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Pressefreiheit im JemenÜber 1.400 Verstöße gegen Journalisten

Unter der Huthi-Miliz hat sich die Lage der Presse deutlich verschlechtert. Berichterstatter bezahlen mit Jahren im Knast – oder dem Leben.

Videobotschaft: Der Anführer der Huthi-Gruppe, Abdulmalik al-Huthi, hält eine Rede in Sanaa, Jemen, am 15. September 2024 Foto: Mohammed Hamoud/Anadolu/picture alliance

Aus Toronto

Najm Aldain Qasem

„Nach einem Jahr Leidensweg im Gefängnis warteten wir heute auf seine Freilassung. Aber sie haben beschlossen, Berufung einzulegen und eine härtere Strafe zu fordern. Das ist doppelte Ungerechtigkeit – ein Versuch, seinen Willen zu brechen.“ Diese Worte teilt die Ehefrau des jemenitischen Journalisten Mohammed al-Mayahi am 2. November – dem Internationalen Tag zur Beendigung der Straflosigkeit für Verbrechen gegen Journalisten – auf Facebook. Ihr Mann war am 20. September 2024 von den Huthis festgenommen worden. Sein Verbrechen: Ein Facebook-Post, in dem er die Praktiken der Miliz kritisierte.

Seit die Huthi-Miliz 2014 die jemenitische Hauptstadt Sanaa eingenommen hat, ist Journalismus zu einem der gefährlichsten Berufe des Landes geworden. Reporter werden vor den Augen ihrer Familien entführt, zu „Geständnissen“ im Fernsehen gezwungen, gefoltert oder jahrelang ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten. Wem es gelingt, sich dem Würgegriff der Sicherheitskräfte zu entziehen, flieht oft ins Ausland.

Elf Jahre nach der Übernahme großer Teile des Jemen durch die bewaffnete Gruppe zeigen offizielle Berichte einen katastrophalen Rückgang der Pressefreiheit. Die Organisation HuMENA For Human Rights hat seit Kriegsbeginn im Jahr 2015 mehr als 1.400 Verstöße gegen Journalisten dokumentiert – darunter direkte Angriffe, Morde, Entführungen, Verschleppungen, Drohungen und Arbeitsverbote.

Dies geschah nach einer deutlichen Aufstachelung durch den Huthi-Führer Abdulmalik al-Huthi gegen Medienschaffende. In einer Fernsehansprache erklärte er, dass „Journalisten und Intellektuelle gefährlicher sind als Militärkämpfer“. Laut dem Yemeni Archive haben seit Kriegsbeginn nur bis zum Jahr 2023 mehr als 55 Journalisten im Jemen ihr Leben verloren.

Angst und Schweigen unter Journalisten

Das Ergebnis ist ein Klima der Angst und des Schweigens, das eine einheitliche Meinung erzwingt. Die meisten Journalisten ziehen es vor, den Jemen dauerhaft zu verlassen oder ganz mit der Berichterstattung aufzuhören, aus Angst. Unabhängige Institutionen haben ihre Handlungsfähigkeit verloren. Die Meinungsfreiheit hat sich so weit verschlechtert, dass der Jemen zu den weltweit schwierigsten Umgebungen für Journalismus zählt. Eine Politik der Straflosigkeit und mangelnde nationale und internationale Rechenschaftspflicht haben sich fest etabliert.

Ein Beispiel: Der Journalist Tawfiq al-Mansouri, der vor etwa anderthalb Jahren aus den Gefängnissen der Huthis entlassen wurde, berichtete der taz: Während seiner achtjährigen Haft sei er gefoltert worden – und habe deswegen sogar einen Schädelbruch erlitten. Seit seiner Freilassung im Rahmen eines Gefangenenaustauschs im April 2023 wird er noch immer in ägyptischen Krankenhäusern behandelt. Ihm sei in den Händen der Huthis die notwendige medizinische Versorgung vorenthalten worden, berichtet er weiter.

Auch NGO-Mitarbeiter sind betroffen

Nicht nur Journalisten sind gefährdet. Auch für Mitarbeiter internationaler Organisationen, die eigentlich geschützt sein sollten, wird die Sicherheitslage immer angespannter.

Am 11. Februar 2025 gab das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen den Tod ihres Mitarbeiters Ahmed Ba'alawi in einem Huthi-Gefängnis in der Provinz Saada bekannt. Er starb nur zwei Wochen nach seiner willkürlichen Verhaftung, ohne jegliches Gerichtsverfahren. Die Huthis weigern sich, Erklärungen zu den Umständen seines Todes abzugeben. Sie hinderten außerdem die Familien daran, die sterblichen Überreste des Verstorbenen einer forensischen Untersuchung zu unterziehen, um die tatsächliche Todesursache festzustellen. Und forderten sie stattdessen auf, die Leiche sofort zu begraben.

Mohammed al-Wateri, Menschenrechtsexperte, beschreibt die Situation unter den Huthis im Jemen so: „Diese Verhaftungen sind Teil einer gezielten Kampagne, um Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und Hilfsorganisationen als westliche Spione darzustellen.“ Die Unnachgiebigkeit der Huthis und ihre Weigerung, die Inhaftierten freizulassen oder sie zumindest in einem fairen Verfahren vor Gericht zu stellen, hat international große Empörung ausgelöst.

Das internationale Schweigen zu den Verstößen gegen Journalisten und Menschenrechtsverteidiger im Jemen ist Teil des Problems. Denn die internationale Berichterstattung ist gering – nicht nur über die Lage der Presse, sondern über den anhaltenden Konflikt im Land an sich. Und manche jemenitische Journalisten bezahlen für ihre unabhängige Berichterstattung sogar mit ihrem Leben.

Aus dem Englischen: Lisa Schneider

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