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Umweltfragen in SyrienDer tägliche Kampf ums Überleben

Klimafragen werden behandelt als wären Sie ein Luxus am Rande. Vor Kugeln aber kann man fliehen und überleben, doch wie entkommt man der Hitze?

Blick auf das Mittelmeer Foto: Gilan Hefny

Es war kurz vor zwei Uhr nachmittags, als ich eine Nachrichtensendung sah, in der Autofahrer vor wiederholten Reifenexplosionen aufgrund der extremen Hitze gewarnt wurden. Ich hatte mich gerade fertig gemacht, um zu einem Interview mit Bauern zu fahren, die von dem Austrocknen des Flusses Orontes im Westen der Provinz Hama betroffen sind. Trotz der Warnung machte ich mich auf den Weg und eilte zum Auto. Das Thermometer zeigte 42 Grad im Schatten.

Am Straßenrand, zwischen den Unterkünften des Flüchtlingscamps al-Kamouna, in dem meine Familie und ich seit Jahren leben, türmten sich Müllberge, die von Menschen und Kindern verstreut worden waren, die den Müll nach Plastik durchsuchten, um es zu verkaufen. Der Gestank drang durch die geschlossenen Autofenster und zwang mich, mir die Nase zuzuhalten und in der drückenden Hitze den Atem anzuhalten. An einigen Stellen stiegen Flammen und Rauch aus kleinen Metallbehältern auf, in denen jemand beschlossen hatte, den Müll zu verbrennen.

Auf der Hauptstraße zwischen Idlib und Bab al-Hawa rasten Militärlastwagen vorbei. Der Himmel war von einer rostfarbenen Rauch- und Staubschicht verhüllt. Alles hier erinnert daran, dass der Krieg noch immer präsent ist. Ich fuhr weiter und beobachtete Reisende, die sich an Mauern drängten, um Schatten zu finden, während sie auf ihren Bus warteten.

Sonderbeilage der taz Panter Stifung

25 Journalistinnen aus 16 arabischsprachigen Ländern haben sich im Projekt Green Panter der taz Panter Stiftung aufgemacht, neue Geschichten über das Klima zu schreiben. Die ägyptische Fotografin Gilan Hefny hat für diese Beilage in Alexandria die Folgen der Klimakrise dokumentiert. Eine Podcastfolge dazu gibt es im Format Freie Rede. Alle Texte, die im Rahmen dieses Projektes erschienen sind, erscheinen nach und nach hier.

Schließlich kam ich in der Al-Ghab-Ebene im Nordwesten von Syrien an, wo ich eine Frau in den Fünfzigern traf, bekannt als Umm Ali. Sie bemühte sich, Wasser aus einem Hausbrunnen zu schöpfen, den Familien zur Bewässerung kleiner Felder und Bäume in ihren Hinterhöfen nutzen. Aber die Pumpe brachte nur ein paar Tropfen hervor. „Von Jahr zu Jahr“, sagte Umm Ali, „haben wir weniger Wasser, früher wuchsen auf unseren Feldern Weizen und Gerste, aber dieses Jahr sind sie zu rissiger Erde geworden. Jetzt wächst hier schon lange nichts mehr. Der Boden ist durstiger als wir.“ Der Krieg hatte ihr das Zuhause genommen, die Klimakrise den Rest.

Ein kleiner Ventilator gegen Hitzenschlag

In den Flüchtlingslagern im Norden von Idlib sprach ich mit einem jungen Mann, der aus dem Dorf al-Mosra in Dschabal al-Sawija vertrieben worden war. Er erzählte mir, dass die Sommerhitze ihre Zelte in Öfen verwandelte. Einige Kinder erlitten einen Hitzeschlag, und das einzige Kühlgerät war ein kleiner Ventilator mit einer solarbetriebenen Batterie. Er fragte: „Im Krieg kann man vor Kugeln fliehen und vielleicht überleben. Aber wie um Himmels willen entkommt man der Hitze?“

Mehrmals versuchte ich, nachts meinen Laptop zu öffnen, um meinen Klimabericht zu schreiben, wurde jedoch immer wieder durch aktuelle Nachrichten unterbrochen: Militäralarm, Razzien gegen Drogenschmuggler, Unruhen in Suweida, Szenen von Krieg, Vertreibung, Hassreden wurden endlos wiederholt. Der Krieg, dachte ich, ist noch präsent, aber die Klimafragen werden behandelt, als wären sie ein Luxus am Rande. Aber da draußen ist die Klimakrise keine Theorie oder Statistik – sie ist eine tägliche Erfahrung. Der Krieg hat unsere Häuser zerstört, jetzt ist es wiederkehrender Starkregen, der unsere Zelte fortspült.

Manchmal fühle ich mich machtlos angesichts dessen, was ich bei meiner Arbeit als Journalistin sehe: Der Bauer, der auf sein ausgedörrtes Feld starrt. Die Frau, die stundenlang auf der Suche nach Trinkwasser ist. Das Kind, das versucht, in einem stickigen Zelt zu schlafen. Jede Szene zeigt den täglichen Kampf ums Überleben.

Ich versuche, dagegen anzuschreiben. Immer wieder. So auch jetzt, während ich diesen Artikel schreibe. Alle sollen wissen, was ich weiß: dass das Klima mit seinen langsamen, aber unerbittlichen Auswirkungen unser Leben verändert – vielleicht nachhaltiger als Kanonen. Wenn wir jetzt nicht darüber berichten und zu einem Wandel im Bewusstsein beitragen, werden wir feststellen, dass sich die Narben des Kriegs vervielfachen, weil wir die Augen vor einem Feind verschlossen haben, der nicht weniger gefährlich ist als jede Waffe.

Sawsan Al-Hussein, Journalistin aus Idlib in Syrien

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