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Ines Schwerdtner besucht New York„Regieren ist weder ein Selbstzweck noch ein Selbstläufer“

Gewinnt am Dienstag ein Sozialist die Bürgermeisterwahl von New York? Die Linken-Chefin hat sich vor Ort den Wahlkampf von Zohran Mamdani angeschaut.

Sanders, Mamdani und Ocasio-Cortez gemeinsam im New Yorker Wahlkampf: Hoff­nungs­trä­ge­r:in­nen auch für deutsche Linke? Foto: Eduardo Munoz/reuters
Pascal Beucker

Interview von

Pascal Beucker

taz: Frau Schwerdtner, Sie sind gerade aus den USA zurückgekommen. Hatten Sie eigentlich Probleme bei der Einreise ins Trump-Land?

Ines Schwerdtner: Nein, aber natürlich haben wir uns Sorgen gemacht. Deshalb hatten wir entsprechende Vorkehrungen getroffen. Ich habe mir extra einen Diplomatenpass besorgt und ein Extravisum. Es sagt schon sehr viel aus, dass man sich als Abgeordnete überlegen muss, wie man eigentlich in ein anderes demokratisches Land kommt.

taz: Wie ist denn so das Stadtbild von New York?

Schwerdtner: Ich war das letzte Mal vor zwölf Jahren da. Seitdem scheint man kaum etwas getan zu haben. Dafür sind die Preise wahnsinnig gestiegen. Die Infrastruktur ist inzwischen total marode. Überall kommt Wasserdampf raus, man kennt es aus den Filmen. In Wahrheit bedeutet es nur, dass das Fernwärmesystem Lecks hat. Viele Häuser müssten dringend saniert werden und trotzdem sind die Mieten extrem hoch. Es ist schon vieles sehr heruntergekommen für eine so bedeutende Stadt in der größten Volkswirtschaft der Welt. Das gilt natürlich nicht für den Finanzdistrikt, der ist piekfein.

Bild: Britta Pedersen/dpa
Im Interview: Ines ­Schwerdtner

Geboren 1989 im sächsischen Werdau, wuchs sie in Hamburg auf und studierte in Berlin sowie in Frankfurt am Main. Von 2020 bis 2023 war sie Chefredakteurin des von ihr mitgegründeten Politmagazins Jacobin. Seit Oktober 2024 ist sie Vorsitzende der Linkspartei, zusammen mit Jan van Aken. Im Februar 2025 wurde sie im Wahlkreis Berlin-Lichtenberg direkt in den Bundestag gewählt.

taz: In New York haben sie sich den dortigen Bürgermeisterwahlkampf des demokratischen Sozialisten Zohran Mamdani angeschaut. Hatten Sie Wahlkampfentzug?

Schwerdtner: Ich war neugierig, wie Zohran Mamdani und sein Team diese Kampagne aufziehen. Aber es war interessant, wie schnell man wieder in so einen Schwung, in so eine Euphorie mit reinkommt.

taz: Haustürwahlkampf, Tausende Freiwillige, Lebenshaltungskosten als Hauptthema: Der Wahlkampf von Mamdani ähnelt stark Ihrem Bundestagswahlkampf. Macht er auch irgendetwas anders?

Schwerdtner: Ich war auch überrascht, als ich die Nachricht gelesen habe, die Kampagne von ihm hätte sich was von der deutschen Linken abgeguckt. Aber es ist tatsächlich so eine Wechselwirkung von Lernerfahrungen. Wir haben ja vor vielen Jahren auch vom canvassing, wie es im Amerikanischen heißt, viel gelernt und das zum Beispiel im Bundestagswahlkampf für die deutschen Bedingungen angepasst. Die Organisation der Kampagne von Mamdani und auch seine Themen sind schon sehr ähnlich. In beiden Fällen wird die politische Linke zum Konkurrenten für das Establishment. Aber es ist halt typisch amerikanisch, also alles immer noch etwas größer, professioneller und noch ein bisschen zugespitzter. Die politische Kommunikation finde ich wirklich on point. Wir haben das schon ganz gut gemacht im Bundestagswahlkampf. Aber die Art und Weise, wie er kommuniziert, ist noch mal ein anderes Level. Das fand ich sehr beeindruckend.

taz: Mamdani hat gute Aussichten, am 4. November zum neuen Bürgermeister von New York gewählt zu werden. Wie hoch sind die Erwartungen in ihn?

