gefühl, dass man mich, wenn nicht morgen, dann in ein oder zwei Jahren wegschicken wird und alle Bemühungen und Errungenschaften zunichte machen wird.

Nach St. Petersburg werde ich nicht zurückkehren. Wo könnte also mein neues Zuhause sein? Vielleicht Algerien, Marokko oder El Salvador? Nie zuvor erschien mir der Globus so eng und unwirtlich. Vielleicht gibt es irgendwo auf der Welt eine Macht, die bereit ist, Rus­s:in­nen wie mir eine Insel irgendwo in neutralen Gewässern zuzuweisen.

Alexey Schischkin ist Journalist aus St. Petersburg. Seit der russischen Invasion in die Ukraine lebt und arbeitet er im Exil in Estland. Er war Teilnehmer eines Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung.

Aus dem Russischen von Tigran Petrosyan.

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