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Roman „Dein Wille wohnt in den Wäldern“Nicht alle, die über Kafka labern, sind Poser

Ein junger Mann findet eine Bücherkiste und fängt an zu lesen. Mit diesem Rahmen weiß Mattias Timander in seinem schönen Debütroman viel anzufangen.

„Er hackt Holz, beobachtet Vögel, bewundert die Berge und denkt bei allem über alles nach“ Foto: Karin Jaehne/Zoonar/imago

Mehrfach steht da ein perfekter letzter Satz, gegen Ende des Debütromans von Mattias Timander. Aber zum Glück kommt dann noch eine Szene, und noch eine, in der der Ich-Erzähler sein Tun, Denken und Empfinden plötzlich synchronisiert zu haben scheint. Wenn das nicht das Ziel ist, was dann. Und wer wollte da nicht noch ein bisschen länger dabei sein.

„Dein Wille wohnt in den Wäldern“ heißt dieser Erstling aus dem neugegründeten Allee Verlag. Die Hauptfigur beschließt irgendwann, dass er Gedichte nicht lösen muss wie ein Sudoku. Guter Rat auch für diesen Titel. Der Sound ist das Ziel. Es wird weniger mystisch, als er es anklingen lässt, aber gut, dass er einen reingelockt hat.

Zu Beginn liest der Ich-Erzähler noch nichts außer der Lokalzeitung. Ein Mann Anfang 20 ist er, aus dem äußersten Norden Schwedens. Er hackt Holz, beobachtet Vögel, bewundert die Berge und denkt bei allem über alles nach. Sein engster menschlicher Kontakt ist eine alte Frau im Dorf. Er hilft ihr mit den Einkäufen und darf dann auf ihrem Küchensofa liegen. Es gibt Kaffee und Kuchen aus einer nie versiegenden Quelle in der Gefriertruhe.

Wir sehen: einen Jungen vom Land, der sich schon immer etwas anders fühlte als die anderen. Die einzige gleichaltrige Freundin aus seiner Schulzeit ist längst weggezogen. Auch er wird hinausziehen in die große Stadt, auf der Suche nach dem richtigen Leben und nach Antworten in Büchern.

Das Buch

Mattias Timander: „Dein Wille wohnt in den Wäldern“. Aus dem Schwedischen von Hanna Granz. Allee Verlag, München 2025, 192 Seiten, 24 Euro

Fund einer Büchersammlung

Das Leben des Ich-Erzählers ändert sich mit dem Fund einer versteckten Büchersammlung – im Schuppen der Familienhütte, die er übernommen hat, „damals, nachdem Mama und Papa“. Da endet der Satz. Die Eltern sind nicht mehr da, mehr wird nicht erklärt. Aber die Bücherkiste: Kafka und Joyce und Beckett und Woolf und Flaubert und Fallada. Das ist die Liga seiner literarischen Erweckung, alles andere als nur angedeutet.

„Soso, bist du eine Art Bohemien geworden“, sagt die alte Frau. Und damit ist er im Dorf natürlich noch mehr allein als vorher. Timander bemalt das Einsamkeitstableau mit dem winterlichen Erstarren der Natur und lässt seinen Erzähler zu viele sterbende Tiere sehen. Es reicht ihm irgendwann, ab in die Großstadt, Stockholm also, der Name fällt nur einmal.

Viele Bohemien-Begegnungen später: „So viel immerhin hatte ich verstanden, dass die meisten, die über Kafka laberten, Poser sind.“ Mit seiner schreibenden neuen Freundin redet er über Camus. Und über Beckett. Gesucht wird wieder einmal der Sinn des Ganzen. Das ist ernst gemeint, aber nicht zu ernst geschrieben. Satirisch zum Glück auch nicht, es steckt doch eine Wärme in seinem Blick und Erleben.

Dorf, Lebenssinn und Philosophie

Und er weiß, dass auch im Dorf über den Sinn des Lebens philosophiert wird. „Die Zeit vergeht und wir mit ihr und was soll man machen“, sagt die 80-jährige Freundin, die ansonsten auch gut schweigen kann.

Mattias Timander, 1998 in Kiruna geboren, hat kein Porträt seiner Generation geschrieben. Social Media und die Dauerpräsenz von Smartphones spielen nicht die geringste Rolle. Sein Ich-Erzähler erwähnt einmal, dass er nur ein Festnetztelefon hat, keine weiteren Erklärungen. Man hat es hinzunehmen, und das fällt sehr leicht.

Ginge es dann nur darum, wie seine Hauptfigur in Stockholm von Antiquariat zu Café zu Party zu Empfang läuft, Bücher sammelt, die Kulturszene erobert, Drogen ausprobiert und sich unglücklich verliebt: Das wäre nicht genug. Aber Timander hat mehr zu erzählen. Coming of Age nicht nur in der Großstadt, sondern auch im Dorf am Rande des Landes. Zugehörigkeit und Herkunft werden verhandelt.

Samen, Tornedaler, Finnen

Was sind das für uralte Konfliktlinien im Ort, von deren Ursprüngen niemand mehr etwas zu wissen scheint? Wer war eigentlich zuerst da, Samen, Tornedaler, Finnen? Antworten sind schwer zu kriegen. Wie nebenbei fließt der radikale Umbau der Grubenstadt Kiruna ein. Wie er die Menschen in ihrem Zuhausesein verwirrt. Nicht einmal der Name der Stadt fällt – für Ortsunkundige bleibt undeutlich, was da los ist. Das Verlusthafte teilt sich auch so mit.

Die sprachliche Besonderheit des schwedischen Textes, der entschiedene Gebrauch von Dialekten und Minoritätssprachen, das ist quasi unmöglich ins Deutsche zu übertragen. Hanna Granz findet für ihre Übersetzung einen stimmigen Ton, manchmal wie ein bisschen verdreht.

„Inzwischen hatte ich einen gewissen Literaturgeschmack entwickelt. Es mussten diffuse, vage Geschichten sein, die Raum für eigene Bilder ließen“, sagt der Ich-Erzähler irgendwann in seiner Lesephase. Man sollte meinen, dass ihm dieser Roman gefallen würde.

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