Nonnen beim Skaten: Ave Halfpipe
Plötzlich sind sie überall: Nonnen! Woher die neue Faszination kommt und was sie über uns aussagt.
Es taucht gerade wieder vermehrt eine Figur in der Popkultur auf, von der man eigentlich gedacht hätte, dass sie aus der Mode gekommen ist: die Nonne. Sprachen wir 2024 noch vom rebellischen „Brat Summer“, zu dem Charli XCX mit ihrem Album „Brat“ (Göre) inspiriert hatte, wenden sich jetzt viele Künstler*innen der Nonne zu.
Jüngstes Beispiel ist die katalanische Sängerin Rosalía, die gerade erst ein ganzes Album über Transzendenz veröffentlicht hat. Auf dem Cover von „Lux“ (Licht) ist sie als Novizin mit blütenweißer Nonnenhaube abgebildet. Die Arme hält sie fest um den eigenen Körper geschlungen, der zugleich von einer Art Zwangsjacke fixiert wird.
Huch, ist Rosalía, die gerne Motorrad fährt, für das Recht auf Abtreibung ist und als feministische Popikone gilt, hier etwa vom rechten Pfad abgekommen? Oder deutet ihre Verkleidung als Nonne auf etwas anderes hin?
Auch Lily Allen zeigt sich im Nonnenkostüm zu ihrem neuen Song „Pussy Palace“. Der handelt davon, wie sie in die Zweitwohnung ihres Partners kommt und herausfindet, dass er die nicht zum Sport machen nutzt, sondern zum Vögeln.
Nonne auf einem Barhocker
Im dazugehörigen Artwork sieht man Allen, wie sie im Nonnengewand auf einem Barhocker sitzt. Ihr Rock fällt zur Seite und gibt den Blick frei auf transparente Nylonstrümpfe. Allen guckt mit schwer zu deutendem Gesichtsausdruck in die Kamera und raucht eine Zigarette. Was will sie uns damit sagen?
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Nonnen waren schon immer eine beliebte Projektionsfläche. Es gibt die strenge, unerbittliche, mitunter brutale Nonne, wie sie in Filmen wie „Die unbarmherzigen Schwestern“ vorkommt. Die herzensgute Fake-Nonne, die den Klosterchor zu neuem Leben erweckt: Siehe Whoopi Goldberg in „Sister Act“. Oder die „Coming of Age“-Nonne, wie in der „Geschichte einer Nonne“ mit Audrey Hepburn oder in „Los Domingos“, der beim Filmfestival in San Sebastián gerade erst mit der Goldenen Muschel ausgezeichnet wurde.
Und haben Sie im vergangenen Herbst zufällig die skurrilen Proteste vor der Staatsoper Stuttgart und der Berliner Volksbühne mitbekommen, zu denen christliche Fundamentalisten aufgerufen hatten, um gegen Florentina Holzingers skandalumwitterte Opernaufführung „Sancta“ vorzugehen?
Stein des Anstoßes war, dass die Oper von einem sexuellen Erweckungserlebnis einer Nonne handelt. Das wird in der Vorlage von Komponist Paul Hindemith zwar sofort geahndet, die Ordensschwestern mauern Sancta Susanna ein. In Holzingers Performance aber wird sie tausendfach befreit: Durch Live-Sex an der Kletterwand, halsbrecherische Inliner-Stunts auf der Halfpipe, Screaming-Gesänge und den Auftritt einer lesbischen Päpstin.
Schnell wird klar: In dieser mehrfach ausgezeichneten Performance geht es nicht nur um die Kritik an der katholischen Kirche, sondern auch um sexuelle Selbstbestimmung. Und um – hier wird es jetzt interessant – das Recht auf eine eigene Spiritualität jenseits des von Männern erschaffenen Macht- und Möglichkeitsraums.
Denn bekanntermaßen werden Frauen und Queers insbesondere in religiösen Zusammenhängen bis heute unterdrückt, versklavt, erniedrigt. Nicht überall, aber jede große Weltreligion lässt es zu, dass in ihrem Namen unsägliche Dinge geschehen.
Yoga, Meditation, Gebet, Skaten
Dabei ist Spiritualität viel zu wichtig, um sie sich von ein paar Mackern kaputt machen zu lassen. Gerade in krisenhaften Zeiten bietet die innere Einkehr für viele einen Zufluchtsort. Sei es beim gemeinsamen „Om“ auf der Yogamatte oder beim Gebet in der Moschee, beim schamanischen Kakaoritual oder bei einer Meditation, beim Besuch in einer Synagoge oder Kathedrale. Doch muss man deshalb gleich zur Nonne werden?
Die Pluspunkte: Schwesternschaft, Entschleunigung, die Abkehr von Schönheits- und Selbstoptimierungswahn – eigentlich gar nicht so übel, oder? Die Ära des Boyfriends ist ja eh vorbei, wenn man den Prognosen einiger Influencerinnen trauen darf. Letztlich ist die Wiederkehr der Nonne in den Künsten aber kein Aufruf, ins Kloster zu gehen, sondern ein Symbol für die Verbindung mit etwas Größerem, die in uns ebenso Platz haben darf wie alles andere.
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