Schwerdtner: Ich glaube, dass er gewinnt. Die Erwartungen an ihn sind sehr hoch. Es wird nicht leicht werden. Natürlich wird er unter Dauerfeuer stehen. Trump hat ihn ja als seinen Erzfeind auserkoren. Viele befürchten, dass bei einem Wahlsieg Mamdanis auch in New York die Nationalgarde einmarschieren könnte, die ja bereits in einigen anderen demokratisch regierten Städten einmarschiert ist. Oder dass Trump mittels defunding, also dem Einfrieren von Geldern, die Regierungsarbeit erschweren wird.

taz: Klingt nicht sehr optimistisch.

Schwerdtner: Sozialismus oder überhaupt etwas wie Sozialreformen in die USA zu bringen ist kein Spaziergang. Doch es gibt auch wirklich viele Chancen. Als Bürgermeister hätte er beispielsweise die Macht, in einer der größten Städte der USA eine Art Mietendeckel einzuführen. Das ist dort leichter als bei uns, er kann das einfach machen. Das wäre natürlich ein grandioses Zeichen. Ich glaube auch, dass er den von ihm versprochenen gratis Busverkehr, stadteigenen Supermärkte und die kostenlose Kinderbetreuung umsetzen kann. Das würde Millionen New Yorkern helfen.

taz: Schon jetzt ist New York hochverschuldet. Um seine Pläne umzusetzen, braucht Mamdani wohl zusätzlich rund sieben Milliarden US-Dollar pro Jahr. Reinkommen soll das Geld durch eine Steuererhöhung für Ein­kom­mens­mil­lio­nä­r:in­nen und große Konzerne. Dafür bräuchte er jedoch die Zustimmung der Gouverneurin und des Stadtparlaments. Beides dürfte er nicht bekommen.

Schwerdtner: Tatsächlich wird das einer der dickeren Brocken. Er wird da sicher auch auf Hindernisse treffen, die nur überwunden werden können, wenn es weiter Druck zum Beispiel auf die New Yorker Gouverneurin Kathy Hochul gibt, die ja eine Demokratin ist. Das heißt, dass es wichtig ist, nicht nur einen Wahlkampf zu führen. Er braucht fortwährend die Unterstützung von der Straße. Die Democratic Socialists, die hinter ihm stehen, und andere Linke müssen ihre Strategie darauf einstellen. Sie können dann nicht mehr nur aus einer kleinen Minderheitenposition Ärger machen, sondern müssen Politikvorschläge umsetzen. Das ist auch für die neu. Es entspricht aber dem Grundansatz, nicht nur zu Wahlkämpfen da sein zu wollen, sondern ständig den Kontakt zu den Menschen zu halten.

taz: Das ist ein alter Streitpunkt innerhalb der Linken: Sind sie bereit, auch unter kapitalistischen Verhältnissen mitzuregieren oder wollen sie bis zur erträumten Revolution in der Opposition bleiben? Und zu welchen Kompromissen ist man bereit?

Schwerdtner: Den Leuten von Mamdanis Kampagne, mit denen ich mich getroffen habe, musste ich aus der deutschen Erfahrung sagen, dass nach der Wahl die Arbeit eigentlich erst richtig losgeht – sie haben das müde schmunzelnd zur Kenntnis genommen. Klar ist, dass Regieren weder ein Selbstzweck noch ein Selbstläufer ist. Da haben wir in Deutschland ja auch einige Erfahrungen gemacht. Die fehlen bislang unseren Genossen in den USA. Deswegen waren das in beide Richtungen sehr interessante Gespräche.

taz: In Berlin geht Ihre Partei ebenfalls mit großen Versprechungen in die Abgeordnetenhauswahlen im kommenden Jahr. Zum Beispiel soll der Volksentscheid über die Enteignung großer Wohnungskonzerne politisch umgesetzt werden, das ist weit mehr als Mamdanis Mietpreisbremse. Gleichzeitig diskutiert die Berliner Linke kräftig untereinander, ob sie überhaupt mitregieren will. Wie passt das zusammen?

