Kirchensanierung in Schleswig-Holstein: Wie Eiderstedt seine Kirchen rettet
So viele Kirchen wie auf der Halbinsel Eiderstedt in Schleswig-Holstein gibt es fast nirgendwo sonst. So haben die Eiderstädter sie vor dem Verfall bewahrt.
In der St.-Magnus-Kirche in Tating riecht es wenige Tage vor Weihnachten nicht nach Tannen und Kerzen, sondern nach Putzmittel: Der Zitronengeruch erinnert daran, dass am Vormittag die Baufirma einen Trupp zur Abschlussreinigung geschickt hatte. Im letzten Licht des trüben Nachmittags räumen Handwerker ihre Werkzeuge zusammen, dann hat Pastor Michael Goltz seine Kirche wieder für sich. Nach fast einem Jahr Bauarbeiten ist St. Magnus saniert. Das ist fast ein kleines Wunder.
Auf der Halbinsel Eiderstedt im Norden von Schleswig-Holstein stehen so viele Kirchen auf engem Raum wie fast nirgendwo sonst in Nordeuropa. Es sind 18 für 16 Gemeinden mit insgesamt rund 11.200 Menschen. Was einst ein Zeichen für den Wohlstand der Region war – der Fluss die Eider bildete eine wichtige Handelsroute – ist heute ein Problem. Denn wie überall verlieren auch im hohen Norden die Kirchen Mitglieder und damit Kirchensteuern.
Die Gotteshäuser verfielen, und es stellte sich die Frage: Wie viele Kirchen braucht eine dünn besiedelte Region überhaupt?
Michael Goltz findet: „Die Gebäude haben Energie und Aura, sie sind weiterhin die Mittelpunkte der Dörfer.“ Der Pastor teilt sich mit seiner Frau Sylvia die Seelsorge für St. Peter-Ording und Tating und die Verantwortung für die Kirchen in beiden Orten. Darüber hinaus ist der 58-Jährige, der zwischen Theologiestudium und Vikariat eine Weile als Journalist arbeitete, mit einer halben Stelle für Fundraising zuständig – er schwingt sozusagen für den ganzen Kirchenkreis Eiderstedt die Sammelbüchse. In den vergangenen Jahren ging es vor allem darum, Geld für Sanierungen lockerzumachen. Denn die meisten der 18 Gotteshäuser waren in schlechtem Zustand.
Eine Million für jede Kirche
18 Millionen Euro, um alle zu retten: Mit dieser Vorgabe ging der Kirchenkreis auf die Suche nach Geld. Die Hälfte gab der Bund, die restlichen neun Millionen finanzierten das Land Schleswig-Holstein, die Nordkirche und Privatleute, die rund eine Million Euro gaben.
In Tating spendeten Freiwillige für Dachplatten, die sie mit Botschaften beschrifteten. Die Platten lagen in einem Bäckercafé gegenüber der Kirche aus, Einheimische, aber auch durchreisende Tourist:innen beschrieben bei einer Tasse Kaffee eine Platte und ließen Geld für die Kirche da. „Tolle Aktion“, sagt Goltz. „Es gab so viele Gespräche, sehr berührende Momente.“ Einige schrieben eine Erinnerung an Verstorbene oder an eine Feier in der Kirche auf, die nun unsichtbar Teil des Gebäudes sind.
Die Dächer und Fenster sind wieder dicht, die Mauerlöcher gestopft, die Kirchen wieder benutzbar. Einzig in St. Nikolai in Kotzenbüll finden zurzeit weder Gottesdienste noch Veranstaltungen statt. Das Gebäude wurde zwar für rund 730.000 Euro vor dem Verfall gesichert, über künftige Konzepte berät aber noch eine Arbeitsgruppe.
Nicht nur hier bleibt die Frage, wie die Gebäude mit Leben gefüllt werden sollen. Diese Frage betreffe die ganze Kirche, meint Goltz. Eiderstedt setze sich nur intensiver als andere Regionen mit dem Wandel auseinander, und das sei durchaus positiv: „Wir haben durch die vielen Urlauber auf Eiderstedt Möglichkeiten, die es so sonst nicht gibt. Unser Standort ist eine echte Chance für Innovation in der Kirche.“ Im Kreise seiner Kolleg:innen erlebe er teilweise „Trauer, dass es nicht so geht wie früher – aber die große Mehrheit stellt sich der Veränderung“.
Pastor Michael Goltz
Er selbst sieht weiterhin eine große Verbundenheit mit der Kirche und ihren Symbolen. „Auch wenn es weniger Mitglieder sind, bleiben doch noch sehr viele.“ Und ja, die Zahl der Austritte habe sicher auch mit veralteten Strukturen und Fehlern der Kirche, etwa beim Umgang mit Missbrauchsvorwürfen, zu tun. „Es wäre ja absurd, das zu leugnen“, sagt Golz. Aber er weist auch darauf hin, dass allen Institutionen, auf denen früher das gesellschaftliche Leben ruhte, die Mitglieder davonlaufen, von Sportvereinen über Gewerkschaften zu Parteien. „Die Welt ist im Umbruch, das trifft uns auch“, sagt der Pastor.
Für die beiden Kirchen, für die er und seine Frau zuständig sind, gibt es bereits Konzepte. St. Nikolai im Tourismusort St. Peter-Ording musste nicht renoviert werden. Und dank der zahlreichen Tourist:innen seien rund ums Jahr die Gottesdienste gut besucht, sagt der Pastor. Bei St. Magnus in Tating ist es schwieriger. Der künstlich aufgeschüttete Hügel im Zentrum des Dorfes ist der älteste Kirchenstandort auf Eiderstedt, aber für viele Tourist:innen ist Tating nur eine Durchfahrtstation auf dem Weg zum Meer.
St. Magnus in eine Kunstkirche verwandelt
Um sie zum Anhalten zu bewegen, hat sich St. Magnus in eine Kunstkirche verwandelt: Studierende des Design-Departments der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften zeigen seit 2020 im Rahmen einer „künstlerischen Intervention“ ihre Arbeiten in der Kirche.
Moderne Kunst in den alten Räumen – „Im ersten Moment waren einige Gemeindemitglieder durchaus skeptisch“, sagt Goltz. Aber er ist weiterhin begeistert von dem Projekt, das pro Saison über 16.000 Menschen nach Tating lockt. Dort gibt es auch jenseits der Ausstellungen einiges zu entdecken, etwa eine moderne Skulptur mit dem Gesicht einer Madonna und einem Leib, der an eine Meerjungfrau erinnert. Passt, sagt der Pastor: „Ist doch toll, dass jede Generation nicht nur alles Alte erhält, sondern auch etwas Eigenes einbringt.“
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