Schwerdtner: Aus der Erfahrung heraus halte ich es erst einmal für vernünftig, jetzt keinen Blankoscheck auszustellen und zu sagen, wir regieren unter allen Umständen auf jeden Fall mit. Es ist vorausschauend, genauer darüber zu sprechen, unter welchen Bedingungen das sinnvoll ist.

taz: Ein Teil in Ihrer Partei sagt allerdings, wir machen das auf keinen Fall.

Schwerdtner: Ja, die gab es schon immer und die gibt es weiterhin. Aber als Gesamtpartei sind wir weg von dem notorischen Ja oder Nein. Es geht um die konkreten Kräfteverhältnisse: Was können wir unter welchen Bedingungen umsetzen und wie stark muss die Linke dafür sein? Darüber haben wir auch mit unseren New Yorker Genossen diskutiert: Dass wir uns als Linke ehrlich machen müssen, dass man zwar in eine Regierung kommen kann, aber das deswegen nicht heißt, auch alles einfach durchsetzen zu können. Wir wollen auf den Fall gut vorbereitet sein, sollte es rechnerisch für eine Koalition mit einer starken Linken reichen. Aber wir werden am Ende des Tages nicht alleine entscheiden, wie es dann weitergeht. Auch die SPD und die Grünen werden für sich entscheiden müssen, was sie zu einer Verbesserung der Lebensverhältnisse in Berlin beitragen wollen.

taz: Wie froh sind Sie eigentlich, dass Sie endlich mal einen linken Hoffnungsträger haben, der ausnahmsweise nicht wie Bernie Sanders oder Jeremy Corbyn mehr als 40 Jahre älter ist als Sie, sondern sogar zwei Jahre jünger?

Schwerdtner: Also ich liebe ja immer noch Bernie Sanders. Deswegen finde ich es auch schön, dass die beiden vor einer Woche zusammen mit Alexandria Ocasio-Cortez auf einer Bühne standen und sagten: Wir verfolgen das gleiche Programm. Es war ja auch Teil unseres Erfolgsrezepts, dass Heidi Reichinnek neben den Silberlocken stand. Und jetzt haben wir in Berlin mit Elif Eralp eine herausragende Kandidatin, glaubwürdig als Anwältin der normalen Menschen, mit Migrantionsgeschichte ähnlich wie Mamdani.

taz: Ist Zohran Mamdani denn nicht vor allem eine Projektionsfläche für die Blütenträume deutscher Linker?

Schwerdtner: Wir sind ja auch hingefahren, weil wir ihn eben nicht einfach zu einer Projektionsfläche machen wollen. Wir wollten die Realität sehen. Ich glaube, dass es wichtig ist, zu schauen, was Linke international machen, und zu überlegen, was wir davon für unsere Arbeit lernen können.

taz: Dann werden Sie also demnächst in Berlin einen New Yorker Wahlkampf führen?

Schwerdtner: Ich glaube jedenfalls, wenn New York rot wird, schafft Berlin das auch. Ein Wahlsieg kann eine Sogwirkung entfalten und uns neue Hoffnung und Motivation geben. Aber unser Berliner Landesvorsitzender Maximilian Schirmer, der mich begleitet hat, hat sich schon alles sehr genau angeschaut. Und wir werden auch gut beobachten, was Mamdani aus seinem Wahlsieg machen wird. Auch davon können wir etwas lernen. Andere europäische Linksparteien schaue ich mir übrigens auch genau an, zum Beispiel die KPÖ in Österreich oder die Partei der Arbeit in Belgien. Von denen haben wir auch manches gelernt, was die Kampagnenarbeit angeht, aber auch die Gehaltsdeckelung, die Jan van Aken und ich praktizieren. Als Internationalisten tun wir gut daran, uns jeweils das Beste von anderen Linken abzuschauen. Das gilt selbstverständlich auch umgekehrt.